Russland und Unabhängigkeitsbestrebungen: der Fall Transnistrien

Schöne Aussichten

Nicht alle von Russland beeinflussten ­Regionen Osteuropas sollen unabhängig werden. Für Transnistrien gibt es andere Pläne.

Die malerische Kulisse lässt kaum erahnen, dass in der unmittelbaren Nachbarschaft ein internationaler Konflikt begonnen hat. Während sich die Badegäste an den Stränden von Sotschi tummeln, herrscht nur wenige Kilometer von dem russischen Ferienort am Schwarzen Meer entfernt das Kriegsrecht. Nach dem Ende der Kämpfe um Abchasien und Südossetien nutzen russische Politiker gerne die mondäne Stadt, um ausländische Staatsgäste zu empfangen.
Der moldauische Präsident Wladimir Woronin wird die schöne Aussicht jedoch kaum genossen haben, als er dort vergangene Woche seinen russischen Amtskollegen Dmitrij Medwedjew begrüßte. Kurz nach dem Waffenstillstand in Georgien war Woronin nach Sotschi geeilt, um über den ungelösten Konflikt um die separatistische Region Transnistrien zu sprechen.
Ähnlich wie in Abchasien und Südossetien strebt die international nicht anerkannte »Pridnestrowjesche Republik« nach Unabhängigkeit. In einem kurzen Bürgerkrieg trennte sich Transnistrien Anfang der neunziger Jahre mit Hilfe russischer Truppen von der Republik Moldau. Seitdem ist der Status völkerrechtlich nicht definiert, und an der gemeinsamen Grenze herrscht eine Atmosphäre wie im Kalten Krieg. Über ein Drittel der transnistrischen Bevölkerung besitzt russische Pässe, ähnlich wie im Kaukasus sieht die russische Regierung sich dort verpflichtet, ihre Staatsbürger zu schützen – im Zweifelsfall auch mit Gewalt.

So warnte Medwedjew seinen Gast unverhohlen, am Ende des Streits um Südossetien habe ein Krieg gestanden. »Das ist eine ernste Warnung an alle. Ich glaube, wir sollten alle anderen Konflikte in diesem Zusammenhang sehen«, sagte Medwedjew. Woronin versicherte umgehend, dass man die Probleme sicherlich auf dem Verhandlungsweg lösen könne.
Tatsächlich spricht wenig für eine gewaltsame Entwicklung in dem Land zwischen der Ukraine und Rumänien. Die kleine moldauische Armee ist zu größeren militärischen Aktionen nicht in der Lage. Zudem propagiert die regierende Kommunistische Partei unter Woronin einen nationalistischen Kurs und spricht nur vorsichtig über eine Annäherung an die EU oder gar die Nato.
Die Transnistrier haben sich vor zwei Jahren in einem international nicht anerkannten Referendum mit 97 Prozent für den Anschluss an Russland ausgesprochen. Die russische Regierung begrüßte zwar zunächst das Ergebnis, nahm aber später deutlich Abstand von den Plänen.
Anders als in Georgien kann Russland mit dem Status quo in einer der ärmsten Gegenden Europas durchaus leben. Mit der merkwürdigen Enklave im eigenen Land hat Moldau keine Chance, sich dem Westen anzunähern. Transnistrien bietet lukrative Verdienstmöglichkeiten, die Verkehrsanbindung ist für illegale Geschäfte sehr günstig. Der ukrainische Hafen Odessa ist kaum 90 Kilometer von der transnistrischen Hauptstadt Tiraspol entfernt. Die Grenze wird von einer OSZE-Mission nur oberflächlich kontrolliert. Geschmuggelt wird alles, womit sich Geld verdienen lässt, Nahrungsmittel und Zigaretten, aber auch Waffen, Drogen und Menschen. Als Journalisten vor zwei Jahren in Liechtenstein über die Hintergründe recherchierten, stießen sie auf interessante Verbindungen. Ihre Spur führte über zahlreiche Holdings und Briefkastenfirmen, zum Teil mit Sitz in Deutschland, zu namhaften Unternehmen in Moskau.
Der ungeklärte Status kommt daher in Russland sowohl geopolitischen wie auch privaten Interessen zugute. Gelegentlich laufen die Geschäfte allerdings auch aus dem Ruder. So berichtete die Moskauer Zeitung Kommersant Anfang des Jahres von illegalen Schiebereien mit russischen Gaslieferungen nach Transnistrien im Wert von einer Milliarde Dollar. »Sie stehlen zweimal: Zuerst entnehmen sie ungehindert unser Gas, dann verkaufen sie es. Das Geld aber verschwindet in unbekannte Richtung«, zitierte die Zeitung eine Quelle aus dem Kreml.

Kein Wunder, dass die russische Regierung »verstimmt« reagierte. Als die transnistrische Führung nach der Anerkennung des Kosovo im Februar euphorisch ebenfalls die Unabhängigkeit forderte, wurde dieser Wunsch brüsk zurückgewiesen. Man werde »keine Methoden akzeptieren, die dem Völkerrecht zuwiderlaufen, wie das im Kosovo der Fall war«, erklärte damals der stellvertretende russische Außenminister Grigori Karassin.
Dass im Falle der separatistischen Regionen im Kaukasus die jüngst noch so verpönten Methoden plötzlich übernommen wurden, lässt auf ein Dilemma der russischen Außenpolitik schließen. Nach dem Angriff Georgiens wollte die russische Regierung ein Exempel statuieren. Wer ihre Sicher­heitsinteressen gefährdet, muss mit harten Konsequenzen rechnen. Mit der Anerkennung der separatistischen Gebiete weckt Russland jedoch auch Begehrlichkeiten in seiner eigenen unruhigen Kaukasus-Region. Schließlich führten russische Truppen in Tschetschenien jahrelang einen verheerenden Krieg.
Zudem isoliert sich die russische Führung. Nicht nur der Westen, auch viele asiatische Staaten, darunter China und Iran, waren wenig begeistert von der Anerkennung. Sie alle haben mehr oder weniger große Probleme mit Minderheiten und separatistischen Bewegungen. Nur einige befreundete Staaten wie Belarus oder Venezuela dürften die Unabhängigkeit überhaupt anerkennen. Vermutlich bleibt Russland nicht viel anderes übrig, als Südossetien und Abchasien in die Russische Föderation aufzunehmen.
Für Transnistrien ist dies unrealistisch, weil es keine gemeinsame Grenze mit Russland besitzt. Deswegen schlug der russische Außenminister Sergej Lawrow vergangene Woche vor, den nach einem russischen Diplomaten benannten Kozak-Plan in die Tat umzusetzen. Demnach soll Transnistrien autonome Rechte innerhalb eines föderalen Staates erhalten und aus der Republik wieder austreten können, falls Moldau der EU beitreten möchte. Zudem sollen die russischen »Friedenstruppen« für weitere 20 Jahre im Land stationiert bleiben. Der Preis für die Integrität des Landes wäre damit eine dauerhafte Neutralität unter russischer Kontrolle.

Für Moldau ist das keine allzu verlockende Perspektive. In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist ein Viertel der Bevölkerung aus wirtschaftlichen Gründen emigriert. Seit dem EU-Beitritt Rumäniens ist das Land wegen der Schengen-Grenze weitgehend isoliert. Der Kozak-Plan würde diesen Zustand dauerhaft festschreiben. Die Regierung von Moldau hatte ihn deswegen 2003 abgelehnt. In Sotschi sagte Woronin jedoch, man wolle auf Basis des Kozak-Plans verhandeln.
Medwedjew wird diese Aussicht genießen, zumal sich der Vorschlag Russlands durchaus als Modell für weit größere Konflikte eignen könnte. Etwa für die Ukraine, wo sich bereits ein Streit um die Krim abzeichnet. Einen geeigneten Ort für künftige Verhandlungen hat Medwedjew jedenfalls schon parat: eine malerische Stadt am Schwarzen Meer.