Der »Clan du Néon« geht in Frankreich gegen Neonreklame vor

Der Letzte macht das Licht aus

Der »Clan du Néon« aus Frankreich hat genug von Neonreklame und macht in nächtlichen Straßen das Licht aus.

Die Logos stapeln sich zu chaotischen Litaneien, ihre Bedeutung verflüchtigt sich, die Werbung wird zum leeren Signal … Es ist, als ob die Arterien unserer Städte zu traurigen dadaistischen Gedich­ten werden«, heißt es im Beaux Arts Maga­zine vom Januar 2008 über Fotomontagen des Künstlers Alain Bublex. Sie zeigen ein mit bunter Neon­reklame überladenes Paris, das an Stadträume erinnert, die beispielsweise in Japan oder China längst real existieren und die auf ihre Weise eine ganz eigene Ästhetik und Urbanität entfalten. Als Katastrophenszenario und Horrorvision werden derartige Räume von einer Gruppe in Frankreich gedeutet, die sich »Clan du Néon« nennt. Bublex’ Fotoserie gilt diesem »Clan du Néon« als abschreckendes Beispiel, als Worst-Case-Szenario, das zu verhindern die Gruppe sich zur Aufgabe gemacht hat.
Nächtliche Neonreklame eigenmächtig auszuschalten – so lautet demnach das simple Projekt der Bewegung, die im Sommer 2007 in Paris mit den Aktionen zweier Freunde ihren Ausgang nahm. Mittlerweile berufen sich Unter­gruppen in zahlreichen französischen Städten auf die Idee der Urheber des »Clan du Néon«, die sie unermüdlich reproduzieren und zur Selbstver­gewisserung als »You Tube«-Filme auf einem Weblog veröffentlichen, das als zentrales Forum des Clans fungiert. Diese Filme verlaufen im Wesentlichen alle gleich: Gruppen fröh­licher junger Menschen streifen durch die Tristesse nächtlicher Fußgängerzonen. Sie tragen bunte Perücken und andere seltsame Kopfbedeckungen – die zum Dresscode geronnene, karnevaleske Kleiderordnung war anfangs vielleicht nicht unbedingt ernst gemeint, wird nun aber um so ernster genommen. Neben den Werbeschildern der ansässigen Läden hüpft jemand kurz an der Wand hoch oder betätigt den dort angebrachten Sicherungshebel mit einem langen Stock. Dann geht im Werbeschild das Licht aus, was mit begeistertem Applaus begrüßt wird. Ab und an macht jemand einen Handstand. Dazu läuft Musik von Jimi Hendrix oder HipHop.
Es ist nichts Neues, dass insbesondere junge Menschen einfach Spaß daran haben, Dinge sichtbar zu verändern: Laternen auszutreten, Papierkörbe mit Knallern explodieren zu lassen oder eben Neonschilder auszuknipsen. Aber der »Clan du Néon« legt Wert darauf, durch seine öffentlichen Auftritte zu vermitteln, gerade nicht nur aus Spaß, aus reinem Übermut oder gar Langeweile zu handeln. Denn seinen Akteuren geht es nicht zuletzt um Akzeptanz und Verständ­nis für ihre Sache, ähnlich wie vielen »street artists«, die immer wieder versichern, dass sie Kunst produzieren und damit ihre Umwelt nur verschönern wollen. Daher arbeiten sie eben nicht mit Zeichen, die die anderen nicht verstehen, sondern liefern stattdessen vernünftige Erklärungen. Kaum etwas ist schließlich beunruhigender als scheinbar grundloses oder nicht nachvollziehbares Handeln.
Der »Clan du Néon« versteht sich ganz gut auf PR, also auf Werbung in eigener Sache, er weiß, wie man Aufmerksamkeit erzeugt. Alle wichtigen Zutaten sind im Weblog versammelt: Manifest, Selbstauskunft in Interviewform, Regeln, Ziele. Die Mission ist einfach und klar: Neon­reklame ist Stromverschwendung und eine überflüssige Verunstaltung des öffentlichen Raums mit Werbung, da deren Adressaten nachts angeb­lich längst im Bett lägen. Deshalb soll derartige Reklame mittels eines Dekrets oder Gesetzes so weit wie möglich unterbunden werden. Solche Rufe nach Energiesparmaßnahmen und einer administrativen Kontrolle von Werbung – hier hat São Paulo mit einem temporären Verbot jeglicher Außenwerbung im vergangenen Jahr den Kurs vorgegeben – liegen im Trend und garantieren der Gruppe Applaus von allen Seiten, von der Presse über konsumkritische Verbände und Hobbyastronome bis hin zum französischen Umweltminister. Selbst die Werbetreibenden haben keinen Grund, sich angegriffen zu fühlen, denn der »Clan du Néon« geht nicht nur äußerst friedlich vor, sondern argumentiert letztlich in ihrem Sinne, wenn er meint, nächtliche Leuchtreklame sei aufgrund mangelnder Aufmerksamkeit ein sinnloser Kostenfaktor und damit einfach unökonomisch. Man könne stattdessen auch mit aus Holz geschnitzten oder aufgemalten Schrift­zügen werben, Bildbeispiele werden gleich mitgeliefert.
Die Gruppe sorgt sich also in erster Linie um Wirtschaftlichkeit, sie fordert nichts anderes als mehr Effizienz und Kontrolle. Im Versuch, zu optimieren und vermeintliche Missstände zu beheben, appelliert sie an die Verantwortung des Einzelnen und befindet sich damit vollkommen im Einklang mit der gegenwärtigen Stimmung. Allerdings bezeichnet sie ihre Aktionen als »Protest«, an wen auch immer der gerichtet sein mag, und gefällt sich in der In­sze­nie­rung und Wiederholung einer von ihr selbst als durchaus »provokativ« und »widerständig« verstandenen Geste.
Diese ist in Wirklichkeit ein exemplarisches Beispiel reiner Wohlfühldissidenz, nicht nur, weil auf keinen Fall einmal gewonnene Sympathien aufs Spiel gesetzt und sämtliche Risiken vermieden werden, sondern auch, weil dem Ganzen ein umfassendes Einverständnis zu Grunde liegt. »Löscht nicht die Lichter von Cafés oder Geschäften, die noch offen sind«, lautet eine Bitte an alle Nachahmer. Als dann die Gruppe in Limoges doch einmal einen noch aktiven Bankautomaten verdunkelt, äußert ein besorgter Mitstreiter sofort seine Angst, die Glaubwürdigkeit der Bewegung könne unter solchen Aktionen leiden. Freiwillige Selbstkontrolle und bloß keine Unvernunft – der »Clan du Néon« ist bereit, sich auf das vorgegebene Niveau der Auseinandersetzung einzulassen.
Dazu passt, dass er sich mit einem gesellschaftskritischen Diskurs identifiziert, dessen Lieblingsfeindbild ausgerechnet die Werbung ist, an der man sich mit all der Kraft und Energie abarbeitet, die dann an anderen Stellen so dringend fehlt. Wer Werbung heute jedoch noch ernst nimmt und sich von ihr beeinflussen lässt, der ist selbst schuld. Wir sind eben nicht die hilflosen Betrachter und wehrlosen Opfer, als die wir immer wieder gerne beklagt werden. Warum wird dem zeitgenössischen Rezipienten ein offensiver und konstruktiv-kritischer Umgang mit den Dingen, die ihn umgeben, nicht zugetraut? Stattdessen wird er von vorneherein in die schwache Posi­tion einer Defensive verwiesen, in ein ängstliches Zurückweisen scheinbarer Bedrohungen. Er soll sich zur Wehr setzen, Raum verteidigen, die Kontrolle behalten, vermeintlich Verlorenes zurückerobern, auf eine frühere Stufe zurückkehren, die angeblich besser war. Genausogut könnte er sich jedoch auch ganz andere Ziele setzen, nämlich zum Beispiel Experimente zu wagen, neues Terrain zu erkunden und ungeahnte Entwicklungen zu nutzen und zu forcieren.
Um auf die eingangs erwähnte Fotoarbeit von Alain Bublex zurückzukommen: Es stimmt, dass die hier gezeigten chaotisch und unkontrolliert wuchernden Lichtinszenierungen irgendwann einen Punkt erreichen, an dem sie sich selbst komplett ad absurdum führen und zu ihrer eigenen Karikatur werden, freigestellt in völliger Bedeutungslosigkeit. Aber läge nicht gerade in einer solchen Implosion durch Inflation ein Potenzial, das eine ganz neue Qualität im Umgang mit Werbung aufzeigt? Was wäre so schlimm daran, sie nicht als bösen Aggressor zu begreifen und ihr gerade so Macht und Autorität zuzu­gestehen, sondern sie absichtlich misszuverstehen und gar nicht erst als das zu akzeptieren, was sie möglicherweise sein will? Wenn die Straßen der Stadt ohne Neonreklame zu dunklen Löchern werden, sind sie nur auf eine andere Art und Weise trist. Werden sie mit den Leuchtschriften dagegen tatsächlich zu unsinnigen »dadaistischen Gedichten«, sind sie eins mit Sicherheit nicht: traurig.

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