Reihe über Gentrifizierung in Berlin: Über günstigen Raum und befristete Nutzung

»Wir wirken nicht gentrifizierend«

Reihe über Gentrifizierung in der Hauptstadt: die Bedeutung der Zwischennutzung.

Günstiger Raum gegen befristete Nutzung« – so brachte die Berliner Senats­verwaltung für Stadtentwicklung in einer 2004 veröffentlichten Studie die Charakteristika von Zwischennutzungen auf den Punkt. Seitdem sind die »Raumpioniere«, die sich im Palast der Republik, in der Bar 25 oder im RAW-Tempel austoben, im politischen Diskurs der Landesregierung ein Aushängeschild für das Berliner Image. Sie sind jung, kreativ und mindestens so arm und sexy wie die Stadt selbst. Aber ist Berlin wirklich so zwischennutzerfreundlich, wie es zunächst den Anschein hat? Ein Gespräch mit Maria Richarz von der Zwischennutzungsagentur, die zwischen Eigentümern und Nutzungsinteressenten vermittelt, über brachliegende Orte, leere Worte und die Frage, ob Neukölln durch Zwischennutzungen gentrifiziert wird.

Zwischennutzungen sind die temporäre Nutzung von leerstehenden Räumen oder Flächen. Was hat dazu geführt, dass sie seit den neunziger Jahren in Berlin und anderen größeren Städten stark zugenommen haben?

Neben den Besonderheiten Berlins – viel Leerstand und wenig Wirtschaftskraft, hohes kreatives Potenzial und nach wie vor teilweise ungeklärte Eigentumsverhältnisse – gibt es sicherlich allgemeine Faktoren, die den Anstieg von Zwischennutzungen weltweit begünstigt haben. Zwischennutzungen sind überall dort angesagt, wo alte, überkommene Nutzungen nicht mehr funktionieren und sich eine neue Struktur noch herausbilden muss. In Neukölln, wo die Zwischen­nutzungsagentur ansässig ist, betrifft das vor allem den hohen Gewerbeleerstand. Der Schuster oder der Tante-Emma-Laden um die Ecke – das war einmal. Nachdem die zugemacht haben, stehen ihre Ladenlokale jahrelang leer. Oft wissen Eigentümer nicht, was sie damit machen sollen, und haben gemerkt: Nur inserieren und auf hohe Mieteinnahmen hoffen, bringt’s nicht. Das ist der Moment, wo man mit Zwischennutzungen sehr gut einsteigen kann.

Diese Beschreibung hört sich eher nach einer schrumpfenden Stadt im Ruhrgebiet an.

Die Strukturen in Nordneukölln noch vor ein paar Jahren waren so anders nicht. Allerdings muss man klarstellen, dass es hier immer eine gemischte Bevölkerung gab. Hier lebten schon lange viele Künstler, Handwerker, Medienschaffende und Designer aus der ganzen Welt. Wir von der Zwischennutzungsagentur haben uns 2004 mit dem Ziel gegründet, diese Klientel auch gewerblich hier anzusiedeln. Da, wo sie leben, sollen sie auch arbeiten. Mit den Eigentümern verhandelten wir über eine kooperative Entwicklung des Standorts durch günstige Mieten. Von der Europäischen Union erhielten wir die nötigen Mittel, um unsere Arbeit zu finanzieren und unabhängig von den monofunktionalen Interessen des Landes und des Bezirks, im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung und eingebettet in die Ziele des europaweiten Konsens der »Sozialen Stadt«, zu integrieren. Mit Erfolg: Wir haben in Nordneukölln in fünf gemischten Gründerzeitquartieren seit 2004 über 100 leerstehende Gewerbeeinheiten vermittelt. Und über 80 Prozent der Zwischennutzungen, die als Unternehmensgründungen starteten, wurden in eine längerfristige Nutzung überführt – unser eigentliches Ziel urbaner Entwicklung.

Das klingt alles sehr harmonisch. Wenn wir nur alle an einem Strang ziehen, geht es auch mit Neukölln aufwärts. Bis es dann so hip und teuer ist, dass es sich die Künstler von einst nicht mehr leisten können…

Wir wirken in keinem Fall gentrifizierend, weil wir zuallererst am Preis ansetzen, wenn wir mit dem Eigentümer diskutieren. Da herrschen ja oft naive Vorstellungen darüber, was man wo verlangen kann. Man muss dem Eigentümer klarmachen, dass unsere Zeiten sich verändert haben und man kooperativ mit den Nutzern gestalten kann. Der Eigentümer hat eine Verantwortung, die Stadt mitzugestalten, und wir zeigen Wege auf, das zu ermöglichen. Und mal ehrlich: Wer in Neukölln von Gentrifizierung spricht, der war noch nie wirklich dort.

Früher hätte man den Leerstand einfach besetzt. Keine Miete, der Eigentümer ist das Kollektiv. Heute mietet die Ich-AG oder die GbR den Leerstand einfach billig an. Das hört sich ein bisschen nach einer politischen Bankrotterklärung an.

In einer gewissen Hinsicht stimmt das sicherlich. Aber wenn man heute etwas besetzt, hat man nicht einen Mannschaftswagen, sondern direkt 20 davon vor der Tür stehen. Die Kontrolle des Staatsapparats hat weltweit eine neue Qualität erlangt. Zwischennutzungen sind dieser Entwicklung geschuldet und deshalb kooperativer. Sie berücksichtigt beide Seiten, die des Nutzers und die des Eigentümers, weil beide Seiten am meisten davon haben, wenn sie zusammenarbeiten

Eigentümer verpachten in der Zwischennutzung, wie der Name schon sagt, lediglich zeitlich befristet. Was passiert eigentlich, wenn Investoren in den Startlöchern stehen und der temporäre Pächter nicht mehr gehen will, wie etwa im Falle des RAW-Tempels in Berlin-Friedrichshain oder der Bar 25 in Mitte?

Konflikte wie bei Mediaspree treten dann auf, wenn eben die Verwaltung oder in diesem Fall der Senat seine ganzen Rechte und Claims schon viele Jahre zuvor an private Investoren abgegeben hat. In den neunziger Jahren haben sich die politischen Entscheidungsträger blenden lassen. Geld, das irgendwann mal fließen sollte, hatte bei den Entscheidungen oberste Priorität. Ein städtischer Freiraum wie die Spree wurde einfach privatisiert, und die Planungsvorhaben darüber wurden nicht ausreichend an die Öffentlichkeit gebracht, weswegen sich damals auch kaum Protest bei der Bevölkerung regte. Wenn man etwas verkauft hat, ist es natürlich ungleich schwerer, den Prozess wieder rückgängig zu machen. Nun muss man selbst Geld auf den Tisch legen.

Und die Zwischennutzer stehen ratlos zwischen den Stühlen von Politik und Wirtschaft.

Ich denke, sie müssen sich vernetzen und politisieren, gerade in Mitte und Friedrichshain, wo gegenwärtig viele Verdrängungsprozesse am Laufen sind. Viele Zwischennutzer sind vor Jahren sehr intuitiv an einen Standort gegangen und wollten ihn kreativ bespielen. Politik lag ihnen fern. Wenn sich Zwischennutzer auf die eine oder andere Art zusammentun würden, wäre das sicherlich keine verkehrte Sache. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sie entweder sang- und klanglos in städtische Randgebiete verschwinden oder von Investoren missbraucht werden. Der junge kreative Zwischennutzer aus der Event- und Medienbranche – dieses Bild kann schnell kippen.

Wäre da nicht die Stadt Berlin noch stärker gefragt? Ihre Raumpioniere tragen doch ungemein zum Imagegewinn der Stadt bei.

Reden und Handeln sind hierbei zwei unterschiedliche Dinge. Viele im Senat verstehen das Ziel einer Zwischennutzung vor allem darin, Interesse für ein leerstehendes Gebäude oder eine Brache zu wecken, damit sie dann verkauft werden kann – was vorher nicht gelungen ist. Aber selbst dieses Ziel wird kaum verfolgt: In landeseigenem Leerstand gibt es kaum Zwischennutzungen. Viele Zwischennutzungsinteressenten bekommen kaum etwas zur Vermittlung auf den Tisch, weil der Liegenschaftsfonds Berlin entweder so hohe Miete haben will, dass es leicht einen Verdrängungseffekt nachziehen würde, oder er lässt die Liegenschaften brach liegen. So stehen hervorragende Immobilien wirk­lich seit Jahren leer, weder besetzt noch zwischengenutzt.

www.zwischennutzungs­agentur.de