Die Reaktion der italienischen Regierung nach den Pogromen

Neapel sehen und sterben

Nach dem antiziganistischen Pogrom in Neapel reagiert der Staat – mit einer Verschärfung der Migrationsgesetze. Proteste der Opposition bleiben aus.

Ignazio La Russa freute sich über den Zigeuner. Mit zwei Treffern hatte Zlatan Ibrahimovic, Sohn bosnisch-kroatischer Roma, seinem Club Inter Mailand am letzten Spieltag der italienischen Fußballmeisterschaft den Titel gesichert. Wäre der Torschütze nicht in Schweden geboren und aufgewachsen, sondern in einer der Barackensiedlungen am Stadtrand von Mailand, so hätte der italienische Verteidigungsminister in ihm wohl kaum den Weltklassestürmer erkannt, sondern ihn eher als mutmaßlichen Straftäter verdächtigt. Nur wenige Tage vor der Meisterfeier hatte La Russa vorgeschlagen, militärische Einheiten zusammen mit den üblichen Polizeikräften als »gemischte Mannschaft« auf Streife zu schicken, um den angeblich von Roma und anderen osteuropäischen Arbeitsmigranten verursachten »Sicherheitsnotstand« in den italienischen Vorstädten zu bekämpfen. Die martialischen Vorstöße des neuen Verteidigungsministers lösten nur wenig Empörung aus. Längst waren seine Landsleute gegen die vermeintliche Bedrohung eigenmächtig ins Feld gezogen.
In Ponticelli, der östlichen Peripherie Neapels, hatte das atavistische Gerücht, eine 16jährige Roma habe versucht, ein Kleinkind zu stehlen, die Einheimischen in Rage versetzt. Mit Schlagstöcken und Eisenstangen bewaffnet zwang der aufgebrachte Mob 50 Roma-Familien, die im Niemandsland zwischen heruntergekommenen Hochhaussiedlungen und illegalen Mülldeponien ihre Holzhütten und Wellblechverschläge errichtet hatten, zur Flucht. Von der örtlichen Polizei eskortiert, zog der Flüchtlingskonvoi in die nächstgelegene, ebenso unsichere Roma-Siedlung. Danach sahen die Ordnungskräfte zu, wie die zurückgelassenen Baracken von den Anwohnern geplündert und niedergebrannt wurden. »Wir wollen keine Menschen verbrennen, aber wir wollen sicher sein, dass sie nicht zurückkommen.« Vor laufenden Kameras rechtfertigten sich die Täter, ereiferten sich die Schaulustigen. Kritische Töne wurden nicht gesendet. Dagegen gab es Beschimpfungen für eine Gruppe von Schülern des örtlichen Gymnasiums, die eine kleine Solidaritätskundgebung für die Roma organisierten.

Die antiziganistischen Ressentiments werden von der linksliberalen Mehrheit der Stadtverwaltung geteilt. Das hetzerische Plakat »Roma raus aus Ponticelli« war von der neuen Demokratischen Partei geklebt worden. Zwar räumten nach der Brandschatzung die verantwortlichen Kommunalpolitiker »Fehler« ein, doch Nazario Malandrino, der demokratische Sozialreferent Neapels, forderte auch »Verständnis« für die Anwohner: Ihre Wut sei »Ausdruck der schwierigen sozialen Lage, der Verzweiflung angesichts der Verwahrlosung des eigenen Stadtviertels«. Für diese Sicht der Dinge sprechen in der Tat die schweren Krawalle, die es am Wochenende ebenfalls in Neapel wegen des Müllproblems gab.
Allerdings werden Barackensiedlungen nicht nur in der vom Müllnotstand geplagten, vergleichs­weise armen neapolitanischen Peripherie angegriffen, sondern ebenso am Stadtrand wohlhabenderer Großstädte wie Mailand, Genua, Padua und Rom. In der Hauptstadt wurde im vergangenen November die Räumung und Demolierung jener Barackensiedlung, in der ein des Mordes an einer Römerin angeklagter Rumäne seine Bleibe hatte, vom damaligen demokratischen Bürgermeister Walter Veltroni persönlich angeordnet (Jungle World 46/08). Am Samstag nun zog in Rom eine zehn- bis 20köpfige Meute durch die Straßen und schlug Schaufenster von Geschäften indischer und bangladeschischer Migranten ein. Und die von der Lega Nord in den von ihr verwalteten Kleinstädten des Nordostens eigens eingeführten Bürgerwehren, die nachts ihre »Rundgänge« durch die Straßen machen und mit improvisierter Bewaffnung für »Ordnung« sorgen, marschieren inzwischen auch durch linksliberal verwaltete Städte wie Bologna.
Vor allem während des Wahlkampfs im Frühjahr hatte das Thema Sicherheit die politische Auseinandersetzung bestimmt. Mit Ausnahme der Regenbogenlinken überboten sich die Parteien mit Versprechen, gegen die »Bedrohung« durch die legale und illegale Einwanderung vorzugehen. Obwohl die Kriminalstatistik des Innenministeriums kontinuierlich rückläufige Zahlen vermeldete, erklärte in Meinungsumfragen eine stetig wachsende Mehrheit der Bevölkerung, »Angst« zu haben. Sicherheitspolitische Fragen wurden auf immigrationspolitische Probleme zurückgeführt, während umgekehrt immigrationspolitische Fragen nur noch als sicherheitspolitisches Problem behandelt wurden. Variationen des Wahlkampfslogans »Wir sind frei, um sicher zu sein« wurden von allen Parteien vertreten. Die aggressiven Töne ließen keinen Zweifel, wie diese Freiheit aussehen und auf wessen Kosten sie gehen würde. Die Stimmung heizte sich durch den überraschend deutlichen Wahlsieg der Rechten weiter auf.

Der neue römische Bürgermeister Gianni Alemanno kündigte an, über 80 Roma-Siedlungen abreißen zu lassen, während der neue Innenminister Roberto Maroni versprach, in Mailand und Rom »Sonderkommissare« zur repressiven Verwaltung der »Roma-Frage« zu ernennen. Nach den monatelangen verbalen Attacken ging die Bevölkerung in Ponticelli einfach zum Angriff über. Umgekehrt rechtfertigt der Tatendrang der Bevölkerung weitere repressive Maßnahmen der Regierung. Der Mob bekommt, wonach er verlangt: Bereits in der Nacht nach dem Pogrom in Ponticelli kam es in mehreren italienischen Städten zu Polizeirazzien, in deren Verlauf knapp 400 Personen, in der Mehr­zahl Ausländer ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung, festgenommen wurden. Nur eine Woche später verabschiedete die Regierung in ihrer ersten Kabinettssitzung ein umfassendes so genanntes Sicherheitspaket. Auf der Pressekonferenz rechtfertigte Berlusconi die neuen Gesetzesvorlagen mit dem unverbrüchlichen Recht der Italiener, keine Angst zu haben.
Der italienische Leviathan rüstet sich: Zur Sicherung des kommunalen Territoriums sollen die polizeirechtlichen Machtbefugnisse von Bürgermeistern und Polizeipräfekten ausgeweitet werden. Für straffällig gewordene Ausländer ohne gültige Aufenthaltspapiere soll sich künftig die vorgesehene Strafe automatisch um ein Drittel erhöhen. Jede Region soll ein eigenes Abschiebegefängnis erhalten, in dem die zur Ausweisung bestimmten Migranten bis zu 18 Monate festgehalten werden dürfen. In Ermangelung der entsprechenden Gefängniskapazitäten wurde diesmal der Vorschlag von Verteidigungsminister La Russa, stillgelegte Kasernengelände zu nutzen, angenommen. Vor allem aber soll eine DNA-Daten­bank zur Personenidentifizierung eingerichtet und der Straftatbestand der »illegalen Einwanderung« eingeführt werden.

Da die Demokratische Partei die xenophoben, rassistischen Ausbrüche als Ausdruck einer durch die globalen Veränderungen desorientierten Gesellschaft interpretieren möchte und sich statt um die Angegriffenen um die Gefühlslage der Täter sorgt, stößt das Maßnahmenpaket der Regierung auf keine nennenswerte Opposition. Die Kriminalisierung der »illegalen Einwanderung« wird nur deshalb skeptisch betrachtet, weil man langwierige juristische Verfahren, eine Überbelegung der Gefängnisse und eine daraus resultierende Kostensteigerung des Verwaltungsapparats befürchtet. Da auch die Einrichtung einer DNA-Datenbank auf absehbare Zeit für den italienischen Staatshaushalt nicht zu finanzieren sein wird, wird diese Gesetzesinitiative als propagandistische Ankündigung kritisiert, nicht aber grund­sätzlich in Frage gestellt. Aus humanitären Gründen wird das Sicherheitspaket nur von vereinzelten Vertretern der katholischen Sozialverbände abgelehnt. Außerdem meldeten einige Juristen verfassungsrechtliche Bedenken an.
Da die Rechte wegen ihrer satten parlamentarischen Mehrheit ohnehin nicht auf Stimmen der Opposition angewiesen ist, können die von der Regierung eingebrachten Gesetzesvorlagen nur durch koalitionsinterne Unstimmigkeiten noch gekippt werden. Tatsächlich herrscht hinsichtlich der Strafverfolgung »illegal« Eingereister keine Einigkeit. Immerhin sind in Italien mehr als 400 000 Frauen und Männer ohne gültige Aufenthaltspapiere in der privaten Kinderbetreuung sowie der Kranken- und Altenpflege tätig. Deshalb plädiert ein Teil von Berlusconis Partei dafür, einigen Berufsgruppen rückwirkend einen Aufenthaltsstatus zu garantieren. Die Haushaltshilfe der eigenen Familie genießt immerhin fast so viel Ansehen wie der Star der Fußballmannschaft. Die einzige Hoffnung der Marginalisierten führt demnach aus der Illegalität in die Abhängigkeit einer prekären privaten Anstellung.