Der Mythos Che Guevara und seine Demontage in einer neuen Biographie

Der vollkommenste Mensch

Eine neue Che-Guevara-Biografie demontiert zahlreiche Mythen über den Rebellen.
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Che Guevara ist kein Popstar – sein Bild hat es zu Pop-Weltruhm gebracht. Das Wissen über den argen­tinischen Dritt-Welt-Revolutionär reichte eigentlich schon immer kaum über die Grenzen seiner Ikonographie hinaus. Zumindest von der Zeit an, in der das Auftauchen von Fotografien eines relativ langmähnigen Guerilleros mit dem kommerziellen Erfolg des Posters als Wandschmuck zusammenfiel. Mehr als ein paar pseudoreligi­ös eingefärbter Sentenzen, mal eher passend für den Aufruhr, mal mehr für den Kirchentag, war da inhaltlich eigentlich nie: »Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker« gehört eindeutig in die letzte Kategorie, während beispielsweise dieser Ausspruch aus dem Mai 1967 klar zur ersten gehört: »Der Krieg muss dorthin gebracht werden, wohin der Feind ihn bringt: in sein Haus, in seine Vergnügungsviertel – der absolute Krieg.«
Dass sich Ches geistiges Erbe auf ein Arsenal solcher Statements reduziert, ist aber zum geringeren Teil die Schuld seiner Bewunderer. Denn aus Guevaras Schriften und Reden gibt es kaum etwas anderes zu holen als eben Kitsch und Hass in unterschiedlichen Aggregatszuständen: Der Che war und ist die Gesicht gewordene Attitüde und hat als solche sein Pop-Schicksal wohl verdient.
Deswegen hielt sich Che Guevara auch so gut. Frederik Hetmans »Ich habe sieben Leben«, eine 1976 erschienene, populäre Heiligenerzählung vom Leben und Sterben des Guerilleros, behält so immerhin im Titel Recht. Das Bild des Che hat in den vergangenen Jahren sogar ein weiteres Leben begonnen: als T-Shirt-Motiv für alternde Rockstars wie Carlos Santana und momentan erfolglose Fußballer wie Thierry Henry beispielsweise oder als Tätowierung bei Diego Maradona. Dass das Che-Transpi auf Doppelhalter einen mittlerweile an nahezu jedem TV-Fußballabend aus den jeweiligen Ultrá-Blocks grüßt, ist aber eine Entwicklung, die sogar Hetman verblüfft hätte. Die Che-Renaissance am unerwarteten Ort lässt sich dabei schlecht als Modephänomen erklären: Denn Fusselbärte, lange Haare und als Kopfbedeckung die mili­tärische Abart einer Baskenmütze gehören wahr­lich nicht zum typischen Erscheinungsbild in der Fankurve.
Diese neuen, von der wenig attraktiven Geschichte des Realsozialismus gänzlich unbeleckten Che-Fans benötigten Aufklärung über die Person Ernesto Guevara, meint nun der aus Kuba stammende Franzose Jacobo Machover. Er, der nach eigenem Bekunden das glatte Gegenteil eines Exil-Kubaners ist, wie man ihn sich landläufig so vorstellt, will ein Ende der Glorifizierungen des Che. Das Bild, das Machover in seinem Buch »Che Guevara – Die andere Seite« entwirft, ist dabei durchaus differenziert. Weit entfernt davon, Guevara oder Castro als Mons­tren hinzustellen – wie es ansonsten Usus ist bei einer gewissen Sorte antikommunistisch-klerikaler Geschichtsschreibung in Frankreich –, erinnert Machover an die zahlreichen dunklen Seiten des kubanischen Jesus-Substituts.
Er bedient sich dabei ausschließlich der vom offiziellen Kuba genehmigten Schriften, Briefe, Aufzeichnungen und Pamphlete Guevaras und kontrastiert sie mit dem tatsächlichen Verlauf der Geschichte. So demontiert der Franzose einige Che-Mythen, die bis heute gehegt und gepflegt werden. Beispielsweise war Guevara nie Arzt und wollte auch keiner werden. Sein Weg zum Antiimperialismus war auch nicht von einem sozialen Gewissen, sondern von existen­tialistischer Lust am Extrem diktiert. Er war meistenteils humor- und mitleidlos, alles andere als lyrisch interessiert und verabscheute die »dekadente Kunst des 20. Jahrhunderts« und Intellektuelle sowieso – soweit sie nicht der revolutionären Propaganda und dem Gue­vara-Kultus, der bereits zu Lebzeiten begann, nützlich waren. Wie Sartre etwa: Dieser schwa­dronierte nach einem Treffen mit dem Rebellen voller Inbrunst vom »vollkommensten Menschen unserer Zeit«.
Insgesamt fördert Machover so zwar viele Informationen, aber wenig wirklich Neues zu Tage. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn nicht der Enthüllungsduktus, mit dem der Autor seine Leser bei der Stange zu halten versucht, mit der konven­tionellen Quellenlage und den an sich be­kan­nten Geschehnissen ständig in Widerspruch ge­raten würde. Machovers Stil produziert häufig das Gefühl enttäuschter Erwartungen, was auf Dauer recht durchsichtig wirkt. Wirklich stark aber ist das Buch an den Stellen, wo es das Bedürfnis nach dem ebenso rigorosen wie eschatologischen Pathos Guevaras, das allein schon seiner Ikonografie innewohnt, richtig zuordnet: Wenn der Che auch gern von »Liebe« sprach, so »hatte sie kein Wesen aus Fleisch und Blut zum Gegenstand, sondern jenen ›neuen Menschen‹, der unscharf durch alle faschis­tischen, nationalsozialistischen und stalinistischen Ideologien geistert«.
Und Guevara forderte diesen »neuen Menschen« nicht nur, er wollte ihn verkörpern. Er selbst wollte als der erste einer neuen Gattung erscheinen und in die Geschichtsbücher ein­gehen: als hypermilitaristischer Asket, als Einpeitscher eines nur noch moralisch und nicht mehr von Interessen geleitet agierenden Kollektivs, als Liquidator der Schwankenden, als Existenzialist des Kampfes, des Hasses und des Todes. Das alles waren Vorstellungen, die wahrlich nicht sehr weit entfernt waren von den soldatischen Idealen in Ernst Jüngers »Der Arbeiter« oder Leo Trotzkis Loblied auf den Kriegskommunismus.
Aber Guevara inszenierte sein eigenes Leben auch noch in aller persönlichen Konsequenz nach diesen Vorstellungen. Trug schon der Guerilla-Ausflug von Kuba in den Kongo (1965) Züge einer politisch sinnfreien, katastrophal vorbereiteten und für die meisten Beteiligten konsequent letal endenden Reise ins Herz der Finsternis, so war die Bolivien-Fahrt des Che ein absoluter Höllentrip. Boliviens Bauern waren zu dieser Zeit wohl eine der sozialen Gruppen auf dem Subkontinent, die am wenigsten Interesse an Revolution und Guerilleros hegten. Gerade deswegen reizte dieses irre Experiment Guevara, wie Machover ganz überzeugend nachweist. Es war der Versuch, den subjektiven ­revolutionären Willen über alle objektiven Hemm­nisse siegen zu lassen – durch den unwahrscheinlichen Erfolg oder das konsequente Märtyrertum, das letztlich sein eigenes wurde, ein Opfer für eine imaginäre »Weltrevolution«, die bloß aus Willen und Vorstellung bestand. Guevara leugnete das auch kaum: Seine Analysen des Objektiven waren stets schwach und lustlos, seine Anforderungen ans Subjekt dafür umso maßloser.
Wenn heute sogar ostdeutsche Nationalrevo­lutionäre den Che für sich reklamieren, liegen sie damit gar nicht so weit daneben. Nicht, dass Guevara ein Nazi gewesen wäre; derlei Kinkerlitzchen hätte er in seinem ebenso totalitären wie grobmaschigen Weltbild aus Moral, Tod, Krieg und fanatischem Antiamerikanismus ohnehin keine Bedeutung beigemessen. Ches eitler Absolutismus aber hat Sätze hinterlassen, die nun mal in jeder Art militantem Männerbund auf johlende Zustimmung rechnen können, wie den beispielsweise: »Der unbeugsame Hass dem Feinde gegenüber (ist es), der den Menschen über seine physischen Grenzen hinaus antreibt und ihn in eine wirksame, ­gewaltsame, selektive und kalte Tötungsmaschine verwandelt. Unsere Soldaten müssen so sein.«

Jacobo Machover: Che Guevara – Die andere Seite. Aus dem Französischen von Hainer Kober. Wolbern-Verlag, Potsdam 2008, 147 Seiten, 16,80 Euro