Der Niedergang der Farc und die Fortsetzung des Terrors

Para-Nuss nicht geknackt

Die Rebellen der kolumbianischen Farc mussten in den vergangenen Monaten schwere Rückschläge einstecken. Der Regierung zufolge ist das Ende der dienst­ältesten Guerilla Lateinamerikas bereits in Sicht. Am alltäglichen Terror para­militärischer Gruppen wird dies jedoch kaum etwas ändern.

»Die Farc sind ein Dinosaurier im 21. Jahrhundert. Es gibt keinen Grund mehr für ihre Existenz«, erklärte der Präsident Costa Ricas, Oscar Aribas, erst vor kurzem. Vielen – auch europäischen – Medien und vor allem der kolumbianischen Regierung zufolge ist nun das Ende des Dinosau­riers gekommen. »Hoffnung auf Frieden« titelten kolumbianische Tageszeitungen, als vor zwei Wochen die Nachricht vom Tod des Gründers und bis zuletzt Anführers der kommunistischen Guerilla Farc bekannt wurde. Manuel Marulanda alias »Tirofijo« (»Sicherer Schuss«) war im kolumbianischen Urwald an einem Herzinfarkt verstorben. Der fast 80jährige Sohn eines Bauern, der selten die Camps in den Bergen und Urwäldern verlassen haben soll, galt als Freund der militärischen Konfliktlösung. Als Nachfolger wurde Alfonso Cano benannt, der in der Studentenbewegung der Hauptstadt Bogotá politisiert wurde. Bisher galt er als ideologischer Kopf bzw. »Philosoph des Terrorismus« (Präsident Álvaro Uribe) der »Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens« und soll eher realpolitisch orientiert sein. Vor allem die Familien der über 700 Geiseln, die sich noch in der Gefangenschaft der Guerilla befinden, hoffen auf seine Verhandlungsbereitschaft. Justiz- und Innenminister Carlos Holguín forderte den neuen Anführer auf, die Waffen abzulegen und sich den Behörden zu stellen. Wenn nicht, würde die Regierung ihn mit aller Kraft »verfolgen, be­drängen und vernichten«.

Die Farc mussten in den vergangenen Monaten schwere Verluste hinnehmen. Insgesamt drei Mitglieder der siebenköpfigen Kommandoebene verloren ihr Leben. Bereits Anfang März wurde bei einem Bombenangriff des kolumbianischen Militärs der zweite Mann der Farc, Raúl Reyes, getötet. Die Aktion führte zu großen Spannungen mit Ecuador, da sich die Farc-Kämpfer auf ecua­dorianischem Boden aufgehalten hatten und Kolumbien ohne Erlaubnis sein Nachbarland bombardiert hatte. Wenige Tage darauf wurde Iván Ríos aus der Führungsebene von einem seiner Leibwächter erschossen, der dafür 2,7 Millionen Dollar Kopfgeld von der Regierung bekommen haben soll. Und nun verstarb mit »Tirofijo« auch noch die Nummer Eins der ältesten Guerilla Lateinamerikas. Das kolumbianische Militär setzt mit verstärkten Angriffen in vielen Regionen Teile der »Volksarmee« stark unter Druck, dabei sollen in den letzten Monaten 66 Camps der Guerilla zerstört worden sein. Auch wenn sie durch kleinere Anschläge auf Güterzüge oder Militärkon­vois immer wieder auf sich aufmerksam machen, scheinen die Farc geschwächt zu sein.
Immer mehr Kämpfer verlassen die Rebellenarmee und stellen sich den Behörden. So auch vor wenigen Wochen die bekannte Kommandantin Nelly Ávila Moreno alias »Karina«, die erst im März nach der Ermordung Ivan Ríos die Guerilla-Einheit in der Region Antioquia übernommen hatte. Die Farc-nahe Nachrichtenagentur Anncol drückte ihr Beileid aus und erklärte: »Karina verstand die bolivarianischen Fortschritte in Lateinamerika und der Karibik nicht. Sie verlor ihr revolutionäres Ziel.« In den sozialen Bewegungen gelte aber ebenso wie in der Natur das Darwinsche Gesetz, in dem nur die Bestangepassten überleben, so die Agentur.
Für Jorge Castellanos von der Menschenrechtsorganisation Compromiso in Bucaramanga stellt sich die Situation genau andersherum dar: »In vielen Ländern Lateinamerikas findet gerade auf demokratischem Wege ein Wandel nach links statt. Kolumbien hingegen ist das einzige Land, in dem noch eine linke Guerilla existiert. Aber die militärische Strategie ist am Ende, die Farc haben weder den Rückhalt noch die Kraft, den Konflikt militärisch zu gewinnen.« Selbst der vene­zolanische Präsident und erklärte Unterstützer des »politischen Projekts« der Farc, Hugo Chávez, erklärte vergangene Woche, dass der »Guerilla-Kampf in Lateinamerika der Vergangenheit angehört«.

Der konservativen Regierung von Präsident Álvaro Uribe kommen die Erfolge im Kampf gegen die Farc sehr gelegen. Auf diese Weise kann sie von der politischen Krise ablenken, in der das Land gerade steckt. Gegen mehr als 60 Abgeord­nete des Kongresses wird derzeit wegen Verbindungen zu den rechtsextremen Paramilitärs ­ermittelt, die Hälfte sitzt bereits in Haft. Sämtliche engsten Vertrauten und Freunde des Präsidenten sind in die »Parapolitica« verstrickt: Seinem Cousin Mario Uribe sind ebenso wie Jorge Noguera, dem ehemaligen Chef des Geheimdiens­tes DAS, Verbindungen zu den Paras nachgewiesen worden. Letztgenannter hatte schwarze Listen mit Namen von Gewerkschaftern weitergegeben. Vergangene Woche wurde er zum zweiten Mal wegen »Verfahrensfehlern« aus der Haft entlassen.
Die Hauptzeugen für diese Zusammenarbeit sind hingegen Mitte Mai in einer Nacht- und Nebel­aktion an die USA ausgeliefert worden. 14 ehe­malige Anführer der »Vereinten Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens« AUC müssen sich dort nun wegen Drogenhandels vor Gericht verantworten, nicht jedoch wegen der schweren Men­schenrechtsverletzungen und mehreren tausend Morden, die ihnen angelastet werden. Dem bekannten Opfer-Anwalt Iván Cepeda zufolge trage dies dazu bei, »die Politiker, Militärs und Unternehmer, die hinter diesen Verbrechen stecken, in der Straflosigkeit zu lassen«.
Rechtsanwältin Ursula Castellanos setzt sich im Anwaltskollektiv Luis Carlos Pérez in Bucaramanga für Konfliktopfer ein. Bucaramanga ist das Zentrum der Region Santander im konflikt­reichen Nordosten des Landes. Auch für die Anwältin ist die staatliche Fluchthilfe ein weiteres Beispiel dafür, dass die Regierung von Uribe kein Interesse an der Aufarbeitung der Verbrechen hat. »Mit den Paras wurden auch die Beweise ausge­liefert. Den Opfern wird dadurch ihr Recht auf Wahrheit und Entschädigung, ihr Recht auf Gerechtigkeit verwehrt.« Viele Familien wissen noch nicht einmal, wo ihre Angehörigen begraben sind, geschweige denn was mit ihnen passiert ist.
Durch die Auslieferung wurde erneut das Versagen des Programms »Gerechtigkeit und Frieden« deutlich, das Angela Merkel bei ihrem Besuch in Kolumbien vor wenigen Wochen so hoch gelobt hatte. Dabei handelt es sich um ein Aussteiger-Programm für die rechtsextremen Paramilitärs, mit dem die AUC offiziell aufgelöst wurde. Wer sich freiwillig den Behörden stellt und uneingeschränkt Auskunft über Strukturen und Taten gibt, wird mit einer maximalen Haftstrafe zwischen fünf und acht Jahren belohnt. Jedoch stehen von den über 30 000 demobilisierten Paras nur etwa zehn Prozent auf der Liste der Angeklag­ten.
»Da nach einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs die bloße Zugehörigkeit zu den Para­militärs keine Straftat darstellt, wird gegen die große Mehrheit nicht ermittelt«, erklärt Rechtsanwältin Castellanos. Kostenlose Weiterbildung und ein monatliches Gehalt für die »Reintegra­tion« bekommen sie trotzdem. Für die Opfer ein Schlag ins Gesicht. »Zu Recht sagen sie: Sie haben uns getötet, vergewaltigt, gefoltert und vertrieben und kriegen dafür nun Geld und Bildung«, so die Anwältin. Wirklich verwundert ist sie aber nicht: »Bei über 20 Prozent der Kongress-Angehörigen, die in die Parapolitik verstrickt sind, kann man sagen, dass die Paramilitärs das Gesetz selber gemacht haben.« Seit der Verabschiedung des Gesetzes im Jahr 2005 wurde weder ein Paraco verurteilt noch ein Opfer entschädigt.

Trotz der offiziellen Demobilisierung der AUC existieren weiterhin Dutzende paramilitärische Gruppen mit mehreren tausend Mitgliedern im ganzen Land. Während die Regierung deren Existenz leugnet, bedrohen und ermorden sie täglich Gewerkschafter, Menschenrechtsaktivisten, Studenten und andere Mitglieder sozialer Bewegungen. Die Europäische Union hat Ende Mai in einer Protestnote an Kolumbien ihre Besorgnis darüber ausgedrückt, dass seit Februar bereits fünf Kolumbianer ermordet worden sind, die in Programmen der EU arbeiteten. Die Anzahl ermordeter Gewerkschafter beläuft sich allein in diesem Jahr auf 24. »Sie machen mit der Schmutz­arbeit weiter«, so Jorge Castellanos von Compromiso. Das Anwaltskollektiv Luis Carlos Pérez hat weder ein Schild an der Hauswand noch ein Namen an der Klingel. Auch es wurde bedroht.
»Hinter den meisten Verbrechen steckt aber eine kapitalistische Logik«, sagt Anwältin Castellanos. Ein aktuelles Beispiel ist die kleine Ortschaft El Carmen in der Provinz Bolívar. In den letzten Wochen haben sich die Drohungen gegen die Einwohner durch Paramilitärs massiv ge­häuft, weshalb bereits über 20 Menschen die Stadt verlassen haben. Gleichzeitig gibt es in der Region eine rege Nachfrage nach Ländereien aufgrund der Kohlevorkommen. Viele Landwirte haben in letzter Zeit ihre Grundstücke zu Preisen weit unter dem Marktwert verkauft.
Trotz alledem genießt Uribe großen Rückhalt in der Bevölkerung, selbst bei Konfliktopfern und den unteren Bevölkerungsschichten. Diese hoffen trotz oft gegenteiliger persönlicher Erfahrung, dass seine Mischung aus autoritärer Führung und wirtschaftlichem Aufschwung auch ihnen zugute kommt. Die Verbindung von paramilitärischem Terror und wirtschaftlichen Interessen ist dabei offensichtlich. Bereits vor einem Jahr wurde der Bananenkonzern Chiquita von einem nordamerikanischen Gericht verurteilt, da er die rechten Milizen mit 1,7 Millionen Dollar unterstützt hatte.
Gründe für Widerstand finden sich augenschein­lich genug. Die Farc jedoch leisten dies nicht. Im Gegenteil sind sie selbst für massenhafte Geiselnahmen und gegenwärtig zum Beispiel in der nordöstlichen Provinz Arauca aufgrund von Kämpfen mit der anderen linken Guerilla ELN auch für Vertreibungen und unbeteiligte Opfer verantwortlich. Seitdem die ELN dort vor drei Jahren Mitglieder der Farc tötete, kämpfen die Gruppen nun um die Vorherrschaft in der Region.
Eine vermeintliche Unterstützung der Gue­rilla dient zudem oft als Grund für staatliche Repression. Die internationale Menschenrechts­organisation CCCEU zählt pro Jahr im Schnitt 200 extralegale Hinrichtungen durch Sicherheitskräfte. Unbequeme Bauern und Indigene werden nach ihrer Ermordung schnell zu Guerilleros erklärt, die im Kampf gestorben seien. Mit oder ohne Farc, von »Hoffnung auf Frieden« kann für soziale Aktivisten und die Landbevölkerung keine Rede sein.