Edie Sedgwick und der Film »Factory Girl«

The Girl With the Problems

Sie war die Muse und der Mode-Zwilling Andy Warhols, der in dieser Woche 80 Jahre alt geworden wäre: Edie Sedgwick. Als erstes It-Girl stakste sie durch die Partyszene der sechziger Jahre. Der Film »Factory Girl« zeichnet ihr kurzes rauschhaftes Leben an der Seite des Starkünstlers nach.

Edie Sedgwick ist die strahlendste Erscheinung im Umfeld der »Factory«, Andy Warhols legendärem Künst­­­ler­treff. Aber Sedgwick gehört auch zu den tragischen und dunklen Figuren. Der von Lou Reed geschriebene Velvet-Underground-Song »Femme Fatale« bezieht sich angeblich auf sie, und auch Bob Dylans »Just like a Woman« soll von Edie handeln, was glaubhaft ist, singt er doch von einer Frau mit Pelz, Amphetaminen und Perlen. Mit der Zeile »she breaks just a little girl« hätte Dylan zumindest eine treffende Beschreibung für Sedgwicks Leben gefunden, in dem Glamour und Abgrund so nah beieinander lagen, wie es nur geht. Ihre Familiengeschichte liest sich wie der Plot einer Gothic Novel.
Als siebtes von acht Kindern eines reichen und patriarchalen Ranchbesitzers wurde Edie schon früh wegen ihrer Anorexie (eine Reaktion auf den sexuellen Missbrauch in ihrer Familie) in eine psychiatrische Klinik zwangseingewiesen, zwei ihrer Brüder begingen Selbstmord. Neben ihrer androgynen, fragilen Schönheit und elfen­haften Ausstrahlung muss dieser dunkle Schatten mit ein Grund für ihre magnetische Aura ge­wesen sein – zumindest Andy Warhol bemerkte bei ihrer ersten Begegnung fasziniert: »I’ve never seen a girl with so many problems.«
Sedgwick, die in New York als Model und It-Girl bekannt war, bevor es diesen Begriff überhaupt gab, avancierte bald zu Warhols »Superstar«, sie trat mit ihm gemeinsam bei öffent­lichen Anlässen auf, spielte in zahlreichen seiner Filme mit, u.a. in »Poor Little Rich Girl«, der schon im Titel so etwas wie eine Vorahnung in sich trägt. Nach knapp einem Jahr kam es durch die Bekanntschaft mit Bob Dylan und einem geplanten Filmprojekt zum Bruch mit Warhol – dieses Zerwürfnis, das einem Ausschluss aus der Factory gleichkam, verstärkte ihre Drogensucht. Sedgwick starb schließlich an einer Überdosis Barbiturate. Sie war da ge­rade mal 28 Jahre alt.
Zwar sind auch andere Leute im Getriebe der Factory untergegangen – der Filmemacher Danny Williams etwa –, doch Sedgwick ist mit Sicherheit die beispielhafteste Figur, wenn es da­rum geht, Warhols ausbeuterische Qualitäten zu beschreiben, die in dem Spitznamen »Drella« – eine Mischung aus Dracula und Cinderella – eine treffende Bezeichnung fanden.
Das ist viel Stoff für einen Film, zu viel jedenfalls für ein klassisches Biopic. »Factory Girl« hat somit alle Mühe, die Überfülle an Material zu bewältigen: Da ist die Familiengeschichte, die Pop Art, die überaus komplexe Figur Warhols, die Mode, die Drogen etc. George Hickenloopers Film hetzt uninspiriert von einer Station zur nächsten, erklärt hier mal in zwei Sätzen die Pop Art und führt an anderer Stelle den Katholizismus Warhols oder seine Schwäche für Süßigkeiten vor – wir sehen ihn während der Beichte Pralinen essen. Und die Brillo-Boxes stehen gleich am Eingang des Studios, damit sie auch ja nicht übersehen werden. Wer die Fotos von Edie Sedgwick schon einmal gesehen hat, wird sie alle, wirklich alle, im Film wieder finden, bei so viel angestrengter Bemühung um Authentizität – zahlreiche Szenen im Super-8-Look simulieren den Look von Archivmaterial – gibt es schlichtweg keinen Raum, in dem sich die von Sienna Miller eigentlich ganz ordentlich gespielte Figur entfalten kann.
Mittels Fakten lässt sich Edie aber wohl kaum erklären, immerhin ist sie die erste Person, die dafür berühmt wurde, einfach sie selbst zu sein – was Paris Hilton mit ungleichem Medien­aufwand auf recht banale Weise gelungen ist. Edie war zwar keine Schauspielerin im eigentlichen Sinn – überhaupt verweigerte sie jede Form der professionellen Arbeit –, doch kreatives Potenzial hatte sie ganz offensichtlich schon. Ihre Plaudereien sind einzigartig, und angeblich soll sie Warhol erst beigebracht haben, was Stil ist. Ihr individueller Look, der im Wesent­lichen aus einer schwarzen Ballettstrumpfhose, einem kurzen Pelzmantel und übergroßen Ohrringen bestand, machte Schule, die Vogue engagierte sie sogar als Titelmodell.
In »Factory Girl« wird das Verhältnis zwischen Warhol und Edie vor allem als Liebesgeschichte behauptet, eigentlich kein so uninteressanter Ansatz, bezeichnet Warhol doch diese Verbindung in »The Philosophy of Andy Warhol« als »very close to a certain kind of love«. Plausibel dargestellt wird das jedoch nicht, sieht man ein­mal von Warhols stereotyp glotzendem Blick auf seine Muse ab. Mit der Warhol-Figur stimmt ohnehin so einiges nicht. Die oft beschriebene Teilnahmslosigkeit und Leere sieht bei Guy Pearce immer ein bisschen zu angestrengt aus – bloß nicht das Gesicht bewegen –, und allzu ­penetrant kommt hinter der Maskerade der Indifferenz eine wahrhaft verletzte Seele zum Vorschein.
Truman Capote hat einmal gesagt, Edie sei für Warhol die Person gewesen, die er selber ger­ne gewesen sei, und auf den Fotos wirken beide tatsächlich wie ein bizarres Zwillingspaar, mit ihren gestreiften Shirts und den silbern gefärbten Haaren. Von dieser Symbiose spürt man in der Filmerzählung allerdings wenig. Stattdessen wird ein Rivale eingeführt und die klassische Eifersuchtsgeschichte erzählt. Warhols Gegenspieler ist Folk-Sänger und erinnert an Bob Dy­lan, heißt aber nicht so. Dylan hatte gerichtlich durchgesetzt, dass die Filmfigur nicht seinen Namen trägt.
Wahrscheinlich hat es auch nie eine Romanze zwischen Sedgwick und Dylan gegeben, tatsächlich aber war sie mit seinem engen Freund Bobby Neuwirth liiert. Im Film steht der Sänger für das Echte und Ehrliche, Warhol für den schö­nen Schein, hinter dem sich nur Leere verbirgt – klar, dass der Authentizitätsgott gegen den Fake-Teufel den moralischen Sieg davonträgt. Die Verkürzung auf eine Dreiecksbeziehung macht aus der Factory vor allem einen Ort für private Gefühle, für Liebe und Eifersucht. Dabei war die Factory nicht zuletzt ein Raum für Kollektivität, eine Alternative zu dem traditionellen Le­bens­entwurf, wie er beispielsweise für Söhne und Töchter aus der Upper-Class vorgezeichnet war – ein Ort auch, in dem jeder ein Star war, wobei dieser Status auch schnell wieder zu verlieren war und Sexualität jenseits heterosexuel­ler Normen gelebt werden konnte. Um eine Ahnung von diesem utopisch aufgeladenen Zusammenhang zu vermitteln, reicht es nicht aus, eine coole Magazin-Oberfläche auszubreiten und im Hintergrund ein paar schräge Statisten agieren zu lassen. So kommt »Factory Girl« nie über das Niveau eines Coffee-Table-Books hinaus und bleibt bis zuletzt eine recht gewöhnliche Geschichte über den traurigen Absturz eines schönen Mädchens.
Will man etwas über Edie erfahren, sollte man sich also eher das semi-dokumentarische Exploitation-Biopic »Ciao! Manhattan« (1972) von David Weisman und John Palmer ansehen. Der Film verbindet Schwarz-Weiß-Footage-Material und Original-Tonaufnahmen, in denen Sedgwick ihre Zeit in der Factory rekapituliert, mit inszenierten Szenen, alle sind stoned, und die Stimmung ist manchmal ein bisschen quälend. Sedgwick, die zu diesem Zeitpunkt von Drogen stark gezeichnet war, spielt hier mit nur wenigen Millimetern Abstand zur eigenen Lebensgeschichte eine Frau namens »Susan Superstar«, die in Kalifornien in einem leeren Swimming-Pool haust. Das Becken ist mit einem Zelt überdacht, riesige Star-Porträts künden von einer vergangenen Ära. In diesem hippiesken Ambiente deliriert der gefallene Star über die Zeit in New York, ähnlich wie Gloria Swanson in »Sunset Boulevard«. Doch am Schluss hatte die Realität die Fiktion überholt: »Ciao! Manhattan« endet mit einer Zeitungsmeldung von Edies Tod. Wenig später schrieb Patti Smith ein sehr schönes und trauriges Gedicht über sie: »It took her hours to put her make-up on. But she did it. Even the false eyelashes. She ordered gin with triple limes. Then a limousine. Every­one knew she was the real heroine of Blonde on Blonde.«

»Factory Girl« (USA 2007) Regie: George Hickenlooper. Darsteller: Sienna Miller, Guy Pearce, Hayden Christensen. Kinostart: 6. August