Spitou Mendy im Gespräch über die Arbeitsbedingungen von Migranten in den Gewächshäusern von Almería

»Die Tomate aus Marokko ist spanisch«

Spitou Mendy kam 2001 aus dem Senegal nach Spanien und arbeitete in den Gewächs­häusern rund um die Stadt Almería, wo der Großteil der spanischen Gemüseexporte produziert wird. Seit 2007 ist er lokaler Sprecher der »Gewerkschaft der Feld- und Landarbeiter Andalusiens« (SOC). Viele Arbeiter leben unter ärmlichsten Bedingungen in selbst gezimmerten Bretterbuden (chabolas) auf Brachflächen zwischen den Gewächshäusern. Mindestens einmal in der Woche macht die SOC eine Tour durch das Labyrinth der Gewächshäuser, um mit den Arbeitern über ihre Arbeits- und Wohnbedingungen zu reden.

Wir sind heute fast zwei Stunden lang in den chabolas unterwegs gewesen. Nehmen an Ihren Touren sonst auch lokale Journalisten teil?
Nein, nie. Und zwar aus dem einfachen Grund, dass Kritik hier nicht willkommen ist. Wer den Mund aufmacht, gilt als Feind der lokalen Ökonomie. Wenn wir uns nach den Problemen der iso­lierten Arbeiter erkundigen, begleiten uns nur ausländische Journalisten.
Wie viele der zwischen den Gewächshäusern wohnenden Arbeitskräfte sind illegal beziehungsweise haben keine Papiere?
Der letzte Begriff gefällt mir besser. Es handelt sich um auf lokaler Ebene Undokumentierte. Illegal ist niemand, kein Mensch ist illegal. Selbst der Begriff »ohne Papiere« ist ein politisches Etikett und nicht korrekt, denn als ich mein Land verließ, hatte ich einen Pass. Diese Leute haben alle keine Niederlassungsbescheinigung und keine Arbeitserlaubnis für Spanien. Sie leben hier, weil sie nirgendwo sonst einen Mietvertrag bekommen. Einige sind aber auch auf den Geschmack gekommen, denn für die Bretterbuden zwischen den Gewächshäusern zahlen sie keine Miete oder anderen Gebühren. Die Mehrheit jedoch hat keine andere Möglichkeit, weil sie keine Papiere hat und aufgrund der unregelmäßigen Arbeit nicht in der Lage ist, genügend Geld für Mietzahlungen anzusparen.
Die öffentlichen Stellen dulden hier offensichtlich einen irregulären Arbeitsmarkt. Hat das Auswirkungen auf den Rest der Bevölkerung in dieser Gegend, Stichwort Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse?
Dass es Arbeitskräfte gibt, die man als illegal bezeichnet, wird von der spanischen Regierung geduldet und ist gewollt. Die papierlosen Migranten kommen auf den kanarischen Inseln an, wo sie nach 40 Tagen in einem Lager, das einem Gefängnis gleicht, den Ausweisungsbescheid bekommen. Dann fliegt man sie per Flugzeug hierher, wo billige Arbeitskräfte gebraucht werden. In den Gewächshäusern arbeitet kein Mensch mit legalem Status, und die Tarifverträge werden nicht eingehalten. Statt 48 werden derzeit 35, höchstens 37 Euro für einen Acht-Stunden-Tag gezahlt. Wer es schafft, Papiere zu bekommen, geht. Deshalb werden die Arbeitskräfte in einer pre­kären Situation gehalten. Die ständige Angst vor der möglichen Ausweisung, die schlechten Lebensbedingungen und die punktuelle Arbeitslosigkeit lassen sie jegliche Arbeitsbedingungen akzeptieren. Mit einem Papierlosen hat ein Unternehmer keine Schwierigkeiten.
Das heißt, der Effekt auf die restliche Bevölkerung ist nicht groß, weil diejenigen mit Papieren sowieso anderswo arbeiten?
Ja. Die Aussage, »die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg«, bezieht sich nie auf die Feldarbeit. Dort sind schon seit Jahren keine in Spanien Geborenen mehr beschäftigt, die schlagen sich nicht darum, hier zu arbeiten. Nur die Chefs und die meisten Aufseher sind Spanier.
Werden die auf den Kanaren Angekommenen wirklich mit Flugzeugen hierhergeflogen?
Es gibt eine Übereinkunft zwischen der kanarischen Regional- und der spanischen Zentralregierung, nach der diese Leute ab einer gewissen Anzahl nach Madrid geflogen werden, wenn sie mangels Papieren nicht abgeschoben werden können. Wir wissen, dass die Leute, vor allem aus den subsaharischen Ländern, von Madrid nach Andalusien kommen, um hier in der Landwirtschaft zu arbeiten. Die Busfahrkarte erhalten sie von Nichtregierungsorganisationen.
Haben Sie aktuelle Informationen, aus welchen Ländern die meisten Arbeitskräfte kommen?
Zahlen langweilen mich. Außerdem sind die Zahlen ständig im Fluss. Heute kommen zehn zur Arbeit, morgen fünf, übermorgen 20. Die meisten hier stammen aus Marokko, was verständlich ist, da das Land nur ein paar Kilometer entfernt von hier ist. Andere kommen aus Guinea-Bissau, aus dem Senegal, aus Mali. Es gibt auch Rumänen und Südamerikaner, alles in allem ist die Zusammensetzung der Flüchtlinge ein Abbild der allgemeinen Immigration nach Andalusien.
Wie ist die Repräsentation in der SOC hinsichtlich der Nationalitäten und hinsichtlich der Frauen?
Die SOC kämpft für die Menschenrechte, also gibt es keine Repräsentation gemäß Nationalität oder ethnischer Gruppe. Die Angestellten werden je nach Bedarf zusammengestellt. Ich vertrete beispielsweise die Subsaharianer. Wir haben eine argentinische Koordinatorin und eine Spanierin für das Arbeitsrecht. Zu uns kommen Arbeiter aus allen Ländern, auch Spanier. Vor allem aber Marokkaner, denn sie sind nicht nur die größte Gruppe, sondern haben auch die meisten Schwierigkeiten. Die Leute kommen übrigens nur dann zu uns, wenn sie Probleme haben. Politisch begründete Mitgliedschaften gibt es nicht.
Wir haben heute bei den Gewächshäusern sehr wenige Frauen gesehen, arbeiten sie wo­anders?
Ja. Es herrscht die weit verbreitete Ansicht, dass Frauen besser für die Lagerarbeit geeignet sind, wo sie Obst und Gemüse verräumen. Es gibt aber auch Ausnahmen. In einem Gewächshaus arbeiteten eine Zeit lang nur vier Männer, der Rest wa­ren Frauen, die aus Osteuropa kamen. Frauen aus Polen oder Rumänien gefallen dem Chef, des­halb will er sie in seiner Nähe behalten.
Warum hat die SOC zusammen mit weiteren kleineren Gewerkschaften die »Andalusische Arbeitergewerkschaft« (SAT) gegründet?
Die SAT ist ein Ergebnis der neuen Zusammensetzung der Arbeitskraft. Die Bezeichnung »Gewerkschaft der Feldarbeiter« hat heute keinen Sinn mehr, obwohl diese Ausrichtung beibehalten werden muss, wo es nötig ist. In der SAT werden die vielen Immigranten, die in anderen Branchen arbeiten, aber für Beratungen bisher zu uns kamen, aufgenommen werden können. Diese Leute wissen oft nicht, zu wem sie sonst gehen sollen. Die großen Gewerkschaften hier, Comisiones Obreras und UGT, unterschreiben zwar Abkommen mit den Arbeitgebern über Arbeitsbedingungen, aber für deren Einhaltung tun sie nichts. Das machen wir, obwohl wir nichts unter­schrieben haben. Nur durch unsere Arbeit werden die Beschwerden der Arbeiter öffentlich.
Es gibt einige Gewerkschaften aus dem Mittelmeerraum, die sich gegen den Euro-Maghreb-Gipfel im Juli in Paris organisieren. Nehmt ihr an den Protesten teil?
Bisher habe ich davon nichts gewusst. Aber wir werden uns sicherlich daran beteiligen, wenn man uns dazu einlädt. Wir unterstützen alle Initiativen, die nach Lösungen für die Probleme dieser Welt suchen. Wenn wir schweigen, bringt uns der Kapitalismus um. Die Globalisierung ist schon lange vorangeschritten, und immer noch diktiert Europa die Bedingungen. Wenn die Länder, aus denen die Migranten kommen, nicht mit einer Stimme sprechen, werden weiterhin nur die Waren legal einreisen können.
Was kann von Seiten der Konsumierenden getan werden, um den Kampf der Arbeiter hier zu unterstützen?
Die Konsumierenden müssen wissen, dass von dem Produkt, das sie für einen Euro kaufen, lediglich 20 Cent an den Bauern gehen. Trotzdem wäre ein Boykott ihrer Produkte keine Lösung. Wir kämpfen für eine Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen. Die Unternehmer müssen endlich die in den Abkommen festgelegten Unterkünfte für die Arbeiter bereitstellen. Die Beziehungen zwischen Arbeitenden und Chefs müssen, wie diejenigen zwischen den Chefs und dem Zwischenhandel, besser werden. Wir fordern gerechte Preise, Löhne und Arbeitsbedingungen. Alles, was aus Almería kommt, ist von modernen Sklaven produziert. Aber wenn bekannt wird, dass die Konsumierenden deshalb die Produkte boykottieren, werden diese in Israel oder Marokko eingekauft. Und in Marokko sind die Arbeitsbedingungen noch schlimmer, dort werden für einen Acht-Stunden-Tag gerade mal fünf Euro bezahlt.
Führt diese Billigkonkurrenz zu einer weiteren Prekarisierung in Andalusien?
Das glaube ich nicht. Der Kampf wurde zwischen den Bauern aus der EU und aus Marokko geführt. Die ersteren, vor allem die aus Spanien, wollten zunächst verhindern, dass die Produkte der Marokkaner nach Europa gelangen. Mittlerweile praktizieren sie aber die »Delocalizacion«. So hat beispielsweise die spanische Firma von Juan Cantón in Marokko doppelt so viele Gewächshäuser wie in Almería. Von dort werden die Tomaten dann nach Almería gefahren und umetikettiert: »Producto de España«. So ist das im Kapitalismus: Produkte dürfen frei zirkulieren, Menschen nicht.
Dann dürfen also auch die marokkanischen Bauern ihre Tomaten nach Spanien exportieren?
Die Firmen, die in Marokko Tomaten anbauen, sind alle spanisch. Sie haben das Land aufgekauft. Also gibt es diesen Handelsstreit nicht mehr. Die Tomate aus Marokko kommt hierher und ist spanisch. Und als solche kommt sie dann nach Deutschland.