Über und unter Fußballfans in Wien

Rosendiebe im Volksgarten

Wenn sie nicht brav konsumieren, werden Fans bei der EM als Sicherheitsrisiko eingestuft.

Solche Schreiben haben Wiener Haus­verwaltungen jüngst verschickt: »Betreffend der in Kürze stattfindenden Euro 2008 hat sich die Haus­inhabung zu folgenden Begleitmaßnahmen entschlossen«. Es folgen: eine Ankündigung von Kontrollgängen im Haus, die Bitte an die Mieter, sehr aufmerksam auf Fremde zu achten, und außerdem soll das Haus­tor geschlossen bleiben.
Vor dem Wiener Burgtheater findet sich der Aushang, dass »aufgrund der vor dem Burgthea­ter installierten Fanmeile« die Spielzeit bereits vor der Europameisterschaft beendet wurde. Das Theater liegt aber außerhalb der Fanmeile.
Wer durch den Volksgarten spazieren möchte, liest, dass der Park »aus Gründen des Denkmalschutzes, des Schutzes der historischen Pflanzen und der Gartenarchitekturen sowie der Sicherheit« geschlossen wurde.
Das ist sehr gespreizt ausgedrückt. In Wirklichkeit will man keine besoffenen Deutschen, die in die Hecken kotzen, keine Kroaten, die auf die kostbaren Rosen pinkeln, keine Polen, die über die Rabatten trampeln. Man hat Angst vor den Fremden, die gerade zur Euro angereist sind.
Der Wiener Schriftsteller Michael Stavaric schreibt über die Hysterie vor der Euro: »Man sprach über Schlägertrupps (und über Deeskalationsseminare für Polizisten), den (statistisch belegten) Anstieg von Vergewaltigungen, Prostitutionstourismus, Wertschöpfung etc.« Solche Panikmache prägt die Vorbereitung der österreichischen Behörden auf das große Fußballfest, das zurzeit hier und in der Schweiz veranstaltet wird.
In der Innenstadt Wiens wurde eine große Uefa-Fanzone errichtet. Sie fasst etwa 70 000 Fans. In ihr herrscht – deutsche Leser werden sich an die WM vor zwei Jahren in Deutschland erinnern – beinahe exterritoriales Recht: Es dürfen nur eine Biermarke (Carlsberg), nur eine Colamarke (Coca-Cola) und nur eine Hamburger-Marke (McDonald’s) konsumiert werden, und wer einen Puma- oder Nike-Aufdruck auf seinem T-Shirt hat, muss zumindest ein Hemd überziehen, damit solch Adidas-schädliche Wer­bung nicht zu sehen ist.
Wenn bei EM-Spielen ohne österreichische Beteiligung die Fanzone nicht ganz gefüllt ist, er­hebt sich in den lokalen Boulevardblättern Kurier und Kronenzeitung Wehklagen: Die Händler, die dort beispielsweise für 4,50 Euro ihr warmes Bier verkaufen, kämen nicht auf ihre Kosten. Schlecht geplant sei das.
Spielt aber Österreich, wollen mehr als die erlaubten 70 000 Fans in die Fanzone, und prompt erhebt sich Wehklagen: Völlig überlaufen sei die Fanzone und viel zu klein angelegt. Schlecht geplant sei das.
Die Uefa-Fanzone liegt zum Teil auf dem Wiener Ring, so dass nicht nur der Autoverkehr an einer wichtigen Stelle unterbrochen ist, auch einige Straßenbahnlinien fahren nicht mehr.
In der Näher der Fanzone liegt auch das öster­reichische Parlament, um das ein großer Zaun errichtet wurde. An den Zaun sind Plakate geklebt, die die Fans einladen, »wenn der Fußball Pause hat«, sich doch mal mit dem österreichischen Gesetzgebungsverfahren zu beschäf­tigen.
Das Parlament wäre, wie auch das Burgtheater, sehr wohl noch zu erreichen, wenn man nicht einen Zaun darum gezogen hätte. Und der Zaun steht da, weil man Angst vor den Fans hat, die die Stadt übervölkern.
Das Café Landtmann neben dem Burgtheater hat noch geöffnet. »So schlecht wie noch nie im Juni« sei der Umsatz, sagt der Kellner. Im Landtmann kann man üblicherweise die Burgschauspieler nach der Aufführung sehen, und auch Minister und Abgeordnete verkehren hier gerne.
Aber wenn der Ring nicht mehr für den Straßenverkehr geöffnet ist, können die Minister nicht mit ihren Dienstkarossen vorfahren, und das aufgedonnerte Bildungsbürgerpublikum kann sich nicht mit dem Taxi bis zum Eingang kutschieren lassen.
Der Wiener Ring ist zurzeit in eine Fußgänger­zone verwandelt, und die Bildungsbürger müss­ten zu Fuß zur Premiere gehen. Neben ihnen wür­den dann Fußballfans spazieren, die sich für ihre Abendgestaltung ebenfalls aufgedonnert haben.
Doch Fußballfans gelten hier in Wien als kulturelle Zumutung. Sie sind Erscheinungsformen einer ansonsten zwischen Hofburg und Na­tionalbibliothek, zwischen Burgtheater und spanischer Hofreitschule nicht bekannten proletarischen Öffentlichkeit.
Der Fußballfan ist ein fremdes Wesen. Damit ist er auch das, was Fremde immer gerne sind: eine personifizierte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit.
Die österreichischen Behörden bringen dem Fußball und seinen Fans nicht gerade Respekt entgegen. Das gilt nicht nur für die Polizei, auch nicht nur für die Kulturbürokratie, die etwa Bur­gtheater, Bürgerpark und Volksgarten schließen ließ, sondern auch für viele Intellektuelle, die Fans als Bedrohung dessen verstehen, was sie als Kultur ansehen.
Die Wahrheit lautet: Respekt erfahren Fußball­fans beinahe nur von Coca-Cola, Adidas, McDo­nald’s und Carlsberg. Sind Fans für die staatlichen Behörden immer noch primär ein Sicherheitsrisiko, so sind sie für diese Weltkonzerne gern gesehene Kunden, die bereitwillig überteuerte und nicht wirklich wohlschmeckende Biere, Brausen oder Burger konsumieren.
Der Fußballfan ist, um es in den Worten der politischen Philosophie zu sagen, schon ein »bour­geois«, aber noch kein »citoyen«; ein Wirt­schaftsbürger ja, ein Staatsbürger nein.
»Die Fanhorden in den Straßen Wiens sind nun beileibe keine ›Barbaren‹ oder ›Wandalen‹, auch wenn sie vielleicht eine Klientel des höheren Bürgertums als solche sehen möchte«, schreibt Michael Stavaric. »Der ›klassische‹ Fuß­ballfan fällt auch in Wien durch lautstarkes Auftreten und übersteigerten Alkoholkonsum auf, die potenzielle Gewaltbereitschaft hält sich aber (meiner Erfahrung nach) in Grenzen – wer jemals zu einem zünftigen Feuerwehrheurigen in die österreichische ›Provinz‹ geladen war, weiß, dass die Chance, dort zu später Stunde einen auf die Schnauze zu bekommen, ungleich höher ist.«
Dass es Fußballfans gibt, die wirklich gefährlich sind beziehungsweise es werden können, stimmt ja. Entsprechende Berichte, gerade über deutsche, wie es nicht ganz falsch heißt: Schlach­tenbummler, wurden aus Klagenfurt gemeldet, aus Wien – dieser Bericht wurde vor dem Spiel zwischen Deutschland und Österreich am Montagabend geschrieben – bislang nicht. Hier fallen deutsche Fans durch T-Shirts auf, auf denen »Euer Hass ist unser Stolz« zu lesen ist. Doch der prozentuale Anteil solcher Fans an allen Fans, die zur Euro angereist sind, dürfte niedriger sein als der der Wirtschaftskriminellen an den Besuchern des Burgtheaters oder der ganz alltäglichen Hinter-den-Strauch-Pinkler oder Rosendiebe im Volksgarten.
Die Fußballfans bei der Euro erobern sich gerade einen öffentlichen Raum, eine Präsenz in den Innenstädten, die ihnen sonst nicht zugestanden wird.
Bei früheren Fußballfesten waren für Fans Turnhallen und Autobahnraststätten vorgesehen. Heute sind sie in den Innenstädten und schaffen es sogar, das öffentliche Leben lahm zu legen – nicht mal unoriginell: In Wien findet sich das Denkmal der Maria Theresia inmitten der Fanzone, eingerüstet von Coca-Cola. Die sonst die Kaiserin umgebenden vier Generäle sind gar nicht mehr zu sehen, nur Maria Theresias Kopf ragt noch heraus.
Ganz ist das Burgtheater übrigens nicht geschlossen. Telekom Austria bietet dort für – wie man in diesen Kreisen sagt – Geschäftspartner exklusive Essen bei gleichzeitigem Fußballschauen an. Das Theater kann man nicht durch den Haupteingang betreten, man wird von Helfern durch ein Loch im Zaun gewunken. Dem immer noch nötigen Spaziergang über den Ring wächst somit etwas Folkloristisches zu: Modernes Theater. Nur die mutigen und welt­offenen Angehörigen der feinen Wiener Gesellschaft setzen sich der Gefahr aus, von einem echten Fußballfan angerempelt zu werden. Wenn sie nach Hause kommen, können sie dann immer noch auf Fremde im Hausflur achten.