Die SPD retten heißt, unsere Zivilisation retten

Rettet die SPD!

Noch lachen wir über den Niedergang der SPD, aber die Folgen könnten schrecklich sein. Das Ende der Partei wäre das Ende der Zivilisation, wie wir sie kennen.

Es gab für die Sozialdemokratie finstere Zeiten in der Geschichte der Bundesrepublik: Niederträchtige Regierungen verabschiedeten Notstandsgesetze, Rasterfahndung, Asylkompromiss, Hartz IV und deutsche Kriegseinsätze. Nun aber geht es der Sozialdemokratie blendend. Welche Talkshow man sich auch anschaut, welchen Zeitungskommentar man auch liest, welche Partei sich auch immer zu Wort meldet: Das Gerede von »Frieden« und der »sozialen Gerechtigkeit« darf nirgends fehlen. Die ganze Gesellschaft scheint nur noch darüber zu diskutieren, wie man uns armen Schweinen ein bisschen mehr Wohlstand zukommen lassen könnte, nicht mehr ob.
Was hat das mit der SPD zu tun? Das erstgenannte sehr viel, denn für all jene unappetitlichen politischen Entscheidungen zeichnete die SPD mitverantwortlich. Das letztgenannte hat nur noch begrenzt mit der SPD zu tun, denn Sozialdemokratie können andere auch, und zwar glaubwürdiger.

Es steht nicht schlecht um die Sozialdemokratie, sondern um die SPD. Als Sozialdemokrat könnte man also dem Verschwinden der SPD gelassen zuschauen. Und als Linker drängt sich Häme geradezu auf, wenn es die SPD bei Wahlen mal wieder gerade so über die Fünf-Prozent-Hürde schafft. Die Rechten freuen sich darüber sowieso. Kulturell und ästhetisch spricht ebenfalls alles für eine Welt ohne Becks und Nahleses. Und verdient, ja verdient haben sie es allemal, diese Verräter!
Was aber kommt nach der SPD? Was ist die Alternative zum institutionalisierten, meist fälschlicherweise so bezeichneten »kleineren Übel«? Richtig: das größere Übel! Und derer gibt es je nach Perspektive viele. Zum Beispiel weiß man in der Linkspartei, dass mit dem Abtritt der SPD auch der einzige potenzielle Koalitionspartner abtritt, und die Konsequenz lautet: CDU bis in alle Ewigkeit. Drum sind nur wenige, vielleicht ist es sogar nur Oskar Lafontaine allein, wirklich begeistert über die schwächelnde SPD. Bei den Grünen hat man ebenfalls Sorge, denn fällt nach Rot-Grün und Ampel auch die Option Große Koalition weg, bedeutet dies womöglich Schwarz-Grün bzw. Jamaika überall und immer. Was das auf Dauer für die Grünen hieße, kann man sich vorstellen. Und für die CDU-Basis, und für die der CSU erst Recht, gilt dies ebenfalls als Schreckensszenario.
Das Schlimmste aber: Die nächste SPD ist die Linkspartei, und zwar eine mit Lafontaine an der Spitze. Wer weiß heute schon, wie die morgen aussehen wird? Im schlimmsten Fall wird sie zu einem antiimperialistischen, staatsautoritären, rotbraunen Populistenverein, der für die Achse Caracas-Teheran-Berlin kämpft. Das zumindest muss bei der SPD niemand befürchten. Jedenfalls solange Gerhard Schröder einen besseren Job hat. Anders gesagt: Als Regierung ist die SPD in der Regel das größte anzunehmende Übel, außerhalb einer Regierung und im Ranking sozialdemokratischer Parteien ist sie zumindest das harmlosere.

Das Verschwinden der SPD hätte aber auch andere unangenehme Begleiterscheinungen. Gut, aus dem Willy-Brandt-Haus könnte man ein SPD-Museum machen, und man müsste es dafür nicht einmal umbenennen. Doch was wird aus all den SPD-Mitgliedern in ihren Ortsvereinen, wo sie die Kasse warten, die Sitzung protokollieren, den Kegelabend organisieren? Sie alle müssten aufgefangen werden, man müsste sie kostspielig sozial integrieren in diese Gesellschaft, in der es definitiv nicht noch mehr Schützenvereine, Dackelclubs und Kleingärtnerverbände geben kann. Sie würden womöglich ihres verantwortungsvollen Postens als Schatzmeister des SPD-Ortsverbands und damit ihres Lebenssinns beraubt, neue Vereine gründen, mit neuen merkwürdigen Vereinszwecken, neuen Satzungen, Vereinsheimen und schrecklichen Vereinsweihnachtsfeiern.
532 000 Mitglieder hat die SPD zurzeit. Sieben Leute braucht man für einen Verein. Macht 76 000 neue Vereine! Eine Horrorvorstellung! Gelangweilte Sozis können schnell gefährliche Bestien werden. Vermutlich würde es schon bald mehr Denunzianten von Falschparkern geben als Falschparker, mehr Philatelisten als Briefmarken. Bedenken Sie: Auch Ihr Nachbar, bisher pflegeleichter Parteigänger an der SPD-Basis, könnte auf die Idee kommen, Tauben zu züchten, und was das heißt, kann vielleicht nur jemand nachvollziehen, der schon einmal neben einem Taubenschlag gewohnt hat. Das Ende der SPD droht, das Ende der Zivilisation, wie wir sie kennen, einzuläuten, zugeschissen von Myriaden von Tauben und Zuchtkatzen.
Sie sehen, sozial zu verantworten ist die Auflösung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands nicht. Schon aus Eigennutz.