Der Initiativkreis »Mediaspree versenken«

Kein Disney, nirgends

Sollte das Großprojekt »Mediaspree« in Friedrichshain-Kreuzberg wie geplant entstehen, drohen höhere Mieten. Doch der »Initiativkreis Mediaspree versenken«, der einen Bürgerentscheid gegen das Bauvorhaben durchsetzen konnte, möchte noch etwas ganz anderes verhindern: die Amerikanisierung des Bezirks.

Der Geruch von Gummi und Schweiß lag in der Luft. Es wurde gepumpt und geschraubt. Aber in der vergangenen Woche waren keine gewöhnlichen Camper am Werk. Die Menschen, die ihre Schlauchboote und Kajaks seetüchtig machten, begaben sich nicht um einer Ausflugsfahrt willen auf die Spree. Die etwa 30 Boote, die sich am Ende auf dem Fluss befanden, blockierten einem Ausflugsdampfer namens »Spree-Comtess« den Weg.
Der »Initiativkreis Mediaspree versenken« hatte zum »Investorenbejubeln« geladen. Auf der »Spree-Comtess« tuckerten Vertreter von Mediaspree e.V. durch Berlin. Der Verein möchte Medien- und Kommunikationsunternehmen dazu bewegen, sich am Flussufer im Berliner Bezirk Frie­drichshain-Kreuzberg niederzulassen. Den Plänen zufolge sollen auf einer Fläche von etwa 120 Hektar Büro-, Geschäfts- und Wohngebäude entstehen. Doch die vorgesehene Besichtigung der Liegenschaften wurde von den Demonstranten zu Wasser verhindert, die »Spree-Comtess« musste an der Grenze zu Friedrichshain-Kreuzberg umdrehen.
Dass die Protestierenden einen Eifer an den Tag legten, wie er gewöhnlich auf bundesdeutschen Campingplätzen zutage tritt, passt zu den Forderungen, die der Initiativkreis stellt. Diese klingen bisweilen, als habe sie sich ein Kleingartenverein ausgedacht: »Wir fordern einen Mindestabstand von 50 Metern zum Spreeufer für sämtliche Neubauten und die Einhaltung der Berliner Traufhöhe von max. 22 Metern.« Dennoch greift man auch zu großen Formulierungen: »Eine historische Entscheidung steht an: Werden die Spree­ufer bis auf einen ›Uferwanderweg‹ verbaut oder werden Grün- und Kulturflächen für alle geschaffen?«

Der bieder-bürokratische Ton, die Rede von »Mindestabständen« und »Traufhöhen«, ist sicher auch der Tatsache geschuldet, dass der Initiativkreis mit den Forderungen einen Bürgerentscheid gewinnen will. Am kommenden Sonntag sind die Wahlberechtigten in Friedrichshain-Kreuzberg dazu aufgerufen, sich zwischen der Vor­lage von »Mediaspree versenken« mit dem Namen »Spreeufer für alle!« und einem Vorschlag der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) mit demselben Namen zu entscheiden. Dieser Antrag wird von den Grünen, der »Linken«, der CDU und der FDP in der BVV unterstützt.
Im Untertitel unterscheiden sich die Wahlmöglichkeiten aber. Der Initiativkreis fordert ein »Spree­ufer für alle statt einem Uferwanderweg entlang riesiger Baublocks und Hochhäuser«. Die Bezirksverordneten wollen ein »Spreeufer für alle – aber ohne Millionenentschädigungen«. Nach Angaben der BVV zöge die Änderung der Be­bauungspläne Entschädigungszahlungen von 164 Millionen Euro an die Grundstückseigentümer nach sich, die auf einem 50 Metern breiten Grünstreifen nach dem Willen von »Mediaspree versenken« dann keine Gebäude mehr errichten dürften. Deshalb erachtet die BVV die Einhaltung des Abstands von 50 Meter nur insoweit für sinn­voll, »wie dadurch keine Entschädigungen aus dem Bezirkshaushalt an Eigentümer zu leisten sind«. Carsten Joost, der Sprecher des Initiativkreises, hält die Angaben der BVV aber für falsch: »Die BVV hat sämtliche Grundstücke an der Spree pau­schal eingerechnet. Uns geht es nur um die Neubauflächen, also elf Grundstücke, für die dann vielleicht eine Entschädigung zu zahlen wäre.«
Zahlen, mit denen für das Großprojekt geworben wurde, sind den Gegnern zufolge ebenfalls falsch. »Die versprochenen 30 000 Arbeitsplätze durch das Mediaspree-Projekt haben sich längst als Legende herausgestellt«, heißt es im Informa­tionsmaterial der Initiative. Christian Meyer, der Geschäftsführer von Mediaspree e.V., widerspricht den Angaben: »Wir haben nie solche Versprechen abgegeben. Was wir sagen können, ist: In den vergangenen Jahren sind im Gebiet der Mediaspree etwa 15 000 Arbeitsplätze entstanden. Nicht alle davon wurden neu geschaffen, ein Teil wurde von anderen Orten hierher verlagert. Aber auch das ist ja kein Geheimnis.«

Was die Entscheidung der Wahlberechtigten stärker beeinflussen dürfte als die Diskussion um zukünftige Entschädigungszahlungen und Arbeits­plätze, ist die Angst vor steigenden Mieten. Schät­zungen, Studien oder Vergleichsfälle gibt es nicht. »Aber in letzter Zeit wurden Mieterhöhungen durchaus mit der Lage begründet. Dann heißt es: ›Das ist Mediaspree-Gebiet!‹ Da gab es erst kürzlich in der Wrangelstraße einen Fall«, berichtet Carsten Joost. Sollte sich Mediaspree e.V. durchsetzen und immer mehr Unternehmen ein Grund­stück am Flussufer vermitteln, dann droht nach Ansicht der Gegner die »Gentrifizierung«: Der Bezirk wird »aufgewertet«, »neue Dienstleistungseliten«, »Gentrifier« und »Yuppies« ziehen zu und verdrängen die ansässigen Bewohner, »die einkommensschwachen Milieus müssen gehen«. Dabei setzen freilich nicht die sich ansiedelnden, internationalen Unternehmen die Miete fest, sondern immer noch die ortsansässigen Vermieter. Sie tauchen allerdings in den Broschüren und Faltblättern der Mediaspree-Gegner gar nicht erst auf.
Das ist anscheinend nicht nötig. Die Argumente von »Mediaspree versenken« treffen auch so auf Zustimmung. Noch vor Ablauf der gesetzlichen Frist konnte der Initiativkreis 16 500 statt der erforderlichen 5 000 Stimmen für die Einleitung des Bürgerentscheids vorweisen. So großer Zuspruch weckt auch in der Linken Hoffnung. Die Antifaschistische Linke Berlin (ALB) hat eigens eine Broschüre zu »Privatisierung, Kapitalismus und Widerstand« herausgegeben, in der es auch um Mediaspree geht. Optimistisch stellt die ALB fest: »Das gesellschaftliche Klima ist also günstig für die radikale Linke, um in die Kämpfe gegen Privatisierung zu intervenieren und antikapitalistische Positionen in die Gesellschaft hinein­zutragen.« Im Mai widmete sich zudem das autonome Spektrum während der Freiraumtage aus­giebig dem »Stadtentwicklungs-Monster«.

Überdies tut »Mediaspree versenken« seine »Solidarität mit dem Hausprojekt Köpenicker Straße 137« und der »Wagenburg Schwarzer Kanal« kund. Gemeinsam möchte man »alternative Kulturprojekte« erhalten, die sich am Spreeufer befinden. Bei diesen »Projekten« handelt es sich schlicht um eine Reihe von Strandbars und anderen Lokalitäten, die von ortsansässigen Kleinunternehmern betrieben werden. Wenn sich »Me­diaspree versenken« für »lokale Mikroprojekte« und »kleingewerbliche Nutzung« ausspricht, klingt das Ganze dann eher nach den Aussagen einer Mittelstandsinitiative, die sich darüber beschwert, dass die größere, zahlungskräftigere Konkurrenz Grundstücke aufkauft.
In einem dieser »Kulturprojekte«, dem Yaam, findet Ende Juli das »Freigeist Music Festival« statt. Auftreten wird u.a. die HipHop-Kapelle »Die Bandbreite«, die in der Vergangenheit mit Verschwörungstheorien zu 9/11 auf sich aufmerksam gemacht hat (Jungle World 33/07). Die Band passt gut ins Programm: Auf dem Festival wird der Ver­schwörungsfilm »Loose Change« gezeigt und als DVD an die Gäste verteilt. Auf einer Hochhaus­baustelle würde das nicht passieren.
Den »Initiativkreis Mediaspree versenken« dürfte das Festival nicht sonderlich stören. Denn Friedrichshain-Kreuzberg droht nach Ansicht der Initiative tatsächlich Schlimmes aus den USA. »Kein Disney in Kreuzberg!« fordert sie. Zwar ist bislang nicht bekannt, dass der Disney-Konzern eine Filiale an der Spree plant, dafür haben sich BASF, Karstadt-Quelle und Verdi dort niedergelassen. Doch ebenso wie beim Slogan »Kreuzberg ist nicht Nike-Town« versteht jeder, was gemeint ist: Kreuzberg und Friedrichshain droht die Amerikanisierung!

Im vergangenen Jahr waren die Macher von »Mediaspree versenken« mit einer eigenen, mobilen Suppenküche angerückt, um die Eröffnung einer Filiale von »Mc Donald’s« in der Kreuzberger Wrangelstraße zu verhindern, sie konnten jedoch nichts ausrichten. Dass die amerikanischen Burger die deutsche Gemüsesuppe ausgestochen haben, dürfte der Initiativkreis noch verschmerzt haben.
Aber welch wahre Unbill dem urwüchsigen »Kiez« durch den Zuzug von internationalen Kon­zernen und »Yuppies« droht, besingt Monkey Mob in »Hier im Kiez«. Den Song gibt es auf der Homepage von »Mediaspree versenken« zu hören, die Band wird dort als »Teil des Widerstands gegen die Umstrukturierungsprozesse« bezeichnet. »Blutegel saugen das Viertel leerer und leerer«, beschwert sich die Kapelle in einer in Deutsch­land traditionell sehr beliebten Metaphorik. »Immobilienhaie spekulieren um Preise, zersetzen das große Ganze in Einzelteile«, fahren Monkey Mob fort. Die Band kommt zu dem Schluss: »Sie kommen, um unser Land zu rauben!«
Die knallharte »Kapitalismuskritik« ruft Zu­stim­mung hervor. »Der Grundgedanke des Bürger­begehrens findet auch in der BVV viel Sympathie«, bekannten die Bezirksverordneten. Die SPD im Bezirk unterstützt sogar die wesentlichen Forderungen der Gegner von Mediaspree. Und auch die Berliner Zeitung zeigte Verständnis: »Bei so viel geballter Bautätigkeit und internationaler Investoren-Macht ist es nicht verwunderlich, dass im Kiez die Heuschrecken-Ängste umgehen.«