Gewalt gegen Ausländer in Südafrika

Krieg der Armen gegen die Ärmsten

Die Gewalt gegen Ausländer in Südafrika ist auch ein Ergebnis der rassistischen Migrationspolitik der Regierung.

»Wir haben die Polizei bereits vor dem Ausbruch der aktuellen Gewalt als xenophob erlebt. Es ist für uns eine alltägliche Erfahrung, dass die Polizei uns schikaniert, um Schmiergelder zu erpressen. Flüchtlinge werden oftmals kriminalisiert, um sie leichter abschieben zu können. Wir halten die Polizei daher nicht für eine neutrale Instanz in den aktuellen Konflikten.« Mit diesen wenigen Worten aus dem Aufruf zu einer Demonstration in Johannesburg gegen die ausländerfeindlichen Angriffe ist die Situation umrissen, in der sich viele afrikanische Einwanderer in Südafrika befinden. Die Eskalation der Gewalt in den vergangenen Wochen kann nicht unabhängig von der rassistischen Migrationspolitik Südafrikas gesehen werden und nicht unabhängig von der Marginalisierung großer Bevölkerungsgruppen.

Knapp zwei Wochen nach dem Beginn der ausländerfeindlichen Angriffe in der Johannesburger Innenstadt und den Armenvierteln in der Region um die Wirtschaftsmetropole beschloss die südafrikanische Regierung, der polizeilichen Bitte nach einem Einsatz der Armee nachzukommen. Die Situation in Johannesburg beruhigte sich zwar, doch bestätigte sich die Befürchtung, dass es zu ähnlichen Aktionen in anderen Teilen des Landes kommen würde. Im Township Kayelitsha vor den Toren Kapstadts zündete der Mob die Wellblechhütten afrikanischer Einwanderer an und plünderte Geschäfte somalischer Besitzer. In der Woche zuvor hatte die seit langem spürbare ausländerfeindliche Grundstimmung zu heftigen gewaltsamen Angriffen auf Einwanderer geführt, die vor allem aus dem krisengeschüttelten Zimbabwe nach Südafrika gekommen waren. In den Armensiedlungen und Townships um Johannesburg kam es zu Menschenjagden und gewalttätigen Übergriffen auf Einwanderer. Ein Angreifer brachte die Vorwürfe auf die Migranten so auf den Punkt: »Sie nehmen unsere Häuser, unsere Jobs, unsere Frauen!«
Nach wenigen Tagen griff die Gewalt auf andere Armensiedlungen und die Johannesburger Innenstadt über. Hier wurden auch Menschen aus Somalia, Pakistan und der Demokratischen Republik Kongo Opfer der Pogrome. Südafrikanischen Medien zufolge hat die Gewalt des Mobs bereits über 50 Menschenleben gefordert. Allein in der Kapregion haben den Berichten örtlicher Medien zufolge 20 000 Menschen ihre Häuser verlassen müssen, im Rest des Landes dürften mindestens ebenso viele zur Flucht gezwungen worden sein. Vielfach flüchteten sie sich in die nächstgelegene Polizeistation oder in kirchliche Einrichtungen, die jedoch, wie im Falle der Johannesburger Metho­distenkirche am Sonntag voriger Woche, ebenfalls von den Angreifern attackiert wurden.

Die Regierung reagierte. Staatspräsident Thabo Mbeki verurteilte die Angriffe als eine Schande für das Land und forderte seine Landsleute zu einem respektvollen Umgang mit Einwanderern auf. Jacob Zuma, der neue ANC-Vorsitzende, erinnerte an die Solidarität, die schwarze Südafrikaner im Befreiungskampf von der Bevölkerung der anderen und angrenzenden afrikanischen Länder erfahren hätten, aus der eine Verpflichtung zur Solidarität mit den Einwanderern erwachsen würde. In Bedrängnis gebracht hat ihn allerdings, dass der Mob in einigen Fällen das Befreiungslied »Umshini Wami«, auf Deutsch etwa: »Bring mir mein Maschinengewehr«, angestimmt hat, das als Höhepunkt bei ANC-Veranstaltungen in den vergangenen Jahren von Zuma persönlich gesungen wurde.
Auf ein wichtiges Zeichen wie einen Besuch von Mbeki und Zuma bei den von der xenophoben Gewalt Betroffenen wartete man bislang vergebens. Dieses Verhalten korrespondiert mit den Erklärungen einiger Regierungsmitglieder. Der Tourismusminister Marthinus van Schalwyk etwa sorgte sich besonders um die Frage, welche Wirkung die Bilder zwei Jahre vor der Fußballweltmeis­terschaft im Ausland erzielen würden. Unterdessen wurde in Regierungskreisen darüber spekuliert, ob eine third force, das heißt eine unbekannte organisierte Kraft, hinter den Attacken stehen könnte. Tatsächlich erscheint es wegen der Tatsache, dass die Angriffe wochenlang andauerten, so, als würden die Gewalttaten insgeheim koordiniert und organisiert.
Von anderer Seite wird dieser Wahrnehmung jedoch widersprochen. Steven Friedmann vom Institute for Democracy in South Africa kritisiert die Regierung für ihren Versuch, nach unbekannten Schuldigen zu suchen, anstatt den eigenen Anteil an der Gewalt aufzuarbeiten. »Seit 1994 wird uns von der Justiz und der Politik eingeredet, dass Menschen aus anderen Ländern eine Belastung für uns darstellen.« In ähnlicher Weise kritisiert das Netzwerk sozialer Bewegungen in Südafrika (SMI), an dem auch einige Flüchtlingsorganisationen beteiligt sind, die offiziellen Reaktionen. Bei der vom SMI organisierten Demonstration bekundeten am Samstag 5 000 Menschen in der Johannesburger Innenstadt ihre Solidarität mit den Angegriffenen.
Südafrika ist aufgrund der vergleichsweise leich­ten Erreichbarkeit, aber auch wegen der Abschottung Europas zu einem Anziehungspunkt für afrikanische Einwanderer geworden. Dabei findet die Migration aus Afrika heute weniger kontrolliert und dokumentiert statt, als es in den siebziger Jahren der Fall war, in denen viele Migranten aus Lesotho und Mozambique zur Arbeit in den Minen vermittelt wurden. Die nach dem Ende der Apartheid neu geschaffenen Migrationsgesetze machen eine legale Einreise nach Südafrika für afrikanische Migranten häufig unmöglich. Gelingt es, eine vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten, ist daran weder eine Arbeits­erlaubnis geknüpft noch erhalten die Einwanderer staatliche Unterstützung.
Der Weg in die illegale Beschäftigung auf dem Bau, als Straßenhändler oder als Hausangestellte ist damit vorgezeichnet. Die damit verbundene Unterminierung von Lohnstandards und Arbeitsrechten wurde von der Regierung in Kauf genommen. Noch vor kurzem erklärte ein Abgeordneter des ANC, Desmond Lockey, dass es keinen Grund dafür gebe, Menschenrechte auch Zuwanderern zu gewähren. Diese faktische Entrechtung in Kombination mit einer ausländerfeindlichen Grundhaltung der Polizei kann als Grund für die ausländerfeindlichen Angriffe und Morde der vergangenen Tage gelten.

Dennoch sind nicht alle Migrantengruppen in gleicher Weise betroffen. Die sozialräumlichen Distanzen und verinnerlichten Wertvorstellungen der Apartheid-Zeit scheinen weiterhin intakt zu sein. Völlig unbehelligt von xenophober Gewalt sind daher Hunderttausende von Europäern, darunter viele Deutsche, die sich in den vergangenen Jahren in den Metropolen niedergelassen haben und die von der Apartheid geschaffenen Faktoren wie ein europäisches Erscheinungsbild der Städte und geringe Löhne für Hausangestellte gerne in Anspruch nehmen.
Auch andere Gruppen wie die nigerianischen Einwanderer sind weitaus seltener Opfer von Angriffen geworden, obwohl sie sicherlich zu den Zuwanderern gehören, die am stärksten stigmatisiert sind. Ein Grund dafür dürfte darin liegen, dass sie im Durchschnitt wohlhabender und in die Innenstädte gezogen sind, die nicht in der gleichen Heftigkeit von der Gewalt betroffen waren wie die Townships und informellen Armensiedlungen am Stadtrand. In diesen haben sich in den letzten Jahren viele Flüchtlinge aus Zimbabwe, Malawi und Somalia angesiedelt, die mit der südafrikanischen Armutsbevölkerung um die wenigen Jobs als Sicherheitskräfte, Gärtner oder Hausangestellte konkurrieren.
Der vom ANC erhoffte trickle-down-Effekt, das Durchrieseln des Wohlstands einer neu entstehenden schwarzen Ober- und Mittelschicht hin zu den unteren Schichten, ist weitgehend ausgeblieben. Stattdessen findet die in Kolonialismus und Apartheid wurzelnde Marginalisierung eines Großteils der schwarzen Bevölkerung in der Post-Apartheid-Gesellschaft eine Fortsetzung. Diese strukturellen Gewaltverhältnisse, der Rassismus und die Armut, die einander wechselseitig bedingen, sind sicherlich nicht alleine ausschlaggebend für die Ereignisse der vergangenen Wochen, aber sie schaffen die Räume, in denen der Krieg der Armen gegen die Ärmsten scheinbar unausweichlich wird.