Eine Ausstellung in der Berliner NGBK über das Altern

Welken wie die Blumen

Will man da hinsehen? Will man das so genau zeigen? Die Berliner Ausstellung »Ein Leben lang« beschäftigt sich mit Klischees und Bildern vom Älterwerden.

Wer einen Arbeitsplatz sucht in diesem Land, sieht sich schnell mit dem Vorwurf kon­­frontiert, zu alt zu sein. Man nimmt es dem Menschen übel, dass er den Gesetzen der Biologie unterworfen ist. Insbeson­dere Frauen tragen schwer an dieser Schuld, was auch Dörte, eine Teilnehmerin eines Diskus­sionsforums im Internet, am 12. Juli dazu brachte, sich entnervt darüber zu beklagen, »dass ich inzwischen zu allem Elend hin auch noch über 50 bin, was zur Folge hat, dass meine Bewerbungen überwiegend sofort in der Ablage P verschwinden.«
Mit dieser gesellschaftlichen und biologischen Realität setzt sich eine Ausstellung in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) in Berlin-Kreuzberg auseinander. Unter dem Titel »Ein Leben lang« werden Arbeiten von Künstlern und Künstlerinnen aus acht Ländern präsentiert, die der Tatsache, dass Alter zumeist nur als de­mo­grafisches Problem wahrgenommen wird, eigene Sichtweisen entgegensetzen wollen.
Mit einer Videoinstallation möchten die bri­­ti­schen Künstler Lenka Clayton und James ­Price nicht nur daran erinnern, dass so alltägliche Din­ge wie das lebenslange Bezahlen bzw. Abzah­len von Wohnungen Lebenszeit verschlingen, sondern auch daran, dass der Alterungsprozess des Menschen mit seiner Geburt beginnt. Die Darmstädter Künstlerin Annegret Soltau »vernäht« Fotos von alten und jungen weiblichen Körperteilen zu einem Ganzen, so dass wir den alten Körper im jungen sehen und den jungen, aus dem der alte hervorgeht. Und das Werk des 2003 verstorbenen Fotografen John Coplans, der in den achtziger Jahren damit begonnen hatte, sich selbst zu fotografieren, zeigt den gesichtslosen Körper eines Mannes jenseits der sechzig oder siebzig, und das bedeutet dann eben schlaffe Hinterbacken, Bauchfalten und Pigmentflecken.
Jede und jeder tut es auf ihre bzw. seine Art, aber wir vertrocknen oder verhutzeln alle, wenn wir sehr alt werden, erinnern an welke Blumen und entsprechen dem medial vorgegebenen Jugend- und Schönheitsideal schon lange nicht mehr. Was tun, wenn wir doch noch den Spaß am Leben haben wollen, der uns ja auch zusteht? Ist eine so genannte gated community, in der allein Senioren leben, wie es sie in den USA bereits öfter gibt, die Lösung? Eine davon, die Sun City in Arizona, besuchte der Fotograf Peter Granser. In Sun City, mittlerweile zu einer Klein­stadt herangewachsen, haben ausschließlich alte Menschen ein Zugangsrecht, jüngere brauchen eine Genehmigung, wenn sie das Gelände betreten wollen. Aber die Alten, die Granser foto­grafiert hat, wirken doch etwas verloren, wie sie dort in der gleißenden Wüstensonne herum­stehen, -sitzen oder im Swimmingpool liegen und eine Spur allzu bemüht glücklich sind. Man wird nun einmal nicht automatisch glücklich, wenn man sich eine lustige Maske aufsetzt.
»Welches Verhältnis haben alternde Menschen zu Zeit, zum eigenen Körper, zur Gesellschaft und zum Tod?« fragt der Begleittext zur Ausstel­lung und hat doch unmittelbar zuvor festgestellt, dass »alternde Menschen« eigentlich wir alle sind. Wer auf dem Land aufgewachsen ist, weiß, dass auch junge Menschen ein Verhältnis zum eigenen Körper und zur eigenen Sterblichkeit haben sollten, denn sonst rasen sie sich nach der Disco zu Tode. Auch junge Menschen sterben, haben aber diejenigen Probleme nicht, die mit dem Alter tatsächlich einhergehen können: So schätzt man die Zahl der Menschen, die weltweit an Alzheimer erkrankt sind, auf rund 24 Millionen. Jeder dritte über 90 ist betroffen. Und zwischen acht und 13 Prozent aller Leute über 65 leiden an einer Demenzerkrankung, was große Anforderungen an ihre Angehörigen oder die Pflegekräfte darstellt. Für die Patienten selbst bedeutet die Krankheit keineswegs sanftes Hinüberdämmern in ein gnädiges Vergessen, sondern oftmals Aggression, Depres­sion und vor allem eine zunehmende Verun­sicherung. Erfahrungen, die die Schweizer Künst­lerin Regine von Felten gemeinsam mit ihrer betroffenen Großmutter für die Serie »Pilze haben keine Blätter« verarbeitet hat.
Das Publikum, das zur Eröffnung der Ausstellung gekommen war, gehörte vorwiegend zu der Altersgruppe, die erst so langsam beginnt, sich um ihre alten Eltern zu sorgen. Eher an diese Jüngeren als an die wirklich Betroffenen richtet sich auch das begleitende Veranstal­tungs­programm: So ging es um die Frage, was eine Alzheimer- oder Demenzerkrankung eigentlich ist, woran man sie erkennt und was zu tun ist, wenn sie eingetreten ist. Die Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen las aus ihrem Buch »Verschwunden« Geschichten, die sich mit den Verlusten im Alter beschäftigen, außerdem konnte man mit einer Ingenieurin und einer Soziologin darüber diskutieren, ob das System der gated communities, also der Städte für Alte, in Wirklichkeit nicht nur dazu dient, die Alten aus der Gesellschaft auszusperren, damit sich der Rest dem Jugendkult umso unbekümmerter hingeben kann, ohne ständig an den Verfall auch des eigenen Körpers erinnert zu werden.
Es dürfte auch diese Gruppe der Jüngeren unter den Ausstellungsbesuchern sein, denen ein weiteres Thema der Veranstaltungsreihe unter den Nägeln brennt: Am 21. August geht es um diejenigen, die kein festes Einkommen beziehen und versuchen, sich als Künstler durchs Leben zu schlagen. Es geht um ihre Alterssicherung bzw. um die Frage: Wovon werden sie erst leben, wenn sie alt sind? Schließlich ist die Produktion von Kunst auch dann schon ein sicherer Weg in die Armut, wenn man knapp über zwanzig ist.
Allerdings ist es bis zum eigenen Alter für viele der ausstellenden Künstler und Künstlerinnen aber noch eine ganze Weile hin. Birgit Brenner, Jahrgang 1964, und Miwa Yanagi, gebo­ren 1967, liegen altersmäßig im Mittelfeld, und Annegret Soltau stammt aus den Vierzigern, aber der ­Fotograf Peter Granser ist – wie Baldur Burwitz, der mit der Installation »Looping« vertreten ist – Jahrgang 1971, Lenka Clayton Jahrgang 1977, die lettische Künstlerin Evelina Deicmane wurde 1978 geboren, die Niederländerin Margi Geer­links 1970 und Regine von Felten 1980. Das spricht nicht gegen die Qualität ihrer Werke, auch freut man sich über jede Chance, die jüngeren Künstlern geboten wird, aber wäre es angesichts des Themas nicht auch angebracht gewesen, mehr Künstler und Künstlerinnen zu beteiligen, die aus eigener Erfahrung wissen, was Hitzewallungen sind und Probleme mit der Pros­tata?
Lediglich die Werke von John Coplans, Jahrgang 1920, sind Arbeiten eines wirklich alten Mannes, und davon hätte man gerne mehr gesehen. Das aber ist der einzige Punkt, der gegen die Ausstellung und die Konzeption spricht: Alte Menschen sind auch hier wieder eher betrachtetes Objekt denn künstlerisch handelndes Subjekt. Damit stellt die Ausstellung auf einer anderen Ebene wieder her, was sie eigentlich kri­tisieren möchte, dass nämlich über alte Menschen geredet wird, während sie selbst sich in umzäunte Areale wie Sun City oder nach Mallorca zurückziehen und zurückziehen sollen.