Welche Tasche ist die beste?

Das Zeug muss mit

Im Winter hatten wir alles in der Jacke verstaut. Dann begann der Frühling. Wie jedes Jahr aufs Neue waren wir irritiert: Wohin jetzt mit all dem Krempel? Deshalb reden in diesen Tagen alle über Taschen. Alte Klischees stimmen nicht mehr. Selbst Gender-Studentinnen tragen heutzutage zuweilen ­Damenhandtaschen, und in Gürteltaschen findet sich längst nicht mehr nur der Zahnschutz ostdeutscher Provinz-Hooligans. Aber welche Tasche ist die beste?

Perle für Kerle
Herrenhandtasche. Viele denken bei dem Wort »Herrenhandtasche« an ein Sixpack Bier. Dabei ist es, wie das Wort sagt, eine ganz normale Tasche für Herren. Denn, frau glaubt es kaum, auch Männer besitzen Gegenstände, die nicht »Auto« oder »Stereoanlage« heißen. Sicher: Nicht so viele wie Frauen, aber Geld, Schlüssel, Drogen, Kondome, Handy – das haben sogar wir. Für Damenhandtaschen sind wir noch nicht queer genug, deshalb sieht eine Herrenhandtasche auch eher wie ein monströses Portemonnaie aus. Man trägt sie an einer Schlaufe ums Handgelenk, damit sie nicht verloren geht, und damit wir sie schnell zur Hand haben, wenn uns eine Dame nach Feuer fragt oder der Kokser auf dem Klo nebenan nach einer Kreditkarte.
Thema Ästhetik: Gut, daran muss noch gearbeitet werden.
Thema Sexismus: Die Herrenhandtasche ist zugegebenermaßen einerseits sehr männlich kodiert, weil sie sich demonstrativ von der Damenhandtasche abgrenzt. Weil sie allein durch ihr Äußeres sagt: »Ich transportiere keinen Weiber-Tüddelkram, sondern Geldscheine, Ausweise und Eintrittskarten fürs Fußballstadion.« Gleichzeitig aber ist sie sehr feminin, weil sie eben am Ende doch ein Handtäschchen ist, und deshalb früher als »Tuntentäschchen« bezeichnet wurde. Sie ist sozusagen Queer für Einsteiger. Der Boom der Herrenhandtasche steht noch bevor.
ulrich nieber

Der Tornister-Mensch
Rucksack. Zuerst lief der Mensch auf allen Vieren; da war er aber noch kein Mensch. Dann erlernte er den aufrechten Gang und hatte die Hände frei, um allerlei nützliches Werkzeug zu benutzen, das er erfunden hatte. Wohin aber mit all dem Zeug auf den täglichen Besorgungsgängen? Die Hände ständig voll zu haben, ist auch nicht viel besser, als auf allen Vieren zu laufen. Zum Glück erfand irgendwann jemand den Rucksack und trieb damit die Entwicklung des aufrechten Ganges zur Vollendung.
Seitdem wurde mit dem perfekten Konzept des Rucksacks viel herumexperimentiert, nur: Besser wurde es einfach nicht. Natürlich hat jeder die freie Wahl, seine Habseligkeiten in einer Tasche, Tüte oder auch einem Bollerwagen mit sich herumzuführen. Ästhetisch gesehen, mag das sogar einen Fortschritt darstellen, evolutionstechnisch gesehen, macht es die Träger wieder zu Dreifüßern/Einhändern, also Halbaffen.
Und was die Schultertaschen angeht: Höchstwahrscheinlich stammt das ihr anhaftende Prädikat »stylisch« aus der Zeit, in der der Besitz eines tragbaren Computers Ausdruck eines besonders urbanen und kreativen Lebensstils war. Da heutzutage aber fast jeder einen Laptop besitzt, oder zumindest eine Tasche, die den Besitz eines solchen suggeriert, hat die Schultertasche als Distinktionsmerkmal der digitalen Boheme ausgedient.
josefine haubold

Tragbares Universum
Handtasche. In den neunziger Jahren, halleluja!, tauchte sie plötzlich in allen Farben und Formen auf, und man musste wochenlang shoppen gehen, um im Meer der Handtaschen für sich die passende herauszufischen. Klar, Handtaschen haben etwas leicht Tussihaftes, was daran liegt, dass sie sich jedem Gender Mainstreaming widersetzt haben und exklusiv für Frauen sind. Will man es als Mann zur Handtaschenreife bringen, müssen erst mal viele Semester Genderstudies absolviert werden. Hat man eine, weiß man: Was aussieht wie eine stinknormale Handtasche, ist in Wirklichkeit ein ganzes eignes Universum, in dem Lippenstifte, Tampons, Regenschirme ihre Bahnen ziehen.
Im Gefolge von 68 waren Handtaschen so gut wie ausgestorben, Frauen sollten ihre Besitztümer im Lätzchen der lila Malerhose unterbringen, und viel besitzen war ohnehin nicht. Gott sei Dank weigerte sich eine Lady eisern, ihr Täschchen aus der Hand zu geben. Danke, Maggie. Konnte eine Frau überhaupt noch fester mit ihrer Handtasche verschweißt sein als die britische Premierministerin? Ja, Angela Merkel, das zweite große Handtaschen-Trägerinnen-Vorbild der Gegenwart, beeindruckte mit ihrer revolutionären, nach dem Armbanduhr-Prinzip gefertigten Handgelenktasche, die als schwe­bende Zaubertasche Modegeschichte schrieb. Dagegen ist selbst die Eiffelturm-Handtasche aus »Sex and the City« ein Langweiler.
heike karen runge

Born to be free
Hosentasche. »Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten!« heißt es im Kommunistischen Manifest. Was Marx und Engels nicht bedachten: Der Schlüsselbund könnte noch abhanden kommen, oder die Chipkarte, sollte der Proletarier das Glück haben, krankenversichert zu sein. Und das bisschen Kleingeld, das er mit einer schlecht bezahlten Arbeit oder Hartz IV zusammenkratzen kann, darf selbstverständlich auch nicht verloren gehen. Um das Handy wäre es ebenfalls schade.
Die Kette trägt man aber, wenn überhaupt, um den Hals. Und die anderen Habseligkeiten passen bequem in die Hosentaschen. Und nur da gehören sie hin. Warum die unter der Last der stupiden täglichen Verrichtungen ohnehin gekrümmten Schultern mit einem Rucksack beschweren? Warum die Gürteltasche um die von der bürgerlichen Libidoökonomie zur Genüge in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkte Hüfte schnüren? Warum die Hände mit einer zu tragenden Handtasche wieder nur zu den funktionierenden Tentakeln degradieren, die sie auch unter dem immergleichen, jede tastende Sinnlichkeit abtötenden Rhythmus der Lohnarbeit sind?
Nein, nur wer sich der Handtaschen, Rucksäcke, Gürteltaschen und anderer Zwangsinstrumentarien entledigt und seinen Kleinkram unbeschwert in der Hosentasche mitführt, spürt ihn: den kleinen Vorschein einer großen, umfassenden Freiheit.
markus ströhlein

Urbane Erfüllung
Umhängetasche. Ja, schon klar. Halb Berlin läuft damit rum. Aber die Mehrheit muss ja nicht immer falsch liegen. Die Umhängetasche hat in den neunziger Jahren glücklicherweise den hoffnungslos veralteten Rucksack als Alltagsbegleiter verdrängt. Und das ist auch gut so. Wer wollte schon in jene Zeit zurück, als Studenten auf dem Weg zur Uni aussahen wie ein Luis-Trenker-Fanclub? Gelegentlich gemahnt ein Ewiggestriger daran, wenn er einem beim Umdrehen in der U-Bahn gekonnt ungelenk den Coffee-to-go aus der Hand schlägt. Das gerne vorgebrachte Argument, es sei halt praktisch, einen Rucksack zu tragen, kann natürlich nicht gelten. Erstens hat einem damit schon die Oma Strickpulli und Wollsocken andienen wollen. Zweitens gibt es längst Taschen, die sich bei Bedarf auch auf dem Rücken fest­schnallen lassen.
Das wichtigste aber: Mit einer Umhängetasche sieht man einfach cooler aus. Es ist das Nonchalante, Individualistische, Kreative und Beiläufige, das den Träger – die Trägerin sowieso – zu einem zeitgemäßen Metropolenbewohner macht. Ganz nebenbei haben Männer so gelernt, warum Frauen Handtaschen benutzen. Seitdem die Umhängetasche im Alltag normal ist, trägt man(n) sie in kleinerer Ausführung auch abends im Club. Denn seien wir ehrlich: Tabak und Kaugummis in den Hosentaschen zu verstauen – das hat doch immer genervt.
steffen küßner

Tanz mit ihr!
Gürteltasche. Jetzt bitte nicht an die hässlichen Taschen denken, die bekanntlich an hässlichen Touristenbäuchen wackeln! Hier geht um kleine, schicke, oft liebevoll handgemachte Gürteltaschen aus Stoff, Leder und Luftmatratze, die derzeit vor allem in der Raverszene der absolute Hit sind. Ähnlich wie die Touri-Taschen aus dem Trekkingladen bieten sie einen minimalistischen Komfort, der auf dem Dancefloor nur von Vorteil sein kann und dabei verdammt cool aussieht. Egal ob auf einem Open-Air-Festival oder in einem Club, den eigenen Kleinkram beim Tanzen am eigenen Körper zu tragen, ohne sich dabei die Hosentaschen voll zu stopfen (total unsexy!), erspart einfach eine Menge Stress. Denn es versteht sich von selbst, dass die Frage »wohin mit dem Zeug?« auf einer Technoparty eine ganz entscheidende Rolle spielt. Nichts muss gesucht oder mühsam erreicht werden, die Bewegungsfreiheit dabei ist total. Und am nächsten Mittag muss man sich keinen Stress machen, seinen ganzen Kram zusammenzusuchen. In eine Gürteltasche passt alles, was man zum feiern braucht, nicht mehr und nicht weniger: Das ganz wichtige Zeug kommt in die kleine, mit Extra-Reißverschluss versehene Innentasche, dann kommt der Rest – Handy, Zigaretten, Kaugummis und Taschentücher.
bianca ravel