In Frankreich protestieren die Schüler

Getrennt mobilisieren, gemeinsam untergehen

In Frankreich gibt es erneut Proteste der Schüler. Allerdings fehlt diesmal die Unterstützung der Gewerkschaften.

Die großen Proteste scheinen vorerst vorbei zu sein, aber die Furcht vor weiterem Unmut beschäftigt noch immer die Behörden. Am Freitag und am Samstag wurden in ganz Frankreich etwa 650 Schulen, davon gut die Hälfte (350) im Raum Paris, vorübergehend besetzt – überwiegend von Lehrern und Eltern. Die Protestaktion war vorab unter dem Namen »Nuit des Ecoles«, als eine Art Abend der offenen Tür angesetzt worden. Die Direktionen und Behörden konnten die Besetzungen nicht verhindern.

Bereits seit März hat sich eine breite Protest­bewegung von Oberschülern (lycéens) und Lehrern gegen den für das nächste Schuljahr geplanten Abbau von fast 12 000 Lehrerstellen im öffentlichen Bildungswesen etabliert. Die Stellenstreichung ist nur ein Bestandteil des Vorhabens der Regierung, jede zweite Stelle, die aus Altersgründen im öffentlichen Dienst frei wird, nicht neu zu besetzen. Aber in Krankenhäusern und Schulen sind die Folgen besonders desaströs, zumal soziale Krisengebiete wie die Banlieues und die Region Nord-Pas de Calais – ein früheres Kohlerevier nahe der belgischen Grenze – überdurchschnittlich stark betroffen sind.
Als »Ausgleich« sollen nunmehr die – überwiegend katholischen und kostenpflichtigen – Privatschulen kräftig gefördert werden, was von der Regierung zudem als Ausweg aus der Bildungsmisere in den Ghettos der französischen Banlieues angepriesen wird. Es ist offizieller Bestandteil des am 8. Februar von Präsident Nicolas Sarkozy verkündeten neuen »Plan Banlieue«, an Unternehmen ebenso wie an »aufstiegswillige Schulabgänger« aus sozialen Krisengebieten zu appellieren, sich in den sozialen Krisenzonen der Trabantenstädte privat zu engagieren. Das Privatschulwesen soll dabei eine wichtige Aufgabe erfüllen.

Der Höhepunkt der Bewegung gegen den Abbau von Lehrerstellen war Ende März erreicht, als allein in Paris 50 000 Oberschüler, aber auch Lehrkräfte und Eltern, demonstrierten. Im Mai kam sie nochmals in Schwung und führte Demonstrationen und auch Besetzungen durch.
Diese Auseinandersetzung reiht sich ein in eine Serie von Schülerbewegungen in den Vorjahren. Im Jahr 2005 etwa gab es Proteste gegen die geplante Streichung von Fächerangeboten in den Oberschulen, die nicht auf wirtschaftliche »Schlüs­selqualifikationen« orientiert waren, und im Jahr 2006 gegen die geplante Einschränkung des Kündigungsschutzes für junge Erwachsene. In beiden Fällen dauerten die Proteste mehrere Monate an und waren größtenteils auch erfolgreich. Diesmal setzt Bildungsminister Xavier Darcos offensichtlich auf ein »Aussitzen des Problems« und darauf, dass Mitte Juni die Abiturprüfungen beginnen. Tatsächlich sind die Proteste seit Anfang Juni merk­lich zurückgegangen. Es macht sich auch eine gewisse Frustration breit wegen der scheinbaren Unmöglichkeit, die Ziele durchzusetzen.
Es hätte auch anders kommen können. Denn sowohl im Mai als auch in der letzten Woche fanden Gewerkschaftsdemonstrationen zu Themen wie der geplanten Verlängerung der Lebensarbeits­zeit oder zu den Sparplänen für den öffentlichen Dienst statt. Dabei hätte es nahegelegen, die relativ breite Protestbewegung im Schulwesen mit jener gegen die Rentenreform zusammenzulegen – so, wie der Massenstreik im Frühjahr 2003 gegen den Kern der Rentenreform mit einem massiven Ausstand im Bildungswesen zusammenfiel.
Aber das verhinderte insbesondere der Einspruch der Gewerkschaften, und vor allem jener der sozialdemokratisch orientierten CFDT. Deren Generalsekretär François Chérèque behauptete im Vorfeld, im Falle eines Zusammenführens der beiden Kämpfe würden »die (Ober-)Schüler nur instrumentalisiert«. Im Hintergrund steht freilich die Tatsache, dass die CFDT-Führung fest von der Notwendigkeit der Rentenreform, also der geplanten neuerlichen Verlängerung der Lebensarbeitszeit, überzeugt ist und diese nicht ernsthaft gefährden will, sondern lediglich »Gegenleistungen« aushandeln möchte. Aus Gründen ge­werk­schaftlicher Bündnispolitik nimmt wiederum die »postkommunistische« CGT starke Rücksichten auf ihre Kollegen vom anderen großen Gewerkschaftsdachverband und passt sich deren Mobilisierungen an.

So waren die Lehrer am Dienstag voriger Woche zum Streik gegen die Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst aufgerufen. Daran nahmen zwar vielerorts auch Schüler teil. Mit dem Bildungsministerium zufolge fünf Prozent landesweiter Streikbeteiligung, und bis zu 20 Prozent in den Oberschulen, so die Gewerkschafts­angaben, fiel der Protest aber ungleich schwächer aus als noch im Vormonat. Problematisch war, dass am Dienstag die Beschäftigten, darunter die öffentlichen Bediensteten, erneut zu einem eintägigen Streik aufgerufen waren, dieses Mal gegen die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Derzeit scheint es so, als ob die Gewerkschaftsführungen den Protest mit ihrer Taktik erfolgreich eingedämmt haben. Aber die Wut der Betroffenen ist weiterhin überall spürbar.