Deutschland setzt seine Linie bei der europäischen Regelung der Abschiebehaft durch

Nach Art des Deutschen Hauses

Die europäischen Innenminister haben sich auf gemeinsame Regeln bei der Abschiebehaft geeinigt. Dabei konnte sich die deutsche Regierung mit ihrer restrik­tiven Linie durchsetzen.

Mit dem europäischen Einigungsprozess geht es ganz wunderbar voran. Wie das funktioniert, zeigt etwa die Zusammenarbeit der europäischen Staaten beim Flüchtlings- und Asylrecht und bei der Sicherung der europäischen Außengrenzen. Nach vergleichsweise langwierigen Diskussionen haben sich die europäischen Innenminister, pünktlich zur Fußball-Europameisterschaft, darauf verständigt, wie man Menschen, die man nicht mehr haben will, am besten loswird. Dabei ging es auch um die Voraussetzungen der Abschiebehaft. Die Zustimmung des ­Europa-Parlaments gilt als wahrscheinlich.

In erster Linie betrifft die Regelung abgelehnte Asylbewerber und Menschen, die in der Illegalität leben. Aus einer Vielzahl von Gründen ist es den staatlichen Behörden nicht immer möglich, solche Menschen sofort abzuschieben. Allein die nötigen Dokumente für die Einreise in das Her­kunftsland auszustellen, kann sich über Monate und Jahre hinziehen. Um während dieser Wartezeit die staatliche Kontrolle zu gewährleisten, werden viele Flüchtlinge eingesperrt. Mit der Begründung, sie würden ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkommen, kann die Haft in Deutschland bis zu 18 Monate dauern. Mitwirkungspflicht heißt dabei, dass die Inhaftierten sogar für bürokratische Probleme in ihren Herkunftsländern zur Rechenschaft gezogen werden.
In anderen EU-Ländern liegt die maximale Haft­dauer bisher deutlich unter dem deutschen Niveau – etwa in Zypern und Frankreich bei 32 Tagen, in Spanien bei 40 Tagen. Zwar legt die neue Richtlinie nur die maximale Haftdauer fest, die Staaten können daher theoretisch ihre Regelungen beibehalten. Eine lange Abschiebehaft könnte jedoch schnell zum Standard werden: Nachdem die italienische Regierung bereits vor Wochen an­gekündigt hatte, die Abschiebehaft im Regelfall auf 18 Monate zu verlängern, beklagte sich die spanische Regierung, dies könne dazu führen, dass Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus aus Angst vor den italienischen Behörden in ande­re Länder umsiedelten. Bereits aus diesem Grund ist eine großzügigere Flüchtlingspolitik offenbar für viele Staaten nicht besonders verlockend.

Umstritten war bei der Diskussion um die Richt­linie außerdem das Thema Prozesskostenhilfe. Im Gegensatz zu anderen Staaten erhalten Asylbewerber in Deutschland nicht immer finanzielle Unterstützung, wenn sie ihre Abschiebung gerichtlich verhindern wollen. Die Bundesregierung wollte daran festhalten, um finanzielle und gerichtliche Belastungen zu verhindern und konnte sich auch in diesem Punkt durchsetzen: Eine finan­zielle Unterstützung kann, muss aber nach der Richtlinie nicht gewährt werden.
Für Karl Kopp, den europapolitischen Referenten von Pro Asyl, ist dieser Mangel an Rechtsschutz einer der zentralen Kritikpunkte. »Damit besteht für viele Flüchtlinge gar keine Möglichkeit, die wenigen Rechte, die noch auf dem Papier stehen, durchzusetzen«, sagte er im Gespräch mit der Jungle World. Vor allem in den osteuro­päischen Staaten sei das Rechtsschutzsystem ­äußerst mangelhaft ausgestattet, die Betroffenen seien daher ihrem Schicksal mangels Sprachkenntnissen und rechtlicher Beratung gänzlich ausgeliefert, wenn sie selbst das Geld nicht aufbringen können.
Ehrenamtliche Helfer haben es auch in Deutsch­land schwer, den Flüchtlingen zur Hand zu gehen. Im Abschiebegefängnis in Ingolstadt haben Mitarbeiter von Hilfsorganisationen für Flüchtlinge gar keine Möglichkeit, mit den Gefangenen Kontakt aufzunehmen. Im nordrhein-westfälischen Büren bietet der Verein »Hilfe für Menschen in Abschiebehaft« den Insassen des dortigen Gefängnisses umfangreiche Unterstützung an, ist dabei aber nicht nur mit dem Unwillen der Beamten konfrontiert. Nach Angaben von Frank Gockel, dem Vorsitzenden des Vereins, wurden schon 160 Sprachen im Gefängnis gesprochen, die Kommunikation mit den Gefangenen gestalte sich daher nicht immer einfach. Ehrenamtliche Rechtsanwälte, die entsprechende Klagen formulieren könnten, finden sich äußerst selten.

Bis zuletzt diskutierten die Vertreter der europäischen Staaten schließlich über den besonderen Schutz von Kindern. Im Ergebnis fand man warme Worte, die den besonderen Schutz von Minder­jährigen betonen. Deren Inhaftierung wurde aber nicht untersagt. »Der vorliegende Richtlinien­entwurf würde das traurige Kapitel der Inhaftierung von Kindern und Jugendlichen in zahlreichen Mitgliedsstaaten nicht beenden, sondern diese kinder- und menschenrechtsfeindlichen Praktiken ausweiten«, sagt Karl Kopp. Auch Deutschland kann somit weitermachen wie bisher und bereits 16jährige einsperren. Allein im Transitbereich des Frankfurter Flughafens waren nach Informationen von Pro Asyl in den vergangenen fünf Jahren 400 Minderjährige eingesperrt. Das Alter der Flüchtlinge wird häufig von den Beamten geschätzt. Lediglich anhand der Scham- und Brust­behaarung oder des Volumens der Hoden wird häufig das Alter auf den Tag genau festgelegt – die meisten Betroffenen sind dann freilich mindestens 16 Jahre alt.
Die europäische Richtlinie ist ein wunderbarer Kompromiss: Auf der einen Seite werden schöne Grundsätze formuliert, davon können die Mitgliedstaaten aber beliebig abweichen. Dies gilt ­so­wohl für die Dauer der Haft als auch für den Rechtsschutz und den Schutz von Kindern. Kopp geht davon aus, dass durch die Formulierung von Notstandsklauseln und Ausnahmeregeln gravierende Menschenrechtsverletzungen weiterhin mög­lich sein werden: »Das ist kein Beitrag zur Beendigung unmenschlicher und erniedrigender Formen der Inhaftierung in Europa.«
Deutschland kann an seiner Politik größtenteils festhalten. Wie viele Menschen in Deutschland insgesamt in Abschiebehaft leben, ist schwer zu sagen, da die Bundesländer über dieses Thema nur sehr sparsam berichten. Stefan Kessler vom Jesuitenflüchtlingsdienst geht davon aus, dass über das Jahr verteilt in Deutschland etwa 20 000 bis 30 000 Menschen inhaftiert sind. Manche bleiben nur wenige Tage in Haft, andere über mehrere Monate. Auf diese Weise werden die Flüchtlinge bereits vor ihrer Abschiebung unter den miserabelsten Bedingungen aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Die meiste Zeit des Tages, häufig bis zu 22 Stunden, müssen sich die Häftlinge in ihrer Zelle aufhalten. Dies kann bedeuten, mit mehreren Menschen wenige Quadrat­meter zu teilen, wozu auch die Toilette und eine Waschgelegenheit zählen. Dreimal am Tag wird das Essen in die Zelle gebracht, bei allen weiteren Wünschen müssen sich die Gefangenen an das Wachpersonal wenden.
In manchen der Gefängnisse, so etwa in Büren, besteht die Möglichkeit, außerhalb der Zelle zu arbeiten. Verschiedene Unternehmen lassen Hilfstätigkeiten von den Gefangenen verrichten und zahlen dafür bis zu 15 Euro pro Stunde – allerdings kommen nur knapp zwei Euro bei den Menschen selbst an, der Rest fließt in den Haushalt des Gefängnisses. Die Begegnung mit dem deutschen Abschiebeapparat ist für die Flüchtlinge ohnehin nicht umsonst zu haben. Die Kosten, die bis zu 80 Euro pro Tag betragen können, müssen sie selbst bezahlen. Auch die Gebühren für die Abschiebung gehen zulasten der Menschen, die das Land verlassen sollen, soweit sie das Geld aufbringen können.

Zu welchen gravierenden Konsequenzen das deut­sche Abschiebesystem führt, bringt regelmäßig die Antirassistische Initiative Berlin mit ihrer Do­kumentation »Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen« ans Licht. Von 1993 bis 2007 haben 56 Menschen in Abschiebehaft Selbstmord begangen.
Einer davon ist der Kurde Mustafa Alcali, der mit 14 Jahren nach Deutschland kam und zehn Jahre später in den Irak ging, um sich der PKK anzuschließen. Dort wurde er verhaftet und den türkischen Behörden übergeben. Nach der Haft in der Türkei war er schwer traumatisiert. Dennoch musste er Wehrdienst leisten, konnte desertieren und floh im Jahr 2004 zurück zu seiner Familie nach Deutschland. Hier erhielt er allerdings kein dauerhaftes Bleiberecht. Nachdem im Mai 2007 die Abschiebung angeordnet worden war, übergoss sich Alcali auf offener Straße mit Benzin und drohte mit Selbstmord. Daraufhin wurde er in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert, wo die Ärzte ein hohes Suizidrisiko bestätigten. Dennoch veranlasste die Ausländerbehörde, dass er zurück ins Gefängnis gebracht wurde. Nach vermutlich einem einzigen Gespräch schloss der dort tätige Psychiater die Gefahr eines Suizids aus. Alcali wurde nicht weiter medizinisch betreut. Im Juni 2007 nahm er sich in der Abschiebehaft das Leben.