Serie über Serien: »Der Bulle von Tölz«

Radi in der Spezlwirtschaft

Serie über Serien. Georg Seeßlen schaut sich »Der Bulle von Tölz« in der bayrischen Provinz an

Nirgendwo kann man so genau stu­dieren, wie Macht funktioniert – Demokratie hin oder her –, wie in einer bayrischen Kleinstadt. Das hängt einerseits mit dem Kleinstädtischen zusammen und ist in Iowa nicht anders als in Thüringen: Macht, Geld, Kontrolle und Gewalt sind bis zu einem gewissen Grad eine Face-to-face-Angelegenheit, und die Knotenpunkte der Macht sind sichtbar und personalisiert. Es hängt allerdings – zu­mindest in Bayern – auch mit der Bayrischkeit zusammen, und da gibt es etwas, was uns so schnell keiner nachmacht, nicht einmal die Berlusconi-Italiener, und das ist die vergnügte Offensichtlichkeit von Korruption und Betrug, Gier und Bigotterie. Und weil das Land besonders schön ist, sieht man auch besonders genau, wie man es ruiniert.
Natürlich versendet sich so etwas über die Bayrischkeit auch im deutschen Fernsehen. Es kommt als Maibaum-Seifenoper à la »Dahoam is Dahoam«, aber es macht gelegentlich auch so viel Spaß wie beim »Kaiser von Schenxing«, es kommt vor allem aber als endloser Fluss aus der Mischung von Volkstümlichkeit und Geld daher, was sich immer neue Ausdrucksformen sucht, von der Landhausmode bis zum Bayern-Pop, von Sekt aus Weißbiergläsern bis zum Schlips­träger-Biergarten. Dieses Land bringt, von Österreich vielleicht einmal abgesehen, die weltweit schmierigsten Verkäufer von Volkstümlichkeit hervor, und zugleich die besten Sati­riker und Realisten.
Und jede Menge dazwischen. Bei vielen Pro­duk­ten der Pop-Kultur in Bayern weiß man gar nicht so genau, ob sie kritischen Abstand oder lustvolle Affirmation betreiben. »Der Bulle von Tölz« zum Beispiel, eine Heimat-Krimiserie mit einer ziemlich genialen Mischung aus Gemeinheit und Heimeligkeit. Und einem passenden Personal: Der örtliche Brutalkapitalist mit dem schönen Namen Rambold, der Kleriker mit dem heiligen Augenaufschlag und den Macht­interessen mit dem beinahe noch schöneren Na­men Prälat Hinter, der Staatssekretär von Gluck und der Landrat Wallner, die sich ger­ne auch einmal ins Bordell einladen lassen und keinem noch so dubiosen Geschäft aus dem Weg gehen. Wir haben hier Lokalpolitiker, die ihre Stadt fachgerecht kaputt sanieren, SPD-Politiker, die jeder Fernsehkamera nachlaufen und nichts anderes zu sagen haben als die christ­sozialen Hallodris, nur dass an die Stelle der strahlenden Selbstgefälligkeit eine Leichenbittermiene tritt. Sport ist hier ganz wortwörtlich Mord, und so genannte Volksmusik ein schmut­ziges Geschäft.
Und dazwischen agiert der Held, der sehr um­fängliche Benno Berghammer, dargestellt von Ottfried Fischer, mit einer Kollegin aus Berlin, die ihn gern »mein Hase« nennt. Und da ist seine Mutter, die eine kleine Pension führt und regelmäßig von schlechten Eingebungen zu neuen Versuchen geführt wird, an ein Stück vom Fortschrittskuchen zu kommen (»Ich red’ doch nix vom Kapitalismus, ich will bloß ein Geld«), verkörpert von der großen Ruth Drexl. Außerdem ein Polizist namens Pfeiffer, der zwischen Übereifer und Gemütlichkeit immer wieder Zielscheibe von Bennos Gemeinheiten ist. Dann noch ein karrieristischer Staatsanwalt usw.
Berghammer ist eine traditionelle Figur in der bajuwarischen Pop-Kultur, der Mensch dazwischen, der von unten kommt und sich daher eine Portion Skepsis und Sarkasmus bewahrt hat, der aber doch teils klammheimlich dazugehören und wenigstens ein wenig mitmachen möchte. In der Welt der Mächtigen, der Reichen, der Berühmten und der, naja, Schönen, treiben sich immer ein paar Leute aus dem Volk herum, die genau beobachten, welchen Unfug die Großkopferten wieder treiben. Und zugleich gehört es sich, dass die Mächtigen sich auch gern von ihnen »derblecken« lassen, solange man ihre Geschäfte nicht wirklich stört. Das sind dann die Kasperle, die Baby Schimmerlose, die Kabarettisten im Bierzelt. Einerseits also ist auch ein Benno Berghammer nie um einen Spruch verlegen, das bayrische klerikalpartei­liche Spezl-System zu kritisieren, andererseits lässt er dann doch immer auf seinen Schulfreund Rambold nichts kommen, verteidigt das bayrische System gegen allzu preußische oder moralische Anwürfe, verzeiht seinen Mitmenschen, was anderswo unverzeihlich wäre. Er ist, um es klar zu sagen, am Ende doch immer der Garant dieses Systems. Es erleichtert uns, das System Bayern durch einen wie Benno Berghammer zu sehen, und mit ihm eigentlich weder Mittel noch Anlass, es zu ändern.
Die erste Folge vom »Bullen von Tölz«, die am 14. Januar 1996 ausgestrahlt wurde, trägt denn auch den Titel »Das Amigo-Komplott«, andere Folgen heißen etwa »Eine Hand wäscht die andere« (1997), »Wenn die Masken fallen« (2004) oder »Das Ende aller Sitten« (2008). Der Trick der Serie ist es, dass die wah­ren Schuldigen an der Misere dieses Machtraumes, der Bauunternehmer Rambold, der Prälat Hinter, der Staatssekretär und der Landrat, zwar immer und überall ihre Finger im Spiel haben, aber nie als wirkliche Täter oder Mittäter überführt werden. Und der zweite Trick ist es, dass dieses System offenbar nur wenig wirkliche Opfer produziert. Hier geht zwar man­ches kaputt und verloren, aber so richtig arm und elend scheint niemand zu sein. Der politische Wahnsinn löst sich noch allemal im Familiären auf. Die Mächtigen und Korrupten wer­den allenfalls ein paar mal durch einen Anflug öffentlicher Peinlichkeit bestraft, poetische Gerechtigkeit auf Bayrisch. Besser wie nix.
Ottfried Fischer bereitet ein bewohnbares Bayern um sich herum. Für Eingeweihte gibt es eine Reihe Querverweise im Ottfried-Fischer-Universum. In »Der Bulle von Tölz« gibt es Anspielungen auf die frühere, kultigere Serie »Irgendwie und Sowieso« mit ihm als »Sir Quickly«, und umgekehrt gibt es in »Pfarrer Braun« wieder Anspielungen auf den »Bullen« (etwa wenn der Darsteller des Prälaten Hinter, Michael Lerchenberg, als Staatsanwalt auftaucht, der einen sehr ähnlichen Umgang mit der Macht pflegt). Selbst in einem Kinofilm, »Tödliche Verbindungen« (2007), taucht in Bad Tölz der junge Benno Berghammer auf (dargestellt von Florian Gmeiner, aber gesprochen von Fischer), so als hätten sich Figur und Erzählstrategie schon selbständig gemacht in der bayrischen Pop-Kul­tur.
Beim »Bullen von Tölz« konnte man freilich auch einer Serie im Niedergang zusehen. Von Staffel zu Staffel wurden die satirischen Schläge zahmer, das Verschwinden einiger Schlüssel­figuren gab ihr fast den Rest: 2006 verabschiedete sich Katerina Jacob als Berliner Kollegin Sabrina Lorenz, der Pfeiffer-Darsteller Udo Tho­mer verstarb, der gesundheitliche Zustand von Ruth Drexl zwang sie zum Pausieren, und so kann Benno in den neuen Folgen seinen Mutter­komplex nicht pflegen. Die Detailliebe verschwand, und statt das Land zu sehen, schön und korrupt, wie es halt ist, begnügt sich die Kamera mehr und mehr mit Postkartenbildern. Und jetzt hat es halt auch noch den Benno selber erwischt:
Aus is und gar is und schad is, dass wahr is!