Der Welternährungsgipfel in Rom

Leere Mägen von Millionen

Das Spektakulärste am Welternährungsgipfel in Rom waren die Auftritte der ungebetenen Gäste Mugabe und Ahmadinejad. Was die Bekämpfung des Hungers betrifft, blieben die Ergebnisse dürftig.

Am Ende hat der Gipfel der Welternährungs­organi­sation FAO in Rom doch noch seine Schlag­zeilen bekommen – wenn auch nicht die, die sich ­Jacques Diouf, der Generaldirektor der Orga­nisation, gewünscht haben dürfte. Zur »Hohen Konferenz über die weltweite Ernährungssicherheit« hatte die FAO vom 3. bis 5. Juni geladen, Anlass waren die rasant steigenden Nahrungsmittelpreise.
In den vergangenen drei Jahren sind die Preise für Lebensmittel im Schnitt um 83 Prozent gestiegen, in Ägypten, Indonesien, Bangladesh, Bur­kina Faso und rund 40 weiteren Ländern hat der Hunger zu Protesten geführt. Dass genau an jenem Tag im April, an dem der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank in Wa­shing­ton zu ihrer Frühjahrstagung zusammen­kamen, die Regierung in Haiti stürzte, mag die internationalen Institutionen zusätzlich auf­geschreckt haben. Zeit für einen Gipfel, dachte man sich bei der FAO.

Dann lud sich Irans Präsident Mahmoud Ahmadinejad ein, der wegen internationaler Sanktionen eigentlich gar nicht nach Europa reisen darf. Auch Robert Mugabe, höchst umstrittener Staats­chef Zimbabwes, kam nach Rom. So gab es doch etwas zu berichten vom Gipfel: Wie Ahmadinejad, der vergeblich um Treffen mit dem Papst und Ministerpräsident Silvio Berlusconi ersucht hatte, bei seiner Rede vor vielen leeren Stühlen sprach, weil zahlreiche Gäste den Raum aus Protest verlassen hatten. Wie er auch diesen kurzen Auftritt nutzte, um, mal wieder, anzukündigen, dass Israel »bald von der Weltbühne verschwinden« werde. Wie Demonstranten auf das Kolosseum kletterten, um Flugblätter herunterzuwerfen aus Protest gegen den ungebetenen Gast.
Mit dem Thema der Konferenz hatte dies nicht allzu viel zu tun. Aber vielleicht ist Diouf im Nach­hinein ja froh, dass die Konferenz nicht, wie zunächst erhofft, ein großes mediales Ereignis wur­de. Für die inzwischen über 900 Millionen Menschen – gut ein Siebtel der Weltbevölkerung –, die nie richtig satt werden, und für die vielen Millionen mehr, denen eben dieses Schicksal droht, ist das Ergebnis der Konferenz sogar eine Katastrophe. Nicht, weil die 41 Regierungschefs und mehrere hundert Vertreter aus 181 Staaten in der vagen Abschlusserklärung nicht sagen, mit wie viel Geld sie die Hungernden der Welt zukünftig unterstützen wollen. Sondern weil das Dokument deutlich zeigt, wie sie vorhaben, auf den Hunger zu reagieren.
Von der »Trendwende« in der Politik der internationalen Organisationen, die manch ein Optimist herannahen sah, ist nichts geblieben. Bis 2015 solle die Zahl der Hungernden halbiert werden, so ist es in den Milleniumszielen der UN zu lesen, und ebenso auch in der Abschlusserklärung der Konferenz. Zunächst soll die Welthandelsrunde rasch abgeschlossen werden, fordert die Erklärung, die Staaten sollen ihre Anstrengungen fortsetzen, um rasch eine Liberalisierung des Welthandels mit Agrargütern zu erreichen. Zudem sollen mehr Nahrungsmittel produziert werden, um 50 Prozent müsse die Produktion bis 2030 steigen, forderte Ban Ki-moon, Generalsekretär der Uno. Beides geht an den Problemen vorbei.

Denn es war gerade die zunehmende Liberalisierung der Agrarmärkte, die zur aktuellen Lebens­mittelkrise wesentlich beigetragen hat. Zahl­reiche Länder des Südens haben seit Beginn der achtziger Jahre ihre Märkte geöffnet, die staat­liche Unterstützungen für die Landwirtschaft gekürzt und auf Exportprodukte wie Kaffee oder Kakao gesetzt. Teils geschah dies unter dem Druck der Strukturanpassungsprogramme, die der IWF und die Weltbank den verschuldeten Ländern des Südens auferlegten, bevor sie ihnen Kredite genehmigten. Teils auch waren es Oligarchien im Süden selbst, die dies durchsetzen, weil sie an das wirtschaftliberale Credo glaubten oder davon profitierten.
Strukturanpassungen sind passé, doch seit 1995 sind die Regeln, die ihnen zugrunde lagen, von der WTO festgeschrieben. Die Forderung, die Zahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren, wurde auf einem Ernährungsgipfel 1996 zum ersten Mal beschlossen. Derzeit hungern 100 Mil­lionen Menschen mehr als damals. »Wir sollten uns schämen, weil wir es nicht geschafft haben, den Hunger auszurotten«, rief denn auch Henry Saragih, Sprecher der Kleinbauernorganisation La Via Campesina. »Ihr müsst zugegeben, dass ihr falsch lagt, dass ihr Fehler gemacht habt. Der Beweis sind die leeren Mägen von Millionen Men­schen.«

Auch die Forderung nach einer Erhöhung der Produktion löst die Probleme nicht. Noch immer wird auf der Welt genug produziert, um alle Menschen ausreichend zu ernähren. Im vorigen Jahrzehnt ist der Gesamtertrag an Getreide im Schnitt um rund zwei Prozent pro Jahr gestiegen, die Gesamternte an Getreide lag 2007 um 4,7 Prozent höher als im Jahr zuvor. Zwar steht diesem Zuwachs auch eine erhöhte Nachfrage ge­genüber, je etwa zur Hälfte wegen des Bevölkerungswachstums und veränderter Ernährungsgewohnheiten, vor allem eines erhöhten Fleischkonsums. Den Hunger erklärt das ebenso wenig wie den plötzlichen Preisanstieg. Denn Hunger, das haben bereits 1975 Joseph Collins und Frances Moore-Lappé in ihrem Klassiker »Vom Mythos des Hungers« geschrieben, ist das Ergebnis komplexer Prozesse, in denen Armut meist eine bedeutende Rolle spielt. Es gibt genug zu essen, aber die Menschen können es nicht bezahlen. Dieses Problem verschärft sich nicht nur wegen der stei­genden Lebensmittelpreise, sondern auch, weil im Norden wie im Süden die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird.
Das thematisiert die FAO so wenig wie die Tatsache, dass ein großer Teil des plötzlichen Preis­anstiegs auf Spekulation zurückgeht, weil die Anleger nach der Immobilienkrise in den USA den lukrativen Markt der Nahrungsmittel entdeckten. Sie halten Vorräte zurück, statt sie auf den Markt zu werfen. Knappheit ist geradezu eine Voraussetzung des Marktes. Wer also kann erwarten, dass der Markt die herrschende Knapp­heit besiegt?
Zum Biotreibstoff immerhin hatte die FAO etwas zu sagen. Vor der Konferenz war großspurig angekündigt worden, die Regierungen würden sich darüber verständigen, wie man in Zukunft damit umgehe, ein Moratorium zu Biotreibstoffen war im Gespräch. Schließlich einigten sie sich darauf, dass man die Herausforderung der Bio­treibstoffe ebenso wie ihre Möglichkeiten thematisieren und eingehender untersuchen müsse. Die Zahl der Hungernden wird wohl so bald nicht sinken, jedenfalls nicht dank der Bemühun­gen der internationalen Diplomatie.