Entlassungen bei Siemens

Feuern für den Standort

Siemens will fast 17 000 Stellen streichen. Die Politiker appellieren an die »soziale Verantwortung« des Konzerns, die Gewerk­schafter rechnen alles genau nach.

Entlassungen bei Siemens, Korruption bei Siemens und wieder Entlassungen bei Siemens – kaum ein anderer Konzern eignet sich besser für die Feststellung, dass irgendetwas nicht stimmen kann mit dem »Standort Deutschland«. Der­zeit stehen wieder Entlassungen an. Auch unter dem neuen Vorstandsvorsitzenden Peter Löscher sollen fast 17 000 Stellen gestrichen werden, davon beinahe ein Drittel in Deutschland.
Immer wenn trotz gut laufender Geschäfte entlassen wird, rufen die Politiker aller Parteien um­gehend nach »sozialer Verantwortung«. Denn das kostet nichts, hat nichts mit den Bedürfnissen der Lohnempfänger zu tun und kann gerade in Wahlkampfzeiten »soziale Wärme« im ach so kalten und harten Kapitalismus vortäuschen.
So überrascht es nicht, dass Bayerns Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU), in dessen Bundesland die meisten »Siemensianer« vor die Tür gesetzt werden sollen, genauso an die »so­ziale Verpflichtung« des Konzerns appelliert wie sein Konkurrent von der SPD, Franz Maget. Blöd nur, dass den selbstverständlich rein moralisch gemeinten Hinweisen der christlichen oder so­zia­len Demokraten niemand glaubt. Zu offensicht­lich ist der Konzern mit der Landespolitik verbandelt, und zu durchschaubar sind die Äußerun­gen der beiden Streithähne vor allem auf die Wahlen ausgerichtet. So hat selbst der Spiegel für diese »Arbeiterführer« nichts als Spott übrig.
Der Linkspartei in Gestalt ihres stellvertretenden Bundestagsfraktionsvorsitzenden Klaus Ernst, selbst ehemaliger hauptamtlicher Funktionär der IG Metall in Bayern, nehmen viele die Empörung eher ab. Ernst kommentierte den Vorgang flugs als »widerlich und skandalös«. »Wer die Profitmaximierung über alle Regeln von Moral und An­stand stellt, gefährdet die Fundamente von Demokratie und sozialer Marktwirtschaft«, sagte er weiter. Die gute Meinung über eben jene »Fundamente« und der Versuch, sich »jetzt über alle Parteigrenzen hinweg eindeutig gegen diesen Konzern (zu) positionieren«, natürlich im Sinne der Forderung nach »angemessener Verantwortungsübernahme«, lässt die Ambitionen erahnen, künftig regieren zu wollen. Aber noch darf ein bisschen gepöbelt werden. Das ist das Privileg der Opposition und dürfte der Linkspartei wohl auch in Bayern bei der anstehenden Landtagswahl mehr als die erforderlichen fünf Prozent der Stimmen einbringen.
Überflüssig zu sagen, dass sich in einem alle einig sind. Streiks dürften nur das »letzte Mittel« (Ernst) bzw. das »allerletzte Mittel« (Beckstein) sein. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, die wirklichen Arbeiterführer der IG Metall sind voll und ganz mit Rechnen beschäftigt. Der bayerische Bezirksleiter, Werner Neugebauer, kündigte an, »jeden einzelnen zur Disposition stehen­den Arbeitsplatz im Detail zu überprüfen«. Sollte sich herausstellen, dass die Konzernführung richtig gerechnet hat, bleibt wohl nur noch die Hoffnung auf nicht allzu grausame »Sozialpläne« des Konzerns.
Zwar sehen sich die Beschäftigten weiterhin in ihrer Existenz bedroht, aber immerhin werden sie gut bespielt. Sollten sie ihre Rollen als Objekte im Wahlkampf der Politiker und im ge­werk­schaft­lichen Co-Management abstreifen wollen, würde sich, wie seinerzeit bei Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH, das Verantwortungsgerede ganz schnell auch gegen sie wenden lassen. Aber das steht nicht zu erwarten.