Neuwahlen in Österreich

Kampf um die Krone

Nicht blumig, aber bunt: Neuwahlen in Österreich lassen neue Listen entstehen, die Parteien nach rechts rutschen und bringen Farbe in das bisher rot-schwarz regierte Land.

»Es reicht.« Mit diesen Worten kündigte Österreichs Vizekanzler Wilhelm Molterer von der Öster­reichischen Volkspartei (ÖVP) am Montag voriger Woche die Koalition. Wirklich überraschend kam das nicht. Nach 18 Monaten turbulenter Innenpolitik war die Koalition zwischen Sozialdemokraten und konservativer Volkspartei am Ende.
Seit ihrem Antritt im Januar 2007 wollte die Regierung nicht richtig in Schwung kommen. Auch parteiintern hatten SPÖ und ÖVP Schwierigkeiten: Vizekanzler und Parteivorsitzender Wilhelm Molterer musste sich mit dem ehemaligen Kanzler Wolfgang Schüssel um die Führung in der ÖVP streiten. Die SPÖ befand sich bereits seit 2001 auf der Suche nach sich selbst – und war mit dem Wechsel von der Opposition in die Regierung vollauf beschäftigt. Die Umfragewerte von Molterer und Alfred Gusenbauer (SPÖ) sanken, letztgenannter galt bald als der unbeliebteste Kanzler der österreichischen Geschichte. Bei den Landtagswahlen in Tirol im Juni zeigten sich auch die Probleme innerhalb der ÖVP. Tirols ehemaliger Vorsitzender der Arbeiterkammer, das ÖVP-Mitglied Fritz Dinkhauser, gründete eine eigene Liste, gewann mit Stammtischparolen 18 Prozent der Stim­men und sorgte für politischen Wirbel nicht nur im tief schwarzen Tirol.
Auf Bundesebene lief in der Regierung gar nichts mehr. Die Parteien waren mit sich selbst und Streiten beschäftigt. Beide Parteien wussten: So kann es nicht weitergehen. In der ÖVP wartete man also auf einen günstigen Zeitpunkt, aus der Regierung auszusteigen. In der SPÖ begann man bereits im Mai mit dem Wahlkampf und versuchte, die Euphorie der Fußballeuropameisterschaft für sich zu nutzen.
Und da wurde der Liebling des einflussreichen Boulevardblatts Kronen-Zeitung, kurz Krone, der SPÖ-Infrastrukturminister Werner Faymann, wich­tig. Er setzte immer wieder populistische Forderungen von Hans Dichand, dem Herausgeber der Krone, in die Tat um und zierte dafür fast täglich die Titelseiten des Boulevardblatts. Seine Umfrage­werte stiegen, er wurde am 16. Juni statt Gusenbauer zum Parteivorsitzenden der SPÖ gewählt. Nun gab es eine Doppelspitze in der SPÖ, Gusenbauers Macht war dahin – und das Image der SPÖ litt. Man bat wieder die Krone um Hilfe. Faymann und Gusenbauer schrieben einen »offenen Brief an den Herausgeber«, kündigten darin die Änderung ihrer EU-Politik an, und damit unabgesprochen auch die der Regierungspolitik: Bei einer erneuten Änderung des Vertrags von Lissabon werde die SPÖ für eine Volksabstimmung eintreten. Dieser populistische Kniff brachte Faymann und Gusenbauer auf die Titelseiten des Boulevardblatts – und entfernte sie aus der Regierung.
Denn dass sich auf den Leserbriefseiten der Krone zumindest nicht die gesamte Innenpolitik Österreichs machen lassen sollte, war mittlerweile nicht nur der ÖVP klar. Molterer rief Neuwahlen aus, diese wurden einstimmig vom Parlament angenommen und sind nun für den 28. September angesetzt.

Wenn zwei sich streiten, freut sich die rechte FPÖ, aber nicht nur sie. Noch etwa zehn andere Listen sind derzeit im Gespräch für die Kandidatur. Unter ihnen ist auch die Liste Fritz des Tirolers Dinkhauser, der den Schwung aus den Landtagswahlen auf der Bundesebene nutzen will. Anfragen zum Mitmachen kamen bereits von der FPÖ und von ÖVP-Rebellen sowie von dem EU-Parlamentsabgeordneten Hans Peter Martin, der früher der SPÖ angehörte. Meinungsumfragen zufolge könnte Fritz sechs Prozent der Stimmen erreichen. Dieses Bündnis kann auch mit der Unterstützung der Krone rechnen.
Das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ), das in Jörg Haiders Hochburg Kärnten gut 40 Prozent der Bevölkerung hinter sich weiß, schafft derzeitigen Umfragen zufolge ebenfalls die Vier-Prozent-Hürde für den Einzug in das Parlament. Als kuriosester Neuling wird der Schauspieler Karlheinz Hackl mit der Liste »Soziale Kultur Österreichs« antreten. Inhaltlich ist nicht besonders klar, was er möchte, sein ambitioniertes Wahlziel lautet aber: »Heinz-Christian Strache überholen« – also stärker zu werden als die FPÖ. Glaubt man Umfragen, wird dies schwer, da die FPÖ als große Gewinnerin der derzeitigen Situation gilt. Auf ihren Spezialgebieten EU- und Ausländerfeindlichkeit könnte sie jedoch Konkurrenz bekommen: Die Bür­gerinitiative »Rettet Österreich«, die in den vergangenen Monaten – mit Unterstützung der Krone – gegen den EU-Reformvertrag Stimmung machte, kündigte ebenfalls ihre Kandidatur an.

Links der Mitte ist es ruhig. Seitdem die SPÖ mit ihrem neuen Europa-Kurs stark nach rechts gerutscht ist, sind die Grünen auf diesem Feld ziem­lich alleine. Zwar kündigte sich Mitte Juni eine »lin­ke Plattform« an, ähnlich wie »Die Linke« in Deutschland, ihr werden aber nur geringe Chancen vorausgesagt, da die SPÖ viel stärker mit den Gewerkschaften verbunden ist als die SPD. Die KPÖ wird voraussichtlich wie immer bei ihren zwei Prozent liegen, ebenso wie das Liberale Forum.
Koalitionsspekulationen und Befragungen haben derzeit Hochkonjunktur. Glaubt man einer Meinungsumfrage des Gallup-Instituts, sind in Zukunft nur noch Koalitionen aus drei Parteien regierungsfähig. Spekulationen über unkonventionelle Koalitionen werden gegenwärtig gern angestellt. Die Tatsache, dass Dichand vermutlich für alle Parteien außer für die ÖVP und die Grünen werben wird, drängt diese beiden Parteien immer näher zueinander. Für eine Koalition müssten allerdings die Linksliberalen innerhalb der Grünen stärker werden. Seit ihrer Gründung schwanken die Grünen zwischen der christlich-konservativen Bauernfraktion und dem marxistischen Flügel hin und her. Zumindest mit konservativen Öko-Liberalen würden ÖVP-Politiker wie der Wissenschaftsminister Johannes Hahn gut auskommen. Allerdings haben die eher linken Wiener Grünen derzeit mehr zu sagen als die konservativen Ökos. Trotzdem: In Graz funktioniert eine Koalition aus erzkonservativer ÖVP und den feministischen, ökobewussten und bürgerlich angehauchten Grünen.
Ebenfalls nicht unwahrscheinlich scheint eine rot-blaue Koalition – auch wenn die SPÖ derzeit noch eine Zusammenarbeit mit der rechten FPÖ ausschließt. Gusenbauer hätte dann aber nichts mehr zu melden. Er werde nicht mehr kandidieren, sagte er am Donnerstag. Der Ausgang der Wahlen ist noch mehr als sonst ungewiss. Ein Klassiker wäre aber trotzdem eine Neuauflage der großen Koalition. Ganz nach dem Motto: »Lass ma’s einfach so, wie’s is.«