Kosovo-Serben wollen ein eigenes Parlament konstituiren

Konfuse Verfassung

Das Kosovo-Parlament agiert ohne faktische Souveränität, und Ende Juni wollen die Kosovo-Serben ein eigenes Parlament konstituieren. Die Verwaltungsstruktur im Kosovo wird immer unübersichtlicher.

Eigentlich wollte Arben Mustafa in den kommenden Sommerferien entspannt die Unabhängigkeit des Kosovo genießen. Der Metallarbeiter aus Stuttgart plante, mit seinem blank geputzten Mercedes die 1 600 Kilometer nach Pristina zu fah­ren, um dort mit den Verwandten die »Freiheit« zu feiern, wie er sagt. Aber in den vergangenen Tagen ist ihm die Lust vergangen. »Klar fahre ich trotzdem ins Kosovo in den Urlaub«, meint er. »Aber ich glaube, wir sind doch noch nicht richtig frei.«
Vier Monate nach der unilateralen Unabhängig­keitserklärung setzt sich unter den Kosovo-Albanern langsam die Erkenntnis durch, dass der völkerrechtliche und politische Status des Kosovo keineswegs endgültig geklärt ist. Nach der jüngsten Intervention von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon verlieren sogar die Experten langsam den Überblick, wer in der ehemaligen jugoslawischen Provinz was zu bestimmen hat. Sicher ist nur: Die Kosovo-Albaner selbst haben am wenigsten zu sagen.
Zwar verabschiedete das Kosovo-Parlament am 15. Juni eine neue Verfassung. Aber souverän wurde Kosovo dadurch keineswegs. Im Gegenteil: Mit dem Dokument stimmten die Parlamentarier dem so genannten Ahtisaari-Plan zu. Dieser sieht unter anderem die Überwachung durch einen »Internationalen Zivilvertreter« vor, der in Zukunft von der Europäischen Union bestellt wird. Der dazu bereits auserwählte Niederländer Pieter Feith soll mit seinen Mitarbeitern die kosovarische Regierung offiziell nur »beraten«. Er ist aber auch befugt, Gesetze zu ändern oder sogar Amtsträger entlassen.
Mit dieser bitteren Pille hatte sich die kosovo-albanische politische Elite nach langen Verhandlungen abgefunden. Für neuen Ärger sorgt aber die geplante Implementierung einer »Rechtsstaatsmission« der Europäischen Union unter dem Namen Eulex. Die etwa 2 000 internationalen Staatsanwälte, Polizisten und Verwaltungsexperten sollen in Zukunft die Bekämpfung der grassierenden organisierten Kriminalität und das restriktive Migrationsregime der EU sicherstellen. Eigentlich sollte Eulex dabei die bisherige UN-Mission Unmik ablösen. Aber nach einem neuen Vorstoß von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon soll Eulex nun nur unter dem Dach der Unmik aktiv werden dürfen.

Damit entsteht eine Situation, die viele Kosovo-Albaner als absurd empfinden. Denn trotz der unilateralen Unabhängigkeitserklärung, die von den meisten EU-Staaten und den USA unterstützt wird, bleibt die Resolution 1 244 des UN-Sicherheitsrats vom Juni 1999 die Rechtsgrundlage für die internationale Protektoratsverwaltung. Diese Resolution definiert das Kosovo weiterhin völkerrechtlich bindend als Bestandteil Serbiens.
Ban Ki-moon kommt damit Serbiens Schutzmacht Russland entgegen, die im UN-Sicherheitsrat die Anerkennung des Kosovo energisch blockiert. »Ban scheint eine Situation erreichen zu wollen, in der die serbischen Anführer behaupten können, dass das Kosovo nicht unabhängig sei und immer noch zu Serbien gehöre, während die albanischen Führer das Gegenteil behaupten können und so tun können, als ob das ganze Kosovo unter ihrer Kontrolle stehe«, erläutert der britische Kosovo-Experte Tim Judah.

Perfekt wird die Konfusion freilich durch das Ver­halten der Kosovo-Serben und der serbischen Regierung. Denn diese erkennen die Unabhängig­keitserklärung weiterhin nicht an. Stattdessen haben sie am 11. Mai zusammen mit den serbischen Parlamentswahlen auch Lokalwahlen im Kosovo abgehalten. Mittlerweile haben sich in den Gebieten mit serbischer Mehrheitsbevölkerung eigenständige Gemeindeverwaltungen konstituiert, die keinerlei Kontakt zu Pristina unterhalten und vollständig in das institutionelle System Serbiens integriert sind.
Zum Mythen beladenen Veitstag am 28. Juni, dem 619. Jahrestag der »Schlacht auf dem Amselfeld« im Jahr 1389, wollen die neuen serbischen Gemeindevertreter mit Unterstützung aus Belgrad nun sogar ein eigenständiges Kosovo-Parlament bilden. Der EU-Abgesandte Pieter Feith spricht von der Gefahr einer »funktionalen Teilung« des Kosovo. Dass die unilaterale Unabhängigkeitserklärung zu einer solchen Entwicklung führen könnte, wurde zwar von vielen Experten erwartet. Der Stuttgarter Arben Mustafa aber hält das alles für »Blödsinn«.