Der Film »You kill me« von John Dahl

Suff-Movie

Alkohol ist im Hollywoodfilm nicht mehr als eine Requisite. In John Dahls Film »You kill me« wird Saufen ausnahmsweise mal als Sucht verhandelt.

Filme, in denen Alkohol die Hauptrolle spielt, sind in den vergangenen Jahren eher selten ins Kino gekommen. Einen überzeugenden Versuch stellte jedoch der kleine Film »Das Bierfest« (USA 2006) dar. Denn hier ging 90 Minuten lang ums Münchner Oktoberfest und voll ums Saufen. In prominenter Rolle war Freund Suff auch in »Alexander« (USA 2004) zu begutachten. Dass die jungen Soldaten des antiken Feldherrn sich mit 15 Litern Wein pro Tag und Gelagen die Angst wegtranken, zeigt Oliver Stones’ Spielfilm eindrucksvoll. In weiteren Nebenrollen sind dann Angelina Jolie und Colin Farrell zu sehen. In »Factotum« (USA 2005) von Bent Hamer ist Freund Schnaps allzeit präsent – kein Wunder, es ist die Verfilmung eines Romans von Parade-Suffautor Charles Bukows­ki.
Von kleineren, wenn auch obligatorischen filmischen Einlagen in jedem beliebigen Künstler-Biopic – oder à la James Bond (»gerührt, nicht geschüttelt«) – abgesehen, ist das reine Säuferdrama im populären Kino aber nicht wirklich populär. Angesichts der medienwirksamen Exzesse von Amy Winehouse, Britney Spears oder Lindsay Lohan in der Popszene eigentlich ein be­merkenswertes Phänomen. Denn der Suff sorgt im Drama für Fallhöhen-Drive. Was ist mit den Trinkern?
Vielleicht ist ihre Geschichte schlicht langwei­lig: Flasche ansetzen, Einlauf, Frau verprügeln, dann kotzend in der Ecke liegen. Und: Wer wollte es nach Günter Lamprechts Performance in »Rückfälle« (D 1977) ernstlich wagen, einen Betrunkenen zu mimen?
Es kann schon sein, dass das Publikum mehr auf die Suche nach dem Silberschädel steht denn auf die nach dem dicken Kopf. Für wen sind Säuferfilme gedacht, für Trinker, die sich ihren Way of Life bestätigen lassen wollen? Für Nichttrinker? Oder ist es ein am Sozialdrama interessiertes Publikum? Wenn alles – die Arbeit, die Familie, das Ansehen – schon down ist, geht’s mit Alkohol noch eine Etage tiefer.
Der Schnaps als Hauptdarsteller ist nicht unbedingt leicht zu verkaufen. Doch nun gibt es einen Doppelten: »Julia« – mit einer besoffenen Tilda Swinton – läuft in der nächsten Woche an. Und schon diese Woche betritt mit Ben Kingsley in John Dahls »You kill me« einer der wohl attraktivsten älteren Schauspieler die Bühne des Alkoholikerfilms.
Frank, den Kingsley so gewandt spielt, arbeitet als Killer für ein Mafiafamilienunternehmen. Sein Job besteht darin, sperrige Konkurrenten aus dem Verkehr ziehen.
Frank ist ein schön gebliebener Endfünfziger: Haare abrasiert, schöner Hinterkopf, das Gesicht alkoholkonserviert, nur die tiefen Falten um den Mund verweisen auf einen alters- und trinktypischen Zynismus. Er säuft gegen das Alter an, die Lebensleere, kurz: gegen das Ding, das jede Alkoholsucht insgeheim dominiert, die Angst vor dem Tod, dem großen Gleich­macher und einzig wahren Sozialisten. So ist das Ableben in zweifacher Hinsicht Thema des Films.
Frank ist nicht mal notorisch verhaltensauffällig, eher entspricht er dem Typus des Delta- oder Spiegeltrinkers: Ohne eine gewisse Ration Alkohol im Körper kann er nicht funktionieren.
Wie wird getrunken? Aus der Flasche. Sie wird am nächsten Tag beim Aufräumen gefunden und verrät den Alkoholiker: Die Nachbarn und der Mann von der Müllabfuhr wissen Bescheid.
Frank sieht das Töten relativ gelassen als eine Art des Geldverdienens. Man gewöhnt sich daran. Wären seine ausgeprägten Alkoholprobleme nicht, hätte er auch mit dem straff geführten Familienunternehmen keine Schwierigkeiten. Weil er aber einen wichtigen Auftragsmord verschläft und das klandestine Geschäft der Mafia in Gefahr gerät, muss gehandelt werden: Konkurrenz droht von anderen Clans, Franks Kunst wäre mehr denn je gefragt.
Nachdem sein Onkel (Philip Baker Hall) ein Machtwort gesprochen hat, wird Frank nach San Francisco verfrachtet, wo ihm der zwielichtige Dave (Bill Pullman) eine Wohnung und eine The­rapie bei den Anonymen Alkoholikern verschafft (»Hi, mein Name ist … und ich bin ­Alkoholiker«).
Dave besorgt auch einen passenden Job, der viel mit Franks bisherigen Aufgaben zu tun hat: als Leichenwäscher in einem Beerdigungsinstitut.
Den Saufteufel ist Frank damit aber noch lange nicht los. Auch in San Francisco lauern Ein­samkeit und: feucht-fröhliche Beerdigungsfeiern. Franks Gefühlshaushalt schwankt nun zwi­schen den Extremen.
Ambivalent reagiert auch die Umwelt. Für seine Arbeit erhält er viele Komplimente: »Sie haben den Toten so schön hergerichtet, wenn das nächste Familienmitglied stirbt, kommen wir wieder zu Ihnen.« Diese Umwelt will aber auch wieder mit ihm saufen, und das wollte er ja nun vermeiden. Der User merkt: Wenn man mit dem Trinken aufhört, tut die Welt alles, damit man wieder anfängt.
»You kill me« funktioniert wie ein Bildungsroman. Das Zwölf-Schritte-Programm der AA setzt auf eine massive Entlastung des Subjekts durch die Berufung auf ein wie auch immer geartetes höheres Wesen, das die Geschicke des Einzelnen lenkt. Das hat ganz praktische Konsequenzen. Mit Sätzen wie »Ich bitte das höhere Wesen, meine Krankheit zu heilen« werden die drängenden Sorgen nach oben delegiert.
Die Frage, ob diese höhere Instanz auch tatsächlich existiert, spielt nur eine Nebenrolle. Es geht einzig und allein um die Annahme einer religiösen oder quasi-religiösen Dimension. Denn Sucht kommt von Suchen, und wer so um­fassend sucht wie ein trockengelegter Trinker, der stößt unweigerlich auf seine eigenen Vorein­stellungen. Und damit auf jene Fragen nach dem Sinn der eigenen Existenz, auf die die Politik und die Gesellschaft am Ende auch keine an­dere Antwort haben als die, einen auf den Fried­hof zu legen.
Auf dem Trockenen muss sich der Trinker also Dingen widmen, die er zuvor mit seiner Trinkerei erfolgreich verdrängen konnte: Wieso bringe ich mich nicht um? Ist nicht alles, was ich tue, irrelevant? Wofür lohnt es sich zu leben und zu sterben – in Franks Fall auch: zu arbeiten?
Der Trick der Anonymen Alkoholiker erscheint Frank so einfach wie genial: Lieber ein religiöser Mensch werden als in der Gosse liegen, lautet eine Regel. Die Wahrscheinlichkeit, dass es ein höheres Bewusstsein gibt, ist 1:1. Das ist eine Größe, mit der man arbeiten kann: »Spiritus contra spiritum« (»Heiliger Geist gegen Weingeist«, C. G. Jung) lautet die Arbeitsgrundlage.
Der religiöse Mensch will seinen Mitmenschen qua Selbstverständnis nicht an die Wäsche. Aus hoffnungslosen Trinkern sollen hoffnungsfrohe Nichttrinker werden, denn der Abstinenzler sagt: Ich habe mit dem Trinken aufgehört. Der privat-ontologisch inspirierte Abstinenzler aber wird sagen: Ich habe mit dem Nichttrinken angefangen.
Bei Franks Curriculum Vitae muss – haha, Ko­mödie – selbst die hochflexible Gruppe schlucken. Als Frank sich beim dritten Besuch der AA-Gruppe auch mal ans Rednerpult traut, sagt auch er: »Hi, ich bin Frank, ich bin Alkoholiker.« Er sagt aber auch: »Ich arbeite als Auftragskiller, mein Job ist es, Leute umzubringen.« Gut, dass die AA einiges gewöhnt sind und sich selbst Anonymität und Tratschverbot verordnet haben.
Welchen Sinn soll bitteschön der Serienkiller dem Leben abgewinnen? Nun, Frank wird sich entwickeln, er wird seinen Job wieder sauber durchführen und fortan in Kategorien des Wiedergeburtsglaubens denken. Da ihn das höhere Bewusstsein an diese Position gestellt hat, soll er sie wohl so gut als möglich ausfüllen. Frank hat sich entschieden, ein guter Killer zu sein.
So weit, so schön, so wirklich. Ein Lehrfilm. Nicht nur Sozialdrama, sondern allgemeinmenschlich. Franks Drama ist kein Einzelfall. Wer Extremsituationen kennt, wird den Film zu schätzen wissen.
Ist es aber mit »You kill me« gelungen, eine durch Überzeichnung abgemilderte Bildsprache für diesen sozialen Grenzbereich, der durchaus seinen Platz in der Mitte der Gesellschaft hat, zu schaffen?
Leider: jein. Dem Genre gemäß greift Regisseur John Dahl in eine allzu bekannte Trickkiste. Er verordnet Frank eine tolle Frau, Laurel (Téa Leoni). Laurel hat Verständnis, ist tolerant und hilft dem Krüppel beim Entzug. Sie sorgt sich und kümmert sich und stützt. Ohne die Figur der Laurel würde der Stoff nicht komödientaug­lich. Laurel zeigt als gute Partnerin Interesse an der Tätigkeit ihres Freundes und ist durchaus eine Quelle, ja, trockenen Humors. Leider bietet die gekonnte Komödiendramaturgie keinen Raum für die Bilder der trockenen Verzweif­lung Franks. Dazu müsste er allein bleiben. Die Chance, die Entwicklung des Trinkers zum Nicht­trinker als notwendigen Reifungsprozess des Egos nachzuzeichnen, wurde vertan. Andere Chan­cen wurden genutzt.

»You kill me« (USA 2007). Regie: John Dahl. Start: 19. Juni