Die »GrünLinken«

Gut, wahr, schön und grün

Nicht nur der »Pullerskandal« erschüttert die Grünen. Auch wollen einige Mitglieder, dass die Partei wieder ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei wird. Sie haben ein Manifest geschrieben und mögen Jürgen Trittin.

Robert Zion hat große Ziele. Nicht weniger als die Linke in seiner Partei und am liebsten noch über seine Partei hinaus will der 42jährige Grüne erneuern. Dazu hat er ein »Manifest« verfasst. Es trägt den Titel »Links-libertär«. Sein Aufruf sei »Ausdruck eines dringenden Bedürfnisses nach einem Aufbruch in eine andere Gesellschaft, nach Transformation und Emanzipation, nach Alternativen in einer zugleich müde, autoritär und ritualisiert gewordenen Parteienkultur«, sagt Zion. Klingt cool, oder?

»Was wir anzubieten haben, ist Freiheit und ­Solidarität«, heißt es in Zions Manifest. Der diplo­mierte Sozialwissenschaftler fordert »neue Akteure, ein neues Sensorium, eine neue Sprache, ei­ne neue Politisierung und neue Bündnisse«. Sein Zauberwort lautet: »solidarischer Individualismus«. Dieser verlange nach einer »neuen Basis«. Daher mache er, Zion, »allen, die mit uns aufs freie Feld hinaus« wollten, ein »neues Angebot«: »den ÖkologInnen, den FreiberuflerInnen und Selbstständigen, den Friedensbewegten, den FeministInnen und MigrantInnen, den Prekarisierten, den Erwerbslosen, den Kreativen und der digitalen Bohème«. Aber er ist bescheiden. Zunächst würden ihm schon 500 Unterschriften reichen. Die Unterzeichner können dann von sich sagen, sie seien »aus Überzeugung emanzipatorisch und links, was für uns dasselbe ist«.
Seit seinem Coup auf der Göttinger »Afghanistan-Bundesdelegiertenkonferenz« im September vergangenen Jahres, als Zion die Nomenklatura der Partei lehrte, was wahrer Frieden ist, gilt der Kreissprecher der Gelsenkirchener Grünen als politischer Aufsteiger. Mit ihm hat die über die Jahre so arg dezimierte und desavouierte Parteilinke plötzlich und unerwartet wieder ein Gesicht bekommen. Zu rot-grünen Regierungszeiten sorgte sie vor allem dadurch für Aufsehen, dass ihre Protagonisten von Claudia Roth bis Jürgen Trittin sich im Zweifel stets fürs Dabeisein entschieden: für den Abbau von Sozial- und Grund­rechten, für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien.
Zion, gelernter Koch und Mitglied bei Attac, der eine Zeit lang Philosophie studierte und ein Programmkino betrieb, steht indes für das Gute, Wahre, Schöne. Sogar jene längst abgerissenen vier »Grundsäulen« der Grünen will er wieder aufrichten lassen: ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei. Aber ein »Fundi« ist er sicher nicht. Sonst wäre er, der Willy Brandt und Petra Kelly als seine politischen Vorbilder bezeichnet, wohl nicht erst im Jahr 2002 bei den Grünen eingetreten – also zu einem Zeitpunkt, als andere desillusioniert über die rot-grüne Regierungstristesse die Partei in Scharen verließen.
In einem »schmerzhaften Prozess« hätte die Gründergeneration gelernt, »regierungsfähig« zu werden. Jetzt sei es notwendig, »unsere Oppositionsfähigkeit wieder zu erlernen«. Das erst werde ein »endgültiges Ankommen in der Politik bedeuten«. Dazu gehöre neben einer »schonungslosen Aufarbeitung des Systems Fischer« auch ein »Generationenumbruch« – für manche aus der in die Jahre gekommenen Funktionärsriege der Grünen eine Horrorvorstellung.

Wirkliche Sorgen müssen sich die einst in den Kämpfen der siebziger Jahre zwischen K-Gruppen und Spontis gestählten Altvorderen um Jürgen Trittin indes noch nicht machen. Denn es ist alles nicht so ernst gemeint, wie es klingt. Trittin darf durchaus mit der Unterstützung von Zion & Co. rechnen, wenn es um die Frage geht, ob er als grüner Spitzenkandidat für die Bundestagswahl nominiert wird. Dazu müsse er allerdings »unsere Themen erkennbar wahrnehmen«, ­beschlossen die »GrünLinken« auf ihrem Treffen im Kasseler Philipp-Scheidemann-Haus am ­vorvergangenen Wochenende. Die unvermeid­liche Claudia Roth kann bei ihrer erneuten Kan­didatur für den Parteivorsitz auf der Bundesdelegiertenkonferenz Mitte November in Erfurt die Zustimmung des linken Parteiflügels bereits fest einplanen.
Dass sich Zion selbst bei der kommenden Bundestagswahl um einen aussichtsreichen Platz auf der nordrhein-westfälischen Landesliste ­bewerben wird, halten grüne Parteistrategen für ausgemacht. Und sie räumen ihm die besten Chancen ein. Ökonomisch betrachtet dürfte der Parlamentsjob für einen »Angehörigen des akademischen Prekariats« (Zion über Zion) zumindest nicht uninteressant sein. Zion, den es im Jahr 1999 der Liebe wegen von Kassel nach Gelsen­kirchen verschlug, weist solche Spekulationen derzeit noch offiziell als »Quatsch« zurück. Aber wohl nicht mehr lange. Geübt hat Zion übrigens schon einmal: Im Bundestagswahlkampf 2005 bewarb er sich um ein Direktmandat – und erreichte ein Ergebnis von 2,66 Prozent der Erststimmen. Gelsenkirchen ist nicht Kreuzberg.
Zion wäre nicht der erste, den die Grünen aus der trostlosen Ruhrgebietsstadt nach Berlin schicken. Mit dem früheren Parteivorsitzenden Ludger Volmer, der einst auch als Linker galt, dann nach dem rot-grünen Wahlsieg 1998 willfähriger Staatsminister in Joschka Fischers Auswärtigem Amt wurde und seit der vergangenen Wahl ein abgehalfterter Politpensionär ist, trifft sich Zion manchmal. »Wir haben eine philosophi­sche Verbindung«, erzählt er. Vielleicht dient ihm Volmer ja als warnendes Beispiel. Eine Verbindung hält Zion auch zu dem aus der Partei der Grünen ausgetretenen Münsteraner Landtags­abgeordneten Rüdiger Sagel, ursprünglich einer der Mitinitiatoren jenes grünen Sonderparteitags, auf dem Zions Stern aufging. Inzwischen ist Sagel der erste »Linke« im Düsseldorfer Parlament. Den Wechsel kann Zion allerdings nicht nachvollziehen. Die Linkspartei sei doch »überhaupt keine Alternative«, sagt Zion im Brustton der Überzeugung. Die »Linke« habe nichts weiter als »Sozialismusromantizismen« anzubieten und bediene sich nur »aus dem Fundus von gestern«.
Dabei bedient sich Zion ebenfalls gerne aus diesem Fundus. Warum auch nicht? Das wärmt schließlich jedes linke Herz. Die »links-libertären« Grünen, so hat es Zion in seinem »Manifest«, nach Marx, formuliert, seien »der Überzeugung, dass es eine Gesellschaft geben kann, ›worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist‹«.

Solche Töne klingen wie aus jenen Tagen, als sich linke Grüne noch »Ökosozialisten« nannten. Damals, Mitte der achtziger Jahre, formulier­ten Thomas Ebermann und Rainer Trampert in ihrem – mit unzähligen Marx-Zitaten versehenen – Buch »Die Zukunft der Grünen« ihr vermeintlich »realistisches Konzept für eine radikale Partei«. Sowohl das »realistische Konzept« als auch die »radikale Partei« waren geflunkert. Aber sie schrieben darin einen Satz, der genau so auch heute in Zions Manifest stehen könnte. »Den Men­schen soll es gut gehen, eine bessere und radikalere Maxime gibt es nicht.« Solche Flausen sind selbstverständlich völlig regierungsuntauglich – ob die Grünen nun den Juniorpartner der SPD oder der CDU geben wollen.
Ebermann und Trampert zogen daraus die not­wendigen Konsequenzen und traten 1990 aus. Im Freitag schrieb Zion kürzlich, mit dem Weggang »der nicht kompromissfähigen dogmatischen Ökosozialisten« sei seinerzeit die »zur Über­lebensfähigkeit notwendige Neuaufstellung« der Grünen erfolgt.