Die Kämpfe innerhalb der albanischen Minderheit in Mazedonien

Fliehkräfte sind am Werk

Bei der Wahl in Mazedonien kam es zu ­einem Toten, Schießereien und Unregel­mäßigkeiten. Die Verteilungskämpfe ­innerhalb der albanischen Minderheit werden mit harten Bandagen geführt.
Von

Wenn in dem kleinen Balkanland Mazedonien gewählt wird, schrillen bei der EU immer noch regelmäßig die Alarmglocken. Dabei verläuft die Hauptauseinandersetzung gar nicht zwischen Mazedoniern und Albanern, die etwa 25 Prozent der Bevölkerung Mazedoniens ausmachen. Die Gewalt des Wahltags war Ausdruck eines sich zuspitzenden Verteilungskampfs innerhalb der albanischen Gemeinschaft.

Trotz strenger Sicherheitsvorkehrungen und dem Einsatz von 13 000 Polizisten war es bei der Parla­mentswahl am 1. Juni erneut zu Unregelmäßigkeiten gekommen. Bewaffnete Gruppen überfielen Wahllokale und bedrohten die Wähler. In ei­nigen Orten wurden Wahlurnen gestohlen, die später voll gestopft mit gefälschten Stimmzetteln wieder auftauchten. Mehrere Schießereien führten zu einem Toten und mehreren Verletzten.
Und das alles ausgerechnet in Mazedonien, einem Land, das von Diplomaten immer gerne als Beispiel genannt wird, wenn auch einmal die Erfolge der europäischen Balkan-Politik herausgestellt werden sollen. Im Jahr 2001 war das Land an den Rand des Bürgerkriegs geraten, als albanische Guerillas damit begannen, Anschläge auf Polizisten und Soldaten auszuüben. Durch die Vermittlung der EU konnte eine Ausweitung des Konflikts jedoch verhindert und Mazedonien als multiethnischer Staat erhalten werden. Seitdem ist es ruhig geworden um die ehemalige jugoslawische Teilrepublik.
»Einen Triumph, keinen normalen Sieg« hatte der amtierende konservative Ministerpräsident Mazedoniens, Nikola Gruevski, gefordert. Mit 48 Prozent der Stimmen für seine Partei mit dem sperrigen Kürzel VMRO-DPMNE, die einen extrem nationalistischen Wahlkampf geführt hatte, bekam er bei der Wahl, was er wollte. Die sozialdemokratisch geführte so genannte Sonnen-Koali­tion SDSM kam dagegen lediglich auf 23 Prozent, die beiden Parteien der albanischen Minderheit Demokratische Union für Integration (DUI) und Demokratische Partei der Albaner (DPA) auf zwölf bzw. elf Prozent der Stimmen. Von einem histo­rischen Sieg sprach Gruevski daraufhin. Sein Land habe eine »strahlende Zukunft« vor sich. Weniger erfreut waren dagegen Vertreter der EU und OSZE. Denn was abermals als Test für die Europa-Tauglichkeit des Landes deklariert war, ging aus ihrer Sicht gründlich daneben.
Wer etwas von dem Konflikt verstehen will, muss nach Tetevo fahren, der heimlichen Hauptstadt der albanischen Minderheit. Hier, im Nordwesten Mazedoniens, am Fuß eines mächtigen Gebirgsmassivs, das Mazedonien vom Kosovo trennt, haben die beiden wichtigen albanischen Parteien ihre Hauptquartiere. Ihre Fahnen hängen an fast jeder Straßenlaterne: Rot für die DPA, Blau für die DUI.

Doch auch wenn sich die DUI mit ihren marxistisch-leninistischen Wurzeln sozialdemokratisch gibt und die DPA konservativ – ideologische Programme spielen praktisch keine Rolle. »Es sind einfach nur zwei unterschiedliche Job-Agenturen, die nur ein einziges Ziel verfolgen, nämlich an der Regierung beteiligt zu werden«, erklärt Bujar Luma, Leiter eines Kulturzentrums, den er­bitterten und in Tetevo mit allen Mitteln ausgetragenen Kampf zwischen den beiden Parteien. Denn wer die Macht hat, verfügt über finanzielle Mittel und kann Posten vergeben. Umgekehrt gilt: Wer nichts zu verteilen hat, dem wird die Unterstützung entzogen. Auf der richtigen Seite zu stehen, hat in einer Klientelwirtschaft, wo selbst noch die Posten in den Mautstationen der Autobahnen nach Parteizugehörigkeit vergeben werden, somit eine geradezu existenzielle Bedeutung – verspricht die richtige Wahl doch einen Anteil an den zu verteilenden gesellschaftlichen Ressour­cen.
Mittlerweile sehen immer mehr Beobachter sogar in dem bewaffneten Aufstand der Albaner von 2001 weniger einen ehrenwerten Kampf um mehr Rechte, sondern auch dort schon den Kampf um Macht und Einfluss innerhalb der albanischen Minderheit am Werk. Mehr Rechte bekamen die Albaner zwar auch. Vor allem aber kamen nun die bis dahin zu kurz gekommenen Guerillas um den Rebellenführer Ali Ahmeti an die Macht, die mit ihrer neu gegründete Partei Demokratischen Union für Integration die bislang mitregierende DPA ablöste.
Die Pfründe wurden daraufhin neu verteilt, streng nach ethnischem Proporz. Das Machtgefüge innerhalb der albanischen Minderheit änderte sich erneut nach den Parlamentswahlen von 2005. Erneut hatte die DUI die Mehrzahl der Stimmen unter den Albanern gewinnen können. Doch Wahlsieger Gruevski entschied sich damals für die kleinere DPA als albanischen Koali­tionspartner. Die DUI, die sich als wahre Repräsentantin der albanischen Interessen sieht, reagierte mit Gewaltdrohungen, Demonstrationen und einem zeitweiligen Parlamentsboykott.
Welche der beiden albanischen Parteien an der künftigen Regierung beteiligt sein wird, ist auch diesmal wieder die entscheidende Frage, deren strategische Bedeutung alle inhaltlichen Überlegungen in den Hintergrund drängen wird. Gruevski hat bereits durchblicken lassen, erneut mit der DPA zusammengehen zu wollen. »Das wäre eine schwere Provokation«, sagt Musa Xafherri im Gespräch mit Jungle World. Xafherri, der der DUI angehört, war bis 2006 stellvertretender Ministerpräsident Mazedoniens. Etwas nebulös spricht er zudem von »Chaos«, in das Mazedonien daraufhin »abrutschen könnte«.

Auf jeden Fall würde eine Regierungsbeteiligung der DPA die Kräfte stärken, die eine weitere Fö­deralisierung des Landes bis hin zur faktischen Auf­lösung des mazedonischen Staats verfolgen. Unabhängige Beobachter wie Bujar Luma vermuten, dass die Regierung sogar ein Interesse daran haben könnte, eine größere Reaktion zu provozie­ren. »Es gibt Anzeichen einer langsamen Teilung des Landes«, berichtet er. Und entgegen den offiziellen Bekundungen gegenüber der EU habe die Regierung eigentlich auch kein Interesse, dem entgegenzuwirken. »Mazedonier und Albaner wollen eigentlich nichts mehr miteinander zu tun haben. Du siehst es in der Regierung, in den Institutionen, und du fühlst es innerhalb der nor­malen Bevölkerung.«
Zusätzlich brenzlig wird die Lage durch die Unabhängigkeitserklärung des benachbarten Kosovo. Die Albaner Mazedoniens drängen auf eine schnelle Anerkennung, während die Verantwortli­chen der mazedonischen Parteien zögern. Sollte sich etwa der serbisch bewohnte Norden des Kosovo seinerseits abspalten und damit die jetzt schon faktische Teilung der Provinz besiegelt wer­den, befürchten nicht wenige, dass auch die albanische Frage erneut auf den Tisch kommen könnte.
Vor einer Kneipe der DPA in Tetevo stehen ei­nige junge Menschen um eine schwarze Limousine. Sie tragen Pistolen unter ihren T-Shirts und warten. Auf die Frage, ob sie dafür seien, alle Albaner in einem Staat zu vereinigen, schütteln sie den Kopf. Mit der Unabhängigkeit des Kosovo sei das nicht mehr nötig. »So ist es doch viel besser«, meint einer. »Jetzt haben wir drei Staaten.«