Der Austausch zwischen Hizbollah und Israel

Die Show der Gotteskrieger

Der Austausch zwischen der Hizbollah und Israel war kein Schritt im Friedensprozess. Wie im Gaza-Streifen müssen auch im Libanon zunächst die Machtverhältnisse geklärt werden.

Es war empörend. Nicht nur den Israelis und insbesondere den Familien Goldwasser und Regen stockte der Atem, als plötzlich libanesische Männer in grauen Anzügen und mit modischen Sonnenbrillen im Gesicht zwei schwarz lackierte Särge auf den Teer der Straße zum Grenzübergang Nakura stellten. Noch wenige Minuten zuvor hatte die libanesische Miliz Hizbollah die Israelis glauben lassen, dass die am 12. Juli 2006 in den Libanon verschleppten Soldaten vielleicht doch noch am Leben seien.
Die israelische Regierung ließ am Mittwoch voriger Woche fünf libanesische Gefangene frei, unter ihnen den wegen zweier Morde verurteilten Samir Kuntar, und überstellte die Leichen von 200 libanesischen und palästinensischen Guerilleros. Es war nicht der erste ungleiche Tausch die­ser Art, doch hat die schiitisch-islamistische »Par­tei Gottes« diesmal in besonders perfider Wei­se eine Propagandashow inszeniert. Dies mag Teil einer psychologischen Kriegsführung gegen den »zionistischen Feind« sein. Doch selbst im Krieg gibt es Regeln. Die Genfer Konvention gilt nur für Staaten. Dennoch ist es auch bei Guerilla­gruppen üblich, dem Roten Kreuz den Zugang zu Gefangenen zu gewähren und die Angehö­rigen wissen zu lassen, ob jene überhaupt noch leben.
Man könnte die libanesische Hizbollah oder die palästinensische Hamas als Terrorbanden einstufen. Doch so einfach ist das nicht, da die Hizbollah im Libanon schon ein »Staat im Staate« ist und vor zwei Jahren eigenmächtig einen Krieg auslöste. Sie hat sich nun mit dem Austausch erneut als »nationaler Widerstand« profiliert und die Autorität der libanesischen Regierung ignoriert, der schließlich keine Wahl blieb. Sie musste sich an den Siegesfeiern der Hizbollah beteiligen. Ähnlich verhält es sich mit der Hamas. Vor einem Jahr putschte sie gegen die Regierung im Gaza-Streifen. Die Hamas hält den israelischen Sol­daten Gilad Shalit gefangen, ebenfalls ohne dem Roten Kreuz einen Kontakt zu ermöglichen. Doch die moralischen Vorwürfe treffen Israel, wenn die Warenterminals, die Grenzübergänge und Stromleitungen gesperrt werden, nachdem die Hamas oder andere palästinensische Organisationen mit Mörsern oder Raketen geschossen haben.

Mit Erfolg wird die Moral für die psychologische Kriegsführung instrumentalisiert. Es gelingt der Hamas, immer mehr internationale Anerken­nung zu erhalten. Europäische Politiker und allen voran Menschenrechtsorganisationen fordern die Aufhebung der israelisch-ägyptischen Blocka­de des Gaza-Streifens. Dass die Hamas die Wahlen im Januar 2006 gewann, gilt als zusätzliches Argument, von Israel eine Anerkennung dieser Organisation zu fordern, obwohl die Hamas Is­rael nicht anerkennen, auf Terror nicht verzichten und nicht einmal bestehende Verträge akzeptieren will. Dazu gehören auch die Osloer Verträge, die rechtliche Grundlage der palästinen­sischen Selbstverwaltung.
Im Libanon wie im Gaza-Streifen besteht ein absurder Zustand, der im internationalen Recht nicht erfasst ist. Der Austausch zwischen Israel und der Hizbollah kann deshalb nicht als Element nahöstlicher Friedensbemühungen verstanden werden. Zunächst müssten die Machtverhältnisse im Libanon geklärt werden; derzeit handelt die Hizbollah immer wieder anstelle der Regierung, ohne jedoch staatliche Verantwortung zu tragen.
Im Fall der Hamas sind die Dinge noch komplizierter. Denn solange sie die Regierung in Ramallah und Mahmoud Abbas als Präsidenten nicht anerkennt, ist an ihre Beteiligung am laufenden Friedensprozess nicht zu denken. Das käme einem Ende der palästinensischen Autonomiebe­hörde oder dem Versuch gleich, zwei palästinen­sische Staaten zu schaffen. Alle Welt ist bemüht, die Autonomiebehörde in Ramallah vor einem Zugriff der Hamas zu schützen. Solange aber die Fatah-Partei von Abbas und die Hamas sich nicht einigen können, sind die wöchentlichen Treffen des israelischen Premierministers Ehud Olmert mit Abbas zum Scheitern verurteilt. Denn selbst wenn die beiden Politiker bis Jahresende einen Friedensvertrag formulieren, könnte die Hamas ihn jederzeit boykottieren und sabotieren.
Viele Beobachter der israelischen Innenpolitik halten Olmerts Regierung für handlungsunfähig und prophezeien ein baldiges Ende der Koali­tion. Gegen den Premierminister wird wegen Kor­ruption ermittelt. In der vergangenen Woche wäre Olmert tatsächlich fast gestürzt worden, aber nicht wegen der Korruptionsvorwürfe, sondern weil sich die Arbeitspartei der Vergabe von Posten an Abgeordnete der Kadima-Partei Olmerts widersetzte. Da die Arbeitspartei, Olmerts wichtigster Koalitionspartner, einem Miss­trauensvotum gegen die Regierung zustimmte, hätte Olmert ihre Minister eigentlich entlassen müssen. Doch der Premierminister überstand diese Krise, indem er die Vorschrift, seine Minister zu entlassen, einfach ignorierte.

Olmert kann jederzeit sein Amt verlieren, aber nicht unbedingt wegen der Korruptionsaffären. Er wurde bereits abgeschrieben, als die Kritik an seinem Vorgehen im Libanon-Krieg immer hef­tiger wurde. Doch niemand sollte behaupten, die israelische Innenpolitik so gut zu verstehen, dass er die Zukunft der Regierung oder den Zeitpunkt von Neuwahlen vorhersehen könnte.
Auch die Behauptung, Olmert sei handlungsunfähig, wird der Realität nicht gerecht. Der Premierminister führt regelmäßig Gespräche mit Präsident Abbas und macht dabei wohl auch Fort­schritte. Die Verhandlungen mit Ägypten laufen besser als erwartet, zumal auch die Regierung in Kairo verstanden hat, dass der Waffenschmuggel in Richtung Gaza-Streifen unterbunden werden muss. Dann begann Olmert, gegen den Willen der Amerikaner mit türkischer Vermittlung indirekte Gespräche mit Syrien zu führen, und bot dem Libanon Friedensverhandlungen an.
Das isolierte Syrien scheint allerdings weniger am Frieden interessiert zu sein, sondern vielmehr an Verhandlungen, die den Europäern und vor allem den Amerikanern eine zu honorierende Kom­promissbereitschaft demonstrieren, aber aus syrischer Sicht nicht unbedingt zu einem Ergebnis führen sollen. Der französische Prä­sident Nicolas Sarkozy dankte es seinem syrischen Kollegen Bashar al-Assad bereits mit einer Einladung zur Militärparade in Paris am 14. Juli. Als dort Olmert sich ihm näherte und Assad offenbar befürchtete, zu einem Handschlag gedrängt zu werden, wich er aus.
Auch die Verbindungen zu Organisationen wie der Hizbollah will Assad derzeit offenbar nicht lösen. Deren Generalsekretär Hassan Nasrallah sagte bei der Siegesfeier, der Austausch beweise, dass die libanesische Nation »nicht besiegt werden kann«, während Kuntar alles andere als Reue bekundete: »Ich werde mit den anderen Widerstandskämpfern nach Palästina zurückkehren.«