Online-Durchsuchungen in Bayern

Der Bayerntrojaner ist da

Pfiadi, Datenschutz! Während die Bundesregierung über die heimliche Online-Durchsuchung diskutiert, führen die ­Bayern sie ein.

Bayern ist im Wahlkampf. Im Herbst finden die Landtagswahlen statt, und der alleinregierenden CSU droht zum ersten Mal seit Jahrzehnten der Verlust der absoluten Mehrheit. Zeit also, nochmal mit aller Macht den Bedenkenträgern in der Opposition – und auch im Bund – zu zeigen, was eine ordentlich konservative Legislative alles beschließen kann, wenn sie nur wenig rechtsstaatliche Hemmungen hat.
So kam es: Das Land Bayern hat die Einführung der heimlichen Online-Durchsuchung beschlossen. Während in der Regierung noch über die Ein­führung eines »Bundestrojaners« gestritten wird – ein entsprechender Antrag Bayerns zum BKA-Gesetz wurde im Bundesrat abgelehnt –, verabschiedete man im Freistaat Änderungen im Polizeiaufgaben- und im Verfassungsschutzgesetz, die bereits am 1. August in Kraft treten.

Die wichtigste Neuerung ist die Einführung der heimlichen Online-Durchsuchung. Fortan können die staatlichen Ermittler auf Computer, Handys und andere Geräte von Verdächtigen zugreifen, die »für eine Gefahr verantwortlich sind, soweit dies zur Abwehr einer dringenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person erforderlich ist«. Auch Computer und Handys anderer Personen dürfen überwacht werden, wenn die Verdächtigen sie »benut­zen oder benutzt haben«.
Die bayerischen Eingriffe in die Grundrechte gehen noch weiter: Um Zugang zu den Computern, Handys etc. zu erhalten, darf die Wohnung der Verdächtigen betreten und sogar heimlich durchsucht werden. Mit dem Paragraphen zur Online-Durchsuchung wird also die heimliche Wohnungsdurchsuchung eingeführt. Wie Jasper von Schlieffen vom Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen der Jungle World erklärte, ist die »Einführung der heimlichen Wohnungsdurchsuchung ein schwerwiegender Verstoß gegen Artikel 13 des Grundgesetzes«, der die Unverletzlichkeit der Wohnung garantiert.
Die Überwachungsmaßnahme selbst ist zwar grundsätzlich auf drei Monate befristet, kann aber ohne jede Obergrenze monatlich von einem Richter auf den, wie es in Bayern heißt, Sanktnimmerleinstag verlängert werden. Erst nach dem Ende der Abhörmaßnahmen soll der Belauschte »binnen 24 Monaten« darüber unterrichtet werden – und selbst diese extrem lange Frist ist durch eine richterliche Genehmigung noch weiter, nämlich unbefristet, verlängerbar.
Dabei dürfen Daten auf den überwachten Systemen »auch gelöscht oder verändert werden«, »andere als Zugangsdaten jedoch nur, wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person erforderlich ist und eine Erhebung zur Abwehr der Gefahr nicht ausreichend wäre«. Ob mit der Erlaubnis zur Mani­pulation der Daten diese in einem Strafprozess noch als Beweismittel anerkannt werden könnten, ist damit aber äußerst fraglich. Denn, auch das eine Eigentümlichkeit der bayerischen Regelung, die Online-Durchsuchung soll nicht nur der Terrorabwehr dienen, sondern auch bei der Strafverfolgung Anwendung finden.

Für den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU) ist klar: »Damit zeigen wir erneut, wer Marktführer im Bereich innere Sicherheit in Deutschland ist.« Deutlicher kann man nicht sagen, dass man Wahlkampf betreibt, und zwar mit allen Mitteln. Auch die neuen Befugnisse zur präventiven Rasterfahndung und der ­Autokennzeichen-Erkennung begrüßt Herrmann und hat natürlich »nicht den geringsten Zweifel«, dass sie bestens mit der Verfassung vereinbar sind.
Die Opposition im bayerischen Landtag, die SPD und die Grünen, sieht dies erwartungsgemäß anders und kündigte Klagen vor dem Verfassungs­gericht an. Die datenschutzrechtlichen Bestimmungen in den Gesetzesänderungen reichen ihnen nicht. Diese sind ohnehin nur einer Entschei­dung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Februar dieses Jahres geschuldet, als das höchste deutsche Gericht erstmals allen Bürgern ein Grundrecht auf »Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme« zuerkannte. So sollen also Daten, die dem »Kernbereich der privaten Lebensgestaltung« zugerechnet werden können, nicht von den Ermittlern gespeichert werden. Auch sind Berufsgeheimnisträger wie Geistliche, Ärzte oder Anwälte von den Maßnahmen ausgenommen, es sei denn, die Maßnahmen richten sich gegen sie selbst.
Der Datenschutzsprecher der Landtagsfraktion der SPD, Florian Ritter, sieht die neue Qualität: »Wieder einmal wollen CSU und Staatsregierung die Grenzen des verfassungsrechtlich Erlaubten bewusst überschreiten.« Der Slogan der CSU von der charmanten Verbindung, die Laptop und Lederhose in Bayern eingehen würden, erhält mit den neuen Gesetzen jedenfalls eine ganz neue Bedeutung.
Interessant wird es, wenn die bayerische Landtagsfraktion der SPD gegen die von der CSU verabschiedeten Gesetze klagt, aber auf Bundes­ebene gemeinsam mit der CDU/CSU die Novelle des BKA-Gesetzes beschließt, die kaum moderater ausfallen dürfte. Aber das unterschiedliche Rollenspiel politischer Parteien in Regierungsverantwortung und Opposition kennt man ja zur Genüge.

Ob die neuen Befugnisse bei der Terrorabwehr allzu hilfreich sein werden, ist fraglich, denn wer weiß, wie es geht, kann die Installation von Trojanern durchaus wirksam verhindern. So kann man etwa das Computersystem mitsamt der Festplatten komplett verschlüsseln oder eine vom kritischen Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung verteilte Polippix-CD beim Booten des PCs einsetzen. Dann startet eine »saubere« Linux­umge­bung, egal ob der Rechner mit Trojanern verseucht ist, und man kann komfortabel und sicher im Internet surfen, dank Anonymisierungsdiens­ten wie »Tor«.
Dem Einsatz eines so genannten IMSI-Catchers, der die Standortdaten des eigenen Mobiltelefons ausliest und sie den Behörden preisgibt, ist nur mit dem häufigen Wechsel von Sim-Karte und Handy beizukommen. Zu diesem Zweck gibt es bereits Tauschbörsen.
Aber die Frage ist nicht, wie und ob mündige und der Überwachung bewusste Bürger, Mafiosi und Terroristen die staatlichen Maßnahmen austricksen können. Viel schwerwiegender ist, dass die Polizeibehörden extralegale, geheimdienstliche Instrumente an die Hand bekommen, gegen die sich die Verdächtigten und andere Betroffene kaum noch mit rechtsstaatlichen Mitteln zur Wehr setzen können. Etwa weil sie von der heimlichen Durchsuchung erst Jahre später erfahren. Wenn überhaupt. Dergleichen ist in der Vergangenheit auch schon mal vergessen wor­den. Der wegweisenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Frühjahr, welche die Computersysteme der Bürger unter Schutz stellte, sprechen die neuen Gesetze jedenfalls Hohn.