Finanzkrise und Regulierung

Verschnupfte Märkte

In der Finanzkrise finden auch die Gesund­beter der freien Wirtschaft Gefallen an ­einer stärkeren Regulierung der Finanzmärkte. Doch die Krisen lassen sich nur in ihrem Verlauf beeinflussen, aber nicht verhindern.

Den Finanzmärkten scheint es zurzeit wirklich nicht gut zu gehen. Nachdem vor einigen Wochen Josef Ackermann, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, erklärte, er habe angesichts der Finanzkrise das Vertrauen in die »Selbstheilungskräfte der Märkte« verloren, legte Bundespräsident Horst Köhler kürzlich nach. Dem Stern vertraute der ehemalige Geschäftsführende Direktor des Internationalen Währungsfonds an, dass sich die internationalen Finanzmärkte zu einem »Monster« entwickelt hätten, das kaum noch »Bezug zur Realwirtschaft« habe und das dringend der Regulierung bedürfe.
Wer schon länger an den baldigen Zusammenbruch des Kapitalismus glaubte, wird solche Äußerungen als Bestätigung seiner Visionen nehmen. Wenn schon die berufsmäßigen Gesund­beter des Kapitalismus sich so besorgt äußern, dann muss es mit ihm wirklich bergab gehen.

Bei näherem Hinsehen wird aber deutlich, dass alles nicht so ernst gemeint ist. Ackermann will keine staatliche Regulierung der Finanzmärkte, sondern lediglich eine »Selbstverpflichtung« der Banken zu mehr Transparenz und Vorsicht. Der Bei­trag des Staats soll sich auf finanzielle Stützungs­aktionen beschränken, wie bei der halb­öffentlichen IKB und der Landesbank Sachsen. Und Köhler? Rein zufällig hat er sein Interview gegeben, während über seine Wiederwahl dis­kutiert wird und die SPD sich noch etwas ziert. Da macht sich ein wenig Kritik an den Finanzmärkten nicht schlecht, denn damit steht man so richtig in der »Mitte« der bundesdeutschen Gesellschaft.
Dennoch zeigen sich in Teilen der Finanzmärkte ernsthafte Krisensymptome. Gemeint ist damit nicht, dass Menschen ihre Ersparnisse verlie­ren, arbeitslos werden und die Armut zunimmt. Der Zweck kapitalistischer Produktion ist weder Vollbeschäftigung noch ein hoher Lebensstandard für die Mehrheit der Bevölkerung, sondern einzig und allein die Maximierung des Profits und dessen erneute Verwandlung in Kapital. Nur wenn die Erfüllung dieses Zwecks in Frage gestellt ist, wenn sich Kapital nicht mehr oder nur noch unter erheblich verschlechterten Bedingungen verwerten kann, wenn Teile des Kapitals vernichtet werden, dann kann man von einer kapitalistischen Krise sprechen. Und letzteres ist in einem nicht unbeträchtlichen Teil der internatio­nalen Finanzmärkte der Fall. Solche Krisen der Verwertung sind kein bloß zufälliges Ereignis, son­dern untrennbar mit der kapitalistischen Akkumulation verbunden.

Was ist nun bei der gegenwärtigen Krise passiert? Nach dem vorigen Aktiencrash, der auf das Platzen der Blase der »New Economy« im Jahr 2000 folgte, senkte die US-amerikanische Zentralbank innerhalb kürzester Zeit den Leitzins von sechs auf ein Prozent. Die Banken nahmen zwar gern das billige Geld der Zentralbank, doch um Gewin­ne zu machen, benötigten sie auch Kunden, die dieses Geld als Kredit aufnehmen wollten. Extrem niedrige Hypothekenzinsen schufen dafür einen Markt. Und als die Nachfrage nach Häusern in den USA immer schneller stieg, so dass die Bauwirtschaft nicht mehr mithalten konnte, stiegen auch die Immobilienpreise in rasantem Tempo. Dies erhöhte einerseits die Nachfrage, viele wollten ein Haus kaufen, bevor es noch teurer wurde, andererseits wurden die Banken bei ihrer Kreditvergabe immer großzügiger. Auch Personen ohne Eigenkapital und mit geringem Einkommen erhiel­ten Kredite, nur mit einem saftigen Aufschlag bei den Zinsen (nichts anderes verbirgt sich hinter der ominösen Rede von den »subprime«-Krediten). Die Rückzahlung dieser Kredite war zwar von Anfang an fragwürdig, doch die Hypotheken­banken fühlten sich trotzdem sicher. Einerseits schienen die Immobilienpreise unaufhaltsam zu steigen, so dass, sollte ein Schuldner zahlungsunfähig sein, die Zwangsversteigerung seines Hauses noch genug für die Rückzahlung der Kredite einbringen würde; andererseits wurden die Hypothekenkredite als »Sicherheit« für neuartige Wertpapiere benutzt, die fleißig weiter verkauft wurden, so dass es nicht mehr die Banken, sondern die Käufer dieser Wertpapiere waren, die das Risiko der schlechten Kredite zu tragen hatten.
Seit 2005 stiegen die Leitzinsen in den USA wieder an, Kredite wurden teurer, und die Nachfrage nach Häusern nahm ab. Gleichzeitig wurden immer mehr der »schlechten« Schuldner wegen der steigenden Belastungen zahlungsunfähig, wo­durch das Angebot an (zwangsversteigerten) Häu­sern zunahm. Abnehmende Nachfrage und steigendes Angebot führen zwangsläufig zu sinkenden Preisen. Mit dem Verfall der Immobilienpreise waren auch die ausstehenden Kredite nicht mehr gedeckt, Banken mussten große Mengen Kapital abschreiben, und jene auf Hypotheken beruhenden Wertpapiere, die unter anderem bei deut­schen und schweizerischen Banken ihre Abnehmer gefunden hatten, waren nichts mehr wert und mussten »abgeschrieben« werden. Die Finanz­krise war da.
Während beim »New-Economy«-Boom viele Klein­sparer ihr Erspartes in die Aktien windiger Internetunternehmen gesteckt und verloren hatten, kamen damals die Banken recht glimpflich davon. Bei der gegenwärtigen Immobilienkrise ist dies nicht der Fall: Die Banken gaben be­reitwil­lig Kredite zum Kauf überteuerter Häuser und machten nach der Zahlungsunfähigkeit ihrer Schuld­ner und dem Einbruch der Immobilienpreise kräftig Verluste. Und da jene, mit faulen Hypothekenkrediten besicherten Wertpapiere in aller Welt verkauft wurden, fallen diese Verluste auch in aller Welt an. Weil es sich jetzt vor allem um die Verluste der Banken handelt, wurden die Finanzmärkte durch die Immobilienkrise weit mehr erschüttert als durch das Platzen der »New-Economy«-Blase.
Droht nun der »Kollaps des Finanzsystems«? Wohl kaum. Die bislang angefallenen Verluste von rund 270 Milliarden US-Dollar können die Finanzmärkte, an denen ein Vermögen von rund 150 000 Milliarden angelegt ist, verkraften, selbst wenn sie sich noch verdoppeln oder verdreifachen würden. Nicht zuletzt, da die Zentralbanken bisher stets bereit waren, bei Liquiditätsschwierigkeiten mit einer schnellen Ausweitung ihrer Kreditvergabe zu reagieren. Allerdings ist nicht auszuschlie­ßen, dass zu den bislang erfolgten Beinahe-Bank­pleiten und Übernahmen (Nor­thern Rock in Groß­britannien, Bear Stearns in den USA, die Landesbank Sachsen in Deutschland) noch weitere hinzukommen. Damit führt die Krise zu einer stärke­ren Konzentration im Finanzsektor und verbessert die Profitaussichten der verbleibenden Unter­nehmen.
Ziemlich wahrscheinlich ist weiterhin eine Rezession in den USA. Von der Immobilienkrise sind nicht nur diejenigen betroffen, die ihre Häuser verloren haben, sondern auch die Hausbesitzer, deren Häuser an Wert verloren haben. Die Aufnahme einer zusätzlichen Hypothek, um Konsum­ausgaben zu finanzieren, wird damit unmöglich. Der private Konsum, der für die stark am Binnen­markt orientierte US-amerikanische Wirtschaft von großer Bedeutung ist, dürfte also abnehmen.

Die Schwäche des US-amerikanischen Marktes wird sich auf die europäische, insbesondere auf die exportorientierte deutsche Wirtschaft auswirken, allerdings nur begrenzt. Im ersten Quartal 2008 gab es in Deutschland sogar rekordverdächtige Wachstumsraten (die jedoch für den Rest des Jahres schwächer ausfallen dürften). Die Exporte in die USA besitzen längst nicht mehr die Bedeutung, die ihnen noch vor ein paar Jahren zukam. Hieß es in den vergangenen Jahrzehnten, wenn die amerikanische Wirtschaft einen Schnup­fen hat, bekommt die Weltwirtschaft eine Grippe, sieht es jetzt eher so aus, dass die US-Wirtschaft eine Grippe bekommen wird, während der Rest der Welt wahrscheinlich mit einem Schnupfen da­vonkommt.
Längst spielen die USA nicht mehr allein die entscheidende Rolle für die Weltkonjunktur. Das ökonomische Gewicht Europas ist gewachsen, ebenso das Asiens, vor allem in China und Indien sind neue Zentren kapitalistischer Akkumulation entstanden. Von der Asien-Krise, die einige der Zu­sammenbruchstheoretiker hierzulande für den Anfang vom Ende des Kapitalismus hielten, ist auf der Seite des Kapitals nicht mehr viel zu spüren. Dass die Menschen in Ostasien enorme Verschlech­terungen ihres Lebensstandards hinnehmen muss­ten, ist für das kapitalistische System nur ein Kollateralschaden – zumindest so lange diese Menschen nicht revoltieren.

Eine nicht unwichtige Auswirkung scheint die Finanzkrise allerdings zu haben. Der Deregulierungsoptimismus, das blinde Vertrauen in die angebliche »Effizienz« möglichst »freier« Märkte, das schon in den vergangenen Jahren merklich abgenommen hat, ist nunmehr ziemlich erschüt­tert. Nicht weitere Deregulierung, sondern erneute Regulierung, um künftig »Fehlentwicklungen« zu verhindern, ist das beherrschende Thema. Ob es tatsächlich zu einer »Re-Regulierung« der Finanzmärkte kommt, ist aber noch längst nicht ausgemacht, eventuell bedarf es dazu erst noch einer weiteren Krise.
Unterstellt wird bei den verschiedenen Regulie­rungsvorschlägen, man könne eine »gesunde« kapitalistische Entwicklung von derartigen, auf Spekulation und gierigem Gewinnstreben beruhenden »Fehlentwicklungen« trennen. Dass aber beides zusammengehört, dass jede kapitalistische Produktion mit Finanzspekulationen einher­geht, dass es der Verwertungsprozess selbst ist, der den Keim der Krise in sich trägt, kann man zwar nicht bei Adam Smith, Friedrich von Hajek oder Milton Friedman lernen, aber durchaus bei Karl Marx. Regulierungen der Finanzmärkte werden zwar den Verlauf von Krisen verändern können, verhindern lassen sich Krisen der Kapitalverwertung aber nicht. Dazu müsste schon der bornierte Zweck kapitalistischer Produktion geändert werden – aber dann wäre es auch kein Ka­pitalismus mehr.