Die Kellnerkomödie »Ich habe den englischen König bedient« von Jirí Menzel

Kollege kommt gleich

Sich durchwursteln und jede Verantwortung ablehnen: Jirí Menzels Kellner-Komödie »Ich habe den englischen König bedient« ­erklärt das Mitläufertum zum Prinzip des 20. Jahrhunderts.

Der kleine Mann ist eine große Figur der Filmgeschichte. Wenn er mal was wollte, war es gleich das große Filmthema des 20. Jahr­hunderts. Meistens war das, was er wollte, nichts Gutes. Meist endeten die Wünsche bei den alliierten Truppen, und das Schicksal des kleinen europäischen Mannes wurde besiegelt. Der berühmteste kleine Mann des Films war einer mit Schnäuzer, der einen anderen kleinen Mann mit Schnäuzer spielte. Die kleinen Männer, sie fuhren im Panzer mit oder im U-Boot, und immer ver­such­ten sie, sich mit viel Witz durchzuschlagen. Sie gaben sich apolitisch und hatten mit dem großen Ganzen nur insofern was am Hut, als sie davon zu profitieren suchten. Ernst nahmen sie das alles nicht. Günter Grass hat dem kleinen Mann des 20. Jahrhunderts das augenfälligs­te Denkmal gesetzt: Oskar Matzerath, der Dreijährige, der sich weigert zu wachsen. Fazit: Wer klein ist, ist Opfer, den trifft die Verantwortung für sein Handeln nicht.
Der kleine Mann kann da sowieso nichts machen. Diesen Satz hat auch der tschechische Regisseur Jirí Menzel nun mit der Verfilmung ­eines Buches von Bohumil Hrabal interpretiert. »Ich habe den englischen König bedient« erzählt die zentralen Ereignisse der Epoche am Beispiel des Schicksals des Jan Díte (Ivan Barnev, als älterer Mann: Oldrich Kaiser), einem recht kleinwüchsigen Kellner, der sich als Spielball der Politik begreift und sein Leben deshalb als völlig unpolitisch einordnet. Seine Zukunftsträume hingegen sind gar nicht so unbescheiden und damit paradigmatisch für seine Zeit und seine Klasse, für das vom Industrieproletariat abgespaltene Kleinbürgertum: Jan will nach oben. Sein Lebensziel: Millionär werden.
Es sind die zwanziger Jahre, und auch in Prag herrscht Endzeit- bzw. Goldgräberstimmung. Jeder ist sich selbst der nächste. Jan arbeitet als Würstchenverkäufer im Bahnhof – und meist kramt er so lange nach Wechselgeld, bis die Kunden das Warten satt haben oder einfach ihren Zug kriegen müssen. Jan, der meint, von vornherein benachteiligt zu sein, steigt zum Kel­lner auf, zunächst in der Provinz, dann in der Hauptstadt. Vokabeln wie »schelmisch« und »au­genzwinkernd« fallen einem ein, um seine Verhaltensweisen in Sachen Karriere zu umschreiben. Im Grunde aber kennzeichnet ihn unsolidarisches Verhalten: Seine Techniken, um bei der Kundschaft anzukommen, gehen immer auf Kosten der Mitarbeiter. Die reagieren ebenfalls ganz klassisch mit Backpfeife und Kopfnuss. Wer hingegen später für die deutschen Besatzer arbeiten wird, das kann man noch nicht ablesen. Aber man ahnt, Jan wird nicht der sicherste Kantonist sein.
Immerhin hat es ihn schon ins Grand Hotel verschlagen, wo er lernt, wie sich ein Aus­nah­me­­kellner zu verhalten hat. Oberkellner Skrivanek (Martin Huba) ist eine Koryphäe und spricht na­he­zu jede Sprache dieser Welt. Und er sorgt für den Titel des Films. Schließlich, so teilt er mit, habe er schon den englischen König bedient.
Jan bricht das sofort auf seine persönliche Situation um: So kassiert er vom abessinischen Kaiser persönlich einen Orden für seinen exzellenten Service – eigentlich war er jedoch gar nicht gemeint. Lob kassiert der »kleine Mann« gern, und gern auf Kosten anderer.
Es muss kompensiert werden, auf Teufel komm raus: Denn Misserfolg als großes Lebens­pech ist die Regel, so sieht das Selbstbild aus. Die Haltung, dass es die menschliche Gesellschaft mit Jan grundsätzlich nicht gut meint, obwohl sie gar nichts angestellt hat, mag ihn dann auch bei der Auswahl einer passenden Frau beeinflussen: Es muss die Sudetendeutsche Liza, gespielt von Julia Jentsch, sein, in die er sich verlieben kann. Und es mag an den darstel­lerischen Mitteln von Julia Jentsch liegen, die hier den deutschen Furor pro Hitler exakt so aus­spielt wie »Sophie Scholl – Die letzten Tage« jenen gegen Hitler. Mag sein, dass es an Jentschs extremem Blick liegt, fanatisch Gucken ist jedenfalls ihre beste Übung.
Man nimmt ihr ab, dass sie Hitlers Tochter ist. Aber nimmt man Jan seine Liebe zu ihr ab? Ja, aber sie speist sich direkt aus der Hölle. Jan kann Liza lieben, weil er seine Mitmenschen so hasst.
Er ist nun ein Nazi-Kollaborateur. Und er fühlt sich damit nur am Anfang noch unwohl. Und während um ihn herum die Leute eingesammelt und ins KZ gesteckt werden, feiert er Hochzeit mit dem Nazi-Girl. In der Nacht schaut sie mit verklärten Augen auf das Bild des Führers an der Wand – feine Zeichnung seiner Figuren ist die Sache Menzels nicht.
Während Liza nun als Krankensoldatin endlich Frontdienst tun darf, kehrt Jan in das Luxus­hotel zurück, das die Nazis zur Lebensborn-Bumsanstalt umfunktioniert haben: Unter ärzt­licher Aufsicht wird hier die nächste Generation von SS und blonder deutscher Frau erschaf­fen. Jan serviert die Getränke.
Liza hat sich derweil im Arisieren geübt. Ihre Beute ist eine Briefmarkensammlung, die sie sich in Polen geklemmt hat. Weil das SS-Bordell zum Lazarett wird, landet sie an der Heimatfront. Die Briefmarken sind 15 Millionen wert. Bei einem Flugzeugangriff kommt Liza ums Leben, und Jan ist am Ziel. Irgendwie hat ihn das Geld gefunden. Jan kauft das Hotel und ­tapeziert die Wände mit Geld. Drei Jahren später übernehmen die Kommunisten die Macht. Dass Jan mit geklauter Ware bezahlt hat, wird ihm nun zum Verhängnis. Er bekommt 15 Jahre Gefängnis, für jede Million ein Jahr. Doch auch die Kommunisten werden von der Geschichte besiegt.
Aber Jan, der kleine Mann, ist von ihr nicht besiegbar. Mag das Geld auch weg sein, er lebt.
Und man muss sich fragen, ob er als Vertreter des europäischen Kleinbürgertums nicht sogar der eigentliche Sieger des Zweiten Weltkriegs ist. Schließlich tritt der Kleinbürger nun die Herrschaft über die Einfamilienhäuser und die Kleinwagen an und fühlt sich doch nach wie vor als Opfer der Umstände und entwickelt gerade daraus seine Macht. Alle Irrwege haben ihm nicht wirklich geschadet. Eher hat er anderen geschadet und damit das Egoismus-Ver­spre­chen des modernen Kapitalismus ernst genommen. Und so ist auch nicht der National­sozialismus wirklich seine Ideologie, die er sogar relativ schnell durchschaut.
Die heißt schlicht: Opportunismus, der sich irgendwann verselbständigt. Dies ist die zwiespältige Botschaft des Films. Zwiespältig auch, weil Regisseur Menzel selbst darüber folgendes zu Protokoll gibt: »Wir sind doch mehr oder weniger alle Opportunisten. Deshalb klage ich auch nicht an. Es geht hauptsächlich um das tschechische Naturell, sich über die Jahrhunderte hinweg anzupassen, jedes Regime und jede Religion zu akzeptieren. Diese Überlebensstrategie hat unseren nationalen Charakter etwas beschädigt. Bei den Vorbereitungen habe ich mich bemüht, einen Blick von außen auf uns Tschechen zu werfen. Das hilft, die eigenen Schwächen zu überwinden. Und das ist auch die Essenz meines Filmes.«
Mit derselben Konsequenz sieht er die Figur der fanatischen Nationalsozialistin Liza. Sie sei ein Opfer der Nazi-Propaganda geworden, wie ihre Mitbürger. Und die jungen Tschechen seien nach dem Krieg – Prinzip Gehirnwäsche – eben alle zu begeisterten Kommunisten geworden.
Leider, denkt man beim Zuschauen dieses so gestrickten Märchens, war die Geschichte nicht so einfach gestrickt.

Ich habe den englischen König bedient (Tschechien 2006). Regie: Jirí Menzel. Start: 21. August