Ein Gespräch mit der Friedensaktivistin Naira Gelaschwili über georgischen Nationalismus

Naira Gelaschwili: »Das sind keine Politiker, das sind Nationalisten«

Aus dem Zentrum für literarische Überset­zung, das 1973 in Tiflis gegründet wurde, entstand nach der georgischen Unabhängig­keit das Kaukasische Haus. Seitdem wird dort mit verschiedenen Kultur­angeboten versucht, Nationalisierung und Militarisierung im Kaukasus zu verhindern. Die Autorin und Germanistin Naira Gelasch­wili leitet das Kaukasische Haus und ist eine der bekanntesten Friedens- und Menschenrechtsaktivistinnen in Geor­gien.

Der georgische Präsident Saakaschwili war in der vergangenen Zeit nicht gerade populär. Hat er durch den verlorenen Krieg in Süd­ossetien die Bevölkerung wieder stärker auf seine Seite gebracht?
Der größte Teil der Bevölkerung war sehr unzufrieden mit ihm. Aber nach dem Angriff der Russen sind die Leute verzweifelt und gebrochen. Das ist alles eine Katastrophe. Nicht nur eine humanitäre, sondern auch eine politische. In den Zeitungen findet sich hier und da auch mal eine kritische Stimme, aber sämtliche Fernsehsender stehen unter der Kontrolle der Regierung. Da ist nur von der totalitären russischen Macht die Rede, so als ob das eine neue Entdeckung wäre. Saakaschwili wusste doch genau, mit wem er es zu tun hat. Russland hat die ganze Zeit offen ausgesprochen, dass es an seinen Südgrenzen keine Nato-Kräfte akzeptieren wird. Aber der geor­gische Nationalismus speist sich vor allem aus antirussischen Ressentiments, und mit diesen Mitteln hat die Regierung die Leute auch wieder hinter sich gebracht. Aber wenn sich die georgische Bevölkerung von den Russen nicht mehr ein­geschüchtert fühlen wird, dann kann es schon bald eine neue, starke Welle des Protests gegen die Regierung geben.
Würde eine neue Regierung den nationalistischen Kurs verlassen?
Die georgische Bevölkerung besteht zu 30 Prozent aus nationalen Minderheiten. Wenn sich alle diese Minderheiten für unabhängig erklären wür­den, gäbe es Georgien nicht mehr. Und deshalb finde ich es durchaus nachvollziehbar, dass die georgische Regierung separatistische Bestrebungen nicht hinnehmen kann. Die Frage ist nur, mit welchen Mitteln sie das tut. Der größte Fehler, den Saakaschwili macht, ist die Militariserung der Region. Ich habe keine großen Hoffnungen, dass in Georgien politisch denkende Menschen an die Regierung kommen. In einem multiethnischen Land wie Georgien ist die Innenpolitik überlebens­wichtig. Aber kein georgischer Politiker interessiert sich für die Situation der Minderheiten. Sie wurden einfach vergessen, sprechen nicht die georgische Sprache und haben kaum Anteil am gesellschaftlichen Leben. Die Frage des Zusammenlebens der nationalen Minderheiten wurde in der Zeit der Sowjetunion anders behandelt.
Also war es ein Fehler, dass sich Georgien für unabhängig erklärt hat?
Das würde ich nicht sagen, denn die sowjetische Politik hat eigentlich nur Fehler gemacht. Einer war sicherlich der, die autonomen Gebiete im Kaukasus zu bilden. Auch die georgischen Regierungen haben nur Fehler gemacht. Das sind keine Politiker, das sind Nationalisten. In unserem Parlament sitzen bis heute nur zwei oder drei Menschen, die nicht Georgier sind, das sagt doch schon alles.
Als Direktorin des Kaukasischen Hauses treten Sie für eine Art Wiederauflage der transkaukasischen Föderation ein, ähnlich wie jene, die zwischen 1922 und 1936 bestanden hat. Wie soll das funktionieren?
Die einzige Chance, dieses Gebiet langfristig in ein friedliches zu verwandeln, besteht genau darin, dass sich diese Region auf ihre gemeinsame Kulturgeschichte besinnt und sich die Bevölkerungsgruppen nicht mehr gegenseitig als Feinde betrachten. Der gesamte Südkaukasus muss zu einer neutralen Region werden, ohne als Basis für die Interessen der USA oder Russlands zu dienen. Das Kaukasische Haus lehnt aber für dieses Ziel kategorisch jede Gewalt ab und bietet nur die Mittel der Kultur und der Bildung. Unser Haus ist ein praktisches Modell des friedlichen Kaukasus, hier arbeiten Russen, Osseten, Georgier und andere Nationalitäten zusammen. Wir übersetzen, geben Zeitschriften heraus, machen Ausstellungen und andere Dinge und versuchen dadurch, die Feindbilder im Kaukasus abzubauen. Doch die Regierung will unsere Stimme nicht hören.
Im ehemaligen Jugoslawien musste man erst gar nicht Bücher übersetzen, weil es schon eine gemeinsame Sprache gab, und trotzdem konnte sich gerade dort ein nationalistischer und kriegerischer Separatismus entwickeln.
Ich bin nicht so naiv, ich verstehe die Tragik der ganzen Situation. Aber wir machen eben, was wir können. Wenn man mich fragt, was ich tun würde, um wirklich etwas zu verändern, sage ich immer, dass man mir einen eigenen Fernsehsender geben soll. Und ich verspreche, innerhalb eines Jahres hätten wir ein anderes Georgien.
Gibt es außerhalb des Kaukasischen Hauses andere antinationalistische Kreise?
Viele Vertreter der intellektuellen Kreise haben kein Wirkungsfeld. Die Zeitungen interessieren sich nicht für ihre Ansichten, das Fernsehen sowieso nicht. Aber paradoxerweise hat der Krieg auch Positives hervorgebracht. Vergangenen Donnerstag kamen drei Gruppenvertreterinnen zu mir und haben mir vorgeschlagen, gemeinsam mit dem Kaukasischen Haus einen gesellschaftlichen Rat zu bilden. Wir werden gemeinsam einen Runden Tisch organisieren und über die Fehler der Männer sprechen, die das Land regieren. Eine Zeitung hat sich sogar bereit erklärt, dieses Gespräch zu drucken.