Zwischen Sport und Spiel – Jugger

Im Angesicht des Hundeschädels

Jugger, eine Sportart, die auf einen Endzeit-Film zurückgeht, sieht nur martialisch aus.

Ein Teamsport wie Football, Duelle wie beim Fechten und Kendo, Punkten wie beim Basketball, Outfits wie bei »Mad Max« und in der Mitte ein Hundeschädel aus Schaumstoff. Und all das in einem Sport? Ja. Es begann als fixe Idee, nämlich den mit Eisenketten und Schlägern geführten Kampf um einen Hundeschädel, wie er in dem recht brachialen Endzeit-Film »Jugger – Kampf der Besten« gezeigt wurde, als reales Spiel zu spielen. Doch was auf den ersten Blick abwegig erschien, entwickel­te rasch eine Eigendynamik. In Berlin residiert Jugger bis heute unter anderem in der »C‑Base«, die sich selbst als »abgestürzte Raumstation unter Berlin-Mitte« bezeichnet und mit Schleusen, LED-Lämpchen, Platinen, sprechenden Bordcomputern und dergleichen auch ganz so ausgestattet ist. Aber eigentlich wurde der post­apokalyptische Sport Jugger bei Hamburg ent­wickelt und dort bereits 1993 zum ersten Mal auch tatsächlich gespielt.
Als vor zehn Jahren die Schaumstoffnachbildung eines Hundeschädels in die Mitte eines Spielfeldes gelegt wurde, um die erste Deutsche Juggermeisterschaft in Berlin zu eröffnen, war das Ganze noch sehr wild. Es gab keinen gepfleg­ten Sportplatzrasen, nur den staubigen Boden des Mauerparks. Die Sonne des letzten Augustwochenendes brannte auf die Brustpanzer aus alten Autoreifen und zusammengeflickten Protektorenteilen, auf Fellbehänge und Fliegerbrillen, die die Jugger aus Hamburg, Berlin und Pots­dam frei nach Vorbildern aus dem Endzeitfilm angelegt hatten. Vor den Augen von Hunderten Zuschauern, verfolgt von den Objektiven mehrerer Kameras, rannten sie gegeneinander an, schwangen baumstammdick gepolsterte Stangen, so genannte Pompfen, und ließen die Ketten in die Reihen ihrer Gegner fahren. Ein Läufer preschte waghalsig vor, griff den Schädel und errang den Sieg für die Hamburger Mercyless Bastards. Die Hauptstadt war um einen Sport reicher.
Hundeschädeljagen soll eine Sportart sein?
Erstaunlicherweise erwies sich Jugger als über­aus gut spielbar, obwohl es auf den ersten Blick so gar nicht als vollwertiger Sport geeignet zu sein scheint. Tatsächlich gibt es wohl keine andere Sportart, die Teamplay, den Gebrauch von Polster-»Waffen«, Fechten und Ballspiel in sich vereint und trotzdem als »richtiger« Sport mit Training, Punktezählung und vollem Einsatz im Spiel funktioniert.
Die Spieler versuchen, sich gegenseitig mit den Pompfen abzuschlagen, müssen zugleich den Überblick übers Spielfeld behalten und ihren Läufer decken, denn der darf als einziger den Schädel ins Ziel tragen. Wer getroffen wurde, muss für eine kurze Zeitspanne aussetzen. Die Turnierspiele zeichnen sich durch schnelle Züge mit kurzen Pausen aus, und wie gut eine Mannschaft ist, hängt ganz wesentlich von ihrem Teamplay ab, ganz wie beim klassischen Mann­schaftssport. So wird Jugger 2008 auch in der Pause eines Football-EFA-Halbfinalspiels im Berliner Jahn-Stadion gespielt.
Dazu hat sich auch das Aussehen der Spieler gründlich gewandelt. Fellbesatz und Autoreifen­harnisch wurden gegen Trikots, weiche Knieschoner und Piratenkopftücher getauscht, die früher martialisch anmutenden Stangen sind auf Armdicke geschrumpft und so gut gepolstert, dass selbst ein Volltreffer keinen Schaden hinterlässt.
Gefährlich sieht es immer noch aus, wenn die Pompfen aufeinanderkrachen. Und doch ist das Spiel in punkto Verletzungsgefahr ungefähr dem Fußball vergleichbar, wo schlimme Schäden auch die Ausnahme sind.
Plumpes oder gar brutales Draufhauen ist so­wieso nicht Teil des Spielkonzepts, Jugger steht für gewagte, ausgeklügelte Spielzüge, Teamspiel und hingebungsvolles Pompfenfechten. Und Fairness: Leichte Treffer müssen angesagt und akzeptiert und versehentliche Nasenstüber verziehen werden; anstelle eines starren Vereins­korsetts zeichnet sich der Sport auch durch eine starke kreative Komponente aus und lädt zum phantasievollen Engagement ein. Denn Pompfen lassen sich nicht im Laden kaufen, sie müssen selbst gebaut werden – die eigene Pomp­fe kann individuell oder passend zum Team-Thema gestaltet werden. Darüber hinaus bietet sich der Film als Quell für endzeitlichen Schnickschnack hervorragend an: Trophäen aus Ketten und Zahn­rädern anstelle von langweiligen Pokalen, halb abgerissene Banner, eigenwillige Trikots. Dazu fehlt die häufig doch sehr verbissene Vereinsmeierei, was schon die entspannte und freundschaftliche Atmosphäre auf den Turnieren beweist, wo Neugierige üb­licherweise willkommen geheißen werden, indem sie gleich eine Pompfe in die Hand gedrückt bekommen.
Seine ursprüngliche Wildheit und seinen Reiz hat Jugger durch seine inzwischen offizielle Anerkennung als Sportart aber nicht verloren, ganz im Gegenteil. Davon zeugt schon die Begeis­terung, mit der in ganz Deutschland gejuggert wird: in Hamburg, Bad Oldesloe, Hannover, Lübeck, Lüneburg, Heidelberg, Bielefeld, in Saarbrücken, in Waidhaus, als Universitätssport in Jena und in vielen anderen Städten. Allein in Berlin gibt es über ein halbes Dutzend Mannschaften mit Namen wie Grünanlagen-Guerilla, Jugg Daniels, Rigor Mortis, Falcojugger (Laggerfalke), Superfreunde und Skúll. Sie alle erfreuen sich an dieser schnellen und martialischen, aber ganz und gar nicht militaristischen Sportart.
Ein ganz besonderes Ereignis wird in diesem Jahr die 11. Deutsche Meisterschaft in Berlin sein, denn dort werden die ersten »German Open« abgehalten: Teams kommen extra aus Irland, Dänemark und sogar Australien angereist, um sich hier in der Jagd um den Hundeschädel zu messen. Bis dahin besteht die Möglichkeit, dem Schauspiel in zahlreichen deutschen Städten beizuwohnen, denn die Turniersaison hat gerade begonnen. Und Vorsicht: Wer einmal eine Pompfe zur Hand nimmt, findet sich im Nu im Angesicht des Hundeschädels wieder.

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