Die Bedeutung des Haftbefehls gegen den sudanesischen Präsidenten

Fangt mich doch!

Mit dem Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen den sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir hat die internationale Gerichtsbarkeit eine neue Stufe erreicht

Umar al-Bashir scheint nicht sonderlich besorgt zu sein. Zumindest hält ihn der drohende Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs nicht davon ab, auch weiterhin Staatsbesuche zu absolvieren. Ende August nahm er am Türkei-Afrika-Gipfel in Istanbul teil. Dort ließ er in einem Interview mit dem Fernsehsender al-Arabiyya die arabischsprachigen Zuschauer wissen: »Wir sind zum Krieg mit der großen Macht bereit, um die sudanesischen Bürger zu schützen.« Sollte tatsäch­lich ein Haftbefehl gegen ihn erlassen werden, müssten die internationalen Friedenstruppen den Sudan verlassen.
Am 14. Juli hatte der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in Den Haag, Luis Moreno-Ocampo, einen Haftbefehl gegen den Präsidenten des Sudan beantragt, da dieser seit 2003 persönlich für Genozid und Verbrechen gegen die Menschheit in Darfur verantwortlich sei. In einer Erklärung des ICC hieß es dazu, der Chef­ankläger habe Belege dafür vorgelegt, dass Bashir federführend die Vernichtung substanzieller Anteile der Bevölkerungen der Fur, Masalit und Zaghawa aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit geplant und realisiert habe. Der 1989 durch einen Militärputsch an die Macht gekommene Präsident bestritt diese Vorwürfe nicht nur, sondern erklärte, dass der Sudan den Internationalen Strafgerichtshof nicht anerkenne und dieser damit auch keinerlei Gerichtsbarkeit ausüben könne. Bashirs Gefolgsleute wie der sudanesische UN-Botschafter Abdelmahmoud Abdalhalim Mohammed bezeichneten den Antrag als illegal und warnten vor »katastrophalen Folgen« für die »Friedensbemühungen« in Darfur. Vize-Präsident Ali Usman Mohammed Taha solidarisierte sich mit seinem Präsidenten und sprach von einem »illegalen Vorgehen«. Schließlich wurde sogar mit einer nicht näher definierten »militärischen Antwort« gedroht.

Ob sich in Darfur durch eine Verhaftung Bashirs etwas ändern würde, ist fraglich. Die ohnehin machtlosen Friedenstruppen können keinen »Frie­den sichern«, da es in der Region, in der seit 2003 ein Bürgerkrieg und »ethnische Säuberungen« stattfinden, keinen Frieden gibt. Waffenstillstandsabkommen mit einzelnen Rebellenfraktionen führten nur zu einer Aufsplitterung der politisch-militärischen Opposition und zu bewaffnet ausgetragenen Machtkämpfen innerhalb der größten Rebellengruppen SLM und JEM. Die Hauptursache für die seit 2005 gesunkenen Opferzahlen liegt darin, dass die wichtigsten Kriegsziele der Zentralregierung und der mit ihr verbündeten Milizen, der Janjawid, erreicht wurden. Heute sind viele Angehörige der Zivilbevölkerung der Fur, Masalit, Zaghawa, aber auch der Tunjur und anderer nicht vom ICC aufgezählter Bevölkerungsgruppen weitgehend aus ihren Siedlungsgebieten vertrieben. Der damit erzielte Erfolg der ethnischen Säuberungen macht weitere Massaker unnötig. Die potenziellen Opfer befinden sich überwiegend in Flüchtlingslagern im Tschad oder als Binnenflüchtlinge in anderen Regionen des Sudan. China kann ungestört investieren, und arabische Golfstaaten sichern sich immer größere Landflächen für die eigene Nahrungsmittelproduktion.
Der Erhalt eines mehr oder weniger labilen Waffenstillstands im Südsudan bildet eine zentrale militärische Bedingung für die Regierung, um den Krieg im Westen erfolgreich weiterführen zu können. Forderungen nach einem Aufschub des Haftbefehls gegen al-Bashir, wie sie der nigerianische Außenminister Ojo Maduekwe formulierte, verkennen damit entweder die Wirklichkeit oder sollen einen Präzedenzfall verhindern. Schließlich ist al-Bashir zwar für besonders gewaltsame Konflikte maßgeblich verantwortlich, jedoch keineswegs der einzige Despot unter den Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union (AU). Die AU hatte denn auch den Weltsicherheitsrat um einen einjährigen Aufschub des geplanten Haftbefehls ersucht.

Tatsächlich ist der Antrag von Luis Moreno-Ocampo gegen Umar al-Bashir ein Novum. Noch nie wurde gegen einen amtierenden Staatschef ein Haftbefehl des ICC ausgestellt. Sollte dieser nun tatsächlich verfolgt werden, würde dies schwerwiegende Konsequenzen für die Entwicklung des internationalen Rechts und der nationalstaatlichen Souveränität nach sich ziehen. Neben dem rein praktischen Problem, wie man eines amtierenden Staatschefs habhaft wird, würde dessen Verhaftung durch internationale Institutionen einen entscheidenden Schritt in der Transformation von Staatlichkeit darstellen. Bereits seit den neunziger Jahren verliert das Prinzip der nationalen Souveränität immer öfter zugunsten des Primats der Menschenrechte und der Verhinderung von Massakern und genozidalen Verfolgungen an Bedeutung. Im Jugoslawien-Krieg von 1999, im Afghanistan-Krieg 2001 oder im Irak-Krieg 2003 spielte in der öffentlichen Begründung dieser Kriege das Argument, dass die Verteidigung von Menschenrechten die Verletzung der nationalen Souveränität eines Staates rechtfertigen würde, eine mehr oder weniger zentrale Rolle. Die ehemals Herrschenden mussten sich, soweit man ihrer habhaft werden konnte, im Falle Serbiens vor einem internationalen, im Falle des Irak vor einem nationalen Gericht verantworten. Dazu mussten sie jedoch zuerst ihre Macht verlieren. Ein Verfahren gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt wäre etwas völlig anderes.

Eine Reihe von Hindernissen liegen jedoch auf dem Weg zu einem Prozess gegen Umar al-Bashir. Die wichtigste Frage dabei ist wohl die, wer denn nun für die physische Festnahme al-Bashirs verantwortlich sein soll. Ein modernes Justizsystem funktioniert bislang nämlich nur als ein vom Staat und dessen Gewaltmonopol abgeleitetes System. Dies war auch einer der Gründe, weshalb trotz Globalisierung und Internationalisierung der Märkte Staaten keineswegs funktionslos wurden oder einfach verschwanden. Ein staatliches Gewaltmonopol und die relative Autonomie des Staats sind immer noch notwendig, um Eigentum zu sichern, und damit eine Bedingung für den Bestand des Kapitalismus. Ein funktionierendes Justizsystem benötigt die »Monopolisierung legitimer Gewaltsamkeit« (Max Weber) im und durch den Staat als »materielle und spezifische Verdichtung eines Kräfteverhältnisses« (Nicos Poulantzas).
Nun ist es jedoch offensichtlich, dass wir trotz der viel beschworenen Globalisierung noch weit von einem Weltstaat entfernt sind und sich internationale Organisationen von der Uno bis zur Afrikanischen Union für die physische Gewaltanwendung immer noch der militärischen Apparate ihrer Mitgliedsstaaten bedienen müssen. Ein internationales Justizsystem, das mit dem ICC in Den Haag auch gegen regierende Staatsoberhäupter vorgehen will, benötigt dafür mehr als nur symbolische Unterstützung durch Staaten und ihre Apparate. Ein solches Justizsystem würde damit selbst zu einem wichtigen Aspekt einer »Verdichtung sozialer Kräfteverhältnisse zweiter Ordnung« (Ulrich Brand), mit der sich in neo-poulantzianischen Ansätzen Internationalisierungsprozesse von Staatlichkeiten beschreiben lassen.
Im Sudan selbst glaubt derzeit kaum jemand, dass die so genannte internationale Staatengemeinschaft wirklich willens wäre, physisch gegen den sudanesischen Präsidenten vorzugehen. Vor einem Jahr hat es aber auch kaum jemand für möglich gehalten, dass beim ICC ein Haftbefehl gegen ihn beantragt werden würde.