Der Streit um Israel in der Linkspartei geht weiter

Kein Frieden mit Shalom

In der Linkspartei geht der Streit um Israel weiter. Mit ziemlich eigenwilligen Mitteln versucht der Sprecherrat des Jugendverbandes, einen israelfreundlichen Arbeitskreis zum Schweigen zu bringen.

Das Selbstverständnis von Solid, der Jugendorganisation der Partei »Die Linke«, lässt keine Zweifel aufkommen: Man sei, so heißt es in der Satzung, »ein sozialistischer, antifaschistischer, basisdemokratischer und feministischer Jugendverband« sowie eine »Plattform für antikapitalistische und selbstbestimmte Politik«. Doch dem Sprecherrat von Solid, der gemäß Statut »das höchste Organ zwischen den Bundeskongressen« ist, handeln manche Mitglieder des Verbandes offenbar zu selbstbestimmt.
In einem Beschluss warf der Vorstand dem Bundesarbeitskreis (BAK) Shalom Mitte Juni vor, die »thematische Organisationsfreiheit im Bundesverband für strömungspolitische Bestrebungen auszubeuten«, die »demokratischen Meinungsbildungsstrukturen des Verbandes zu unterlaufen« und satzungswidrig »Haushaltsmittel des Jugendverbandes für Öffentlichkeitsarbeit« verwendet zu haben. Der BAK Shalom möge daher die angeblich zweckentfremdeten Gelder zurückerstatten und seine »Öffentlichkeitsarbeit als Bundesarbeitskreis der Linksjugend« einstellen – denn diese sei »dem Bundeskongress, dem BundessprecherInnenrat und dem Länderrat vorbehalten«.

Die Sätze klingen zwar sehr bürokratisch, sind aber von schwerwiegender, politischer Bedeutung: Im Sprecherrat sind die israelfreundlichen Stellungnahmen und Tätigkeiten des umtriebigen BAK Shalom, der sich als »Plattform gegen Antisemitismus, Antizionismus, Antiamerikanismus und regressiven Antikapitalismus« versteht, bereits seit längerer Zeit nicht gern gesehen (Jungle World 23/08). Los wird er die Mitglieder des BAK Shalom allerdings nicht ohne weiteres, schließlich sind die Arbeitskreise von Solid gemäß der Satzung »auf Dauer angelegte, bundesweite thema­tische Zusammenschlüsse des Jugendverbandes«, die »selbstständig über ihre Arbeitsweise und innere Struktur« entscheiden dürfen. Doch für die Sprecher der Linksjugend steht fest: Die Genossen vom BAK haben diese Freiheiten gezielt missbraucht. Deshalb fror man ihre finanziellen Mittel ein und untersagte ihnen, eigenständig öffentliche Erklärungen abzugeben.
Benjamin Krüger, einer der Bundessprecher des BAK Shalom, sieht in diesen Maßnahmen einen »politisch motivierten Zensurversuch«, der Ausdruck eines »erheblichen Demokratiedefizits« sei. »Wenn es bei dem Beschluss bleiben sollte, dürften wir praktisch gar nichts mehr«, sagte er der Jungle World, »keine Presseerklärungen und keine öffentlichen Papiere verfassen, keine Flyer verteilen, keine Reader erstellen, keine Aufkleber produzieren, keinen Newsletter verschicken, keine Internetseite betreiben und keine Meinungsäußerung von uns geben.« Die Auffassung des Sprecher­rats, sämtliche Materialien müssten erst abgesegnet werden, sei absurd. »Das würde das Ende der Handlungsfähigkeit des BAK Shalom bedeuten«, sagte Krüger.
Dabei habe man »immer klar formuliert, dass es sich bei unseren Statements um die Meinung des Arbeitskreises handelt und nicht um die von Solid«, ergänzt er. »Natürlich kämpfen wir weiter dafür, dass unsere emanzipatorischen Forderungen in der Linksjugend ankommen. Aber das ist legitim.« Nicht zuletzt deshalb sei man auch mit einem »Plädoyer für die Prinzipien unseres Jugend­verbandes« an die Öffentlichkeit getreten und habe dafür große Zustimmung erhalten.

Nun muss sich die Bundesschiedskommission von Solid mit dem Fall beschäftigen, denn bei ihr hat der BAK Shalom Widerspruch gegen das Vorgehen des Sprecherrats eingelegt. »Der Beschluss ist ohne vorherige Anhörung des BAK Shalom erfolgt«, heißt es zur Begründung der Eingabe. »Durch die Sperrung und die Forderung nach Rückzahlung der Mittel sowie das Verbot, Öffentlichkeitsarbeit zu leisten, würde der BAK Shalom de facto aufgelöst. Für die Forderung nach Rückzahlung der finanziellen Mittel, die der BAK Shalom für Öffentlichkeitsarbeit ausgezahlt bekam, besteht keinerlei Rechtsgrundlage«, wird weiter ausgeführt. Vielmehr habe der Sprecherrat Ende Februar sogar entschieden, »dass die Bundesarbeitskreise des Jugendverbandes eigene Finanztöpfe erhalten, über die sie frei verfügen«.
Auch Halina Wawzyniak, die stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei, zeigte ihr Unverständ­nis. »Ich bedaure, dass hier ein inhaltlicher Streit über den formalen Weg ausgetragen wird«, sagte sie der Jungle World. Die Satzung von Solid habe große Ähnlichkeit mit der Satzung der Partei, und dort »wäre ein solcher Beschluss gar nicht zulässig«. Es sei »unvorstellbar, dass von einem Arbeitskreis Gelder zurückgefordert werden«.
Der Sprecherrat selbst war zu keiner Stellungnahme bereit. Man wolle sich zu einem laufenden Verfahren nicht äußern, sagte der Solid-Bundessprecher Max Steininger. Seine Meinung hatte er jedoch bereits bei anderen Gelegenheiten deutlich gemacht. Auf der Internetseite des BAK Sha­lom ist zu lesen, Steininger habe die Mitglieder des Arbeitskreises in einer Rundmail als »durchgeknallte Zyniker« bezeichnet. Und in der Taz schimpfte er, die Forderung des BAK nach einem Rücktritt des außenpolitischen Sprechers der Linkspartei, Norman Paech, sei der »Blödsinn« von »einigen wenigen Randfiguren im Verband«; der BAK hatte Paech die »Verbrüderung mit der terroristischen Hamas« vorgeworfen. Das »Problem in dieser Debatte«, befand Steininger, sei vielmehr »die Tabuisierung der Unterdrückung der Palästinenser«.
Ganz in diesem Sinne fiel auch eine Stellungnahme aus, die der Solid-Sprecher gemeinsam mit seiner Vorstandskollegin Wiebke Martens verfasste und die der Sprecher- und der Länderrat des Jugendverbandes kürzlich gemeinsam verabschiedeten. »Die Shoa der JüdInnen in Europa und die Nakba der PalästinenserInnen im Nahen Osten sind historische Tatsachen«, mit diesen Worten zogen die Schreiber eine Parallele zwischen der Vernichtung der Juden im Nationalsozialismus und der so genannten Katastrophe für die Palästinenser durch die israelische Staatsgründung. Zwar seien diese Ereignisse »in ihrer Verschiedenheit, ihrem Ausmaß und ihrer Qualität« nicht gleichzusetzen. Aber dennoch gebe es Gemeinsamkeiten: »Die Erfahrung von Mord und Vertreibung existiert auf beiden Seiten.«

»Shalom heißt Frieden« ist die Stellungnahme überschrieben. Dass sie beinahe zur selben Zeit wie der Beschluss gegen den BAK Shalom veröffentlicht wurde, dürfte kein Zufall sein. Denn in allen Gliederungen der Linkspartei sammeln sich inzwischen die antizionistischen Kräfte, um bereits dem Aufkommen einer israelfreundlichen Strömung ein Ende zu bereiten – und wenn es mit Hilfe der Satzung ist, die notfalls recht eigenwillig ausgelegt wird. So viel Selbstbestimmung muss schließlich sein.