Windenergie in den USA

Vom Winde verweht

New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg hatte eine großartige Idee: Wind­räder auf den Wolkenkratzern der Stadt. Daraus wird wohl nichts, aber das Thema Wind­energie ist insgesamt in den USA ein Renner.

»Chicago is known as the windiest city. But it’s not the windiest city in the US. The windiest city is Dodge City, Kansas. Other windy cities are Amarillo, Texas, and Rochester, Minnesota«, erläuterte Bob Dylan in einer seiner Theme Time Radio Hours. Michael Bloomberg, seit 2002 Bürgermeister von New York, ist offenbar kein regelmäßiger Hörer dieser Sendung, sonst wäre ihm wohl aufgefallen, dass Dylan New York in Sachen Wind gar nicht erwähnte und damit implizit die neueste Idee des Ex-Demokraten und Ex-Republikaners und seit 2007 parteilosen Bloomberg als ziemlich realitätsfremd erscheinen ließ.
Die Brücken und Wolkenkratzer New Yorks sollen, so wünscht es sich Bloomberg, mit Windrädern bestückt werden, und vor den Ufern der Stadt sollen im Atlantik großflächige Windparks entstehen, damit die Stadt zur ersten grünen Metropole der Welt wird und die Freiheitsstatue »nicht nur neue Einwanderer begrüßt, sondern ihre Fackel, betrieben mit Windenergie, ihnen den Weg leuchtet«, wie es der überzeugte U-Bahn-Fahrer Bloomberg in schönster kitschiger Polit-Poesie ausdrückte.

Bloombergs etwas skurril anmutende Ideen wurden mittlerweile von zahlreichen Wissenschaftlern als kaum realisierbar zurückgewiesen. Die Gebäude hielten die dabei wirkenden Kräfte keinesfalls aus; ohnehin sei der Energiegewinn als gering einzuschätzen, dafür der Finanz­aufwand riesig. Bloomberg hatte seine Überlegungen Mitte August auf dem National Clean Energy Summit in Las Vegas vorgestellt und damit für einiges Aufsehen gesorgt. Homepages von Wind­kraft­lobby­isten waren zeitweilig nicht mehr erreichbar, weil sich so viele Neugierige zum Thema informieren wollten.
Allerdings sind die spektakulären Windräder-Ideen nur ein Detail einer umfangreicheren Kampagne, die Bloom­berg in Las Vegas ins Laufen bringen wollte. Zum einen möchte er »New York zur Stadt Nummer eins in Sachen saubere Energie« machen – in zehn Jahren soll Windkraft zehn Prozent des New Yorker Energieverbrauchs decken, Solarenergie weitere 20 Prozent. Zum anderen geht es aber um viel mehr, nämlich um ein neues nationales Energiekonzept für die ganzen USA.
Mit diesem groß dimensionierten Vorhaben steht Bloomberg nicht alleine da: Der bei solchen Angelegenheiten sonst unvermeidliche Al Gore war zwar nicht auf der Rednerliste des Energiegipfels in Las Vegas, dafür aber unter anderem sein ehemaliger Chef Bill Clinton und vor allem T. Boone Pickens. Pickens ist, wie auch Bloomberg, Multimillionär und hat sein Geld ironischerweise vor allem mit Ölgeschäften verdient. Diese Einkommensquelle sieht der 80jährige aber mittelfristig versiegen und hat als neue Herzens­angelegenheit die Förderung alternativer Energien entdeckt. Deswegen baut der rüstige Senior gerade in der Wüste von Texas die weltweit größte Windkraftanlage.
Für sein ambitioniertes Ziel einer nationalen »Energiewende« wirbt Pickens unter dem Titel »Pickens Plan« seit einiger Zeit auf zahllosen Terminen quer durch die Staaten mit markigen Stellungnahmen: Die USA finanzierten permanent den Krieg, der gegen sie geführt wird. Sie statteten durch Ölkäufe ihre Feinde im Nahen Osten mit Unmengen von Geld aus, mit dem diese postwendend den Terror gegen Amerika subventionierten. Damit müsse so schnell wie möglich Schluss sein, daher müssten die USA auf alternative Energien umsteigen. Die Great Plains gelten Pickens dabei als »das potenzielle Saudi-Arabien der Windkraft«. Sein Einsatz scheint schon Wirkung zu zeigen: Erst kürzlich haben die USA Deutschland als Nummer eins auf dem Weltmarkt für Wind­energie abgelöst – ein Aspekt der Energiewende, der auch dem erfolgreichen Geschäftsmann Bloom­berg gerade in Zeiten einer vor allem für New York folgenreichen Finanzkrise nicht entgangen ist.
T. Boone Pickens traf sich aber nicht nur mit Bloomberg in Las Vegas, sondern hatte in derselben Woche auch schon mit John McCain und Barack Obama über seine ehrgeizigen Pläne gesprochen, unter anderem 22 Prozent des amerikanischen Energiebedarfs mit Windkraft zu erzeugen. Obama war das Treffen so wichtig, dass er sogar großzügig über Pickens politische Vergangenheit hinwegsah. 2004 hatte Pickens nämlich entscheidend zur Niederlage des demokratischen Präsidentschaftskandidaten John Kerry beigetragen, indem er drei Millionen Dollar in eine Kampagne investierte, die Kerrys Ruf als patriotischer Vietnam-Veteran erfolgreich schädigte.
Unübersehbar ist – angesichts beinahe chronisch krisenhafter Verhältnisse am Persischen Golf und der schwer kalkulierbaren Entwicklung der Rohölpreise – das Thema Energie jetzt schon im Wahlkampf zentral geworden und wird auch für den künftigen Präsidenten vermutlich ziemlich weit oben auf der Prioritätenliste stehen. So stritten sich die beiden Bewerber jüngst darum, ob es nicht geboten sei, die nationalen Energiereserven der USA anzuzapfen, und ob zur Behebung der Energiekrise – ungeachtet heftiger Einwände von Umweltschützern – vor den Küsten der USA nach Öl gebohrt werden soll. Die ökologischen Aspekte haben bei der ganzen Debatte ohnehin eher den Charakter, den ökonomischen und sicherheitspolitischen nationalen Interessen, um die es im Kern geht, ein wenig liberalen Schmuck und Chic zu verleihen.
Dies ist bei Obamas Plan »New Energy For America« nicht anders als bei dem ähnlich bedeutend klingenden Programm von McCain, dem »Lexington Project«. Ebenso ist bei Bloombergs Energieplänen für die USA, trotz allem grünen Vokabular, eine Ausweitung der Nutzung der Atomkraft selbstverständlich essenzieller Bestandteil. Als eines seiner Hauptargumente nennt Bloomberg denn auch, dass »unsere Freiheit durch die Abhängigkeit von fremdem Öl untergraben« werde. Ein weiteres Anliegen von ihm, bei dem es ebenfalls nicht um Ökologie, sondern um Ökonomie geht, ist die radikale Erneuerung des amerikanischen Energieversorgungsnetzes, dessen maroder Zustand zuletzt 2003 in New York und Umgebung zu einem 24stündigen Stromausfall geführt hatte und Bill Richardson, Energieminister unter Bill Clinton, zu der Einschätzung brachte: »Wir sind die größte Supermacht der Welt, aber wir haben ein Stromnetz auf Dritte-Welt-Niveau.«

Es ist also offenbar nicht nur der Wunsch nach Publicity, die »Mayor Mike« 18 Monate vor Ende seiner zweiten und letzten Amtszeit veranlasste, seine Energie-Kampagne zu starten. Vielmehr geht es um handfeste Probleme und Zwänge, denen die Vereinigten Staaten bei der Energiever- und -besorgung ausgesetzt sind und für die sich Bloomberg auf mittlere Sicht wohl als derjenige anbieten will, der auch auf nationaler Ebene die zeitgemäßen Lösungen parat hat. Für die in diesem Jahr anstehenden Wahlen hatte sich Bloomberg anfangs schon als möglicher Präsidentschafts­bewerber ins Gespräch gebracht. Auch sonst weiß der durch eine Wirtschaftsinformationsagentur – ganz bescheiden »Bloomberg LP« benannt – in den achtziger Jahren reich gewordene Politiker mit den Medien umzugehen und kann sich immer wieder als über den Parteien stehender moderner Macher präsentieren, dem es vor allem um das ökologische und gesundheitliche Wohlergehen der Bevölkerung zu tun sei.
Auf diese Weise hat der selbsterklärte Philanthrop in New York ein rigides Rauchverbot durchgesetzt und kürzlich zusammen mit Bill Gates ein 500 Millionen teures globales Anti-Rauch-Projekt vorgestellt. Im vergangenen Jahr erklärte er, in New York eine Million neue Bäume pflanzen lassen zu wollen, und schob auch noch den Plan hinterher, die ältesten Exemplare des bisherigen Baumbestands der Stadt zu klonen. Von einem Besuch in Paris brachte er die Idee mit, auch in New York ein öffentliches Fahrradmietprogramm, wie es die französische Hauptstadt anbietet, einzuführen, und an der John-Hopkins-Universität beteiligte er sich an der Gründung der Bloomberg School of Public Health. Seinen Mitarbeitern ließ »Captain Green«, wie er zuweilen genannt wird, kürzlich öffentlichkeitswirksam in ihren Büros digitale Uhren einbauen, die – zur Hebung der Arbeitsmoral – ihnen auf die Sekunde genau die noch verbleibende Zeit für Bloomberg in seinem bislang einzigen politischen Amt anzeigen, das er sich – vorbildhaft – mit dem symbolischen Gehalt von einem Dollar entgelten lässt.
Der Mann weiß sich in Szene zu setzen – und kann sich, obwohl ursprünglich ein Kandidat der Konservativen, mittlerweile im traditionell demokratischen New York auf eine große Koalition jenseits der Parteigrenzen stützen. Dass er bei seinen zahlreichen Projekten zuweilen auch scheitert – zum Beispiel bei seinem Versuch, eine Gebühr für die Autonutzung in Manhattan einzuführen –, hemmt ihn nicht in seinem Innovations­drang.
So hat Bloomberg zwar in Rekordzeit auch die Skyscraper-zu-Windkraftwerken-Idee schon wieder weitgehend zurückgenommen (»Wenn ein großer Affe auf die Idee kommt, das Empire State Building zu erklimmen, könnten ihm ja die Windräder in die Quere kommen«, hakte er diesen Punkt des Plans offenbar etwas beleidigt ab), aber sein Renommee als auf der Höhe der Zeit stehender Politiker, der an Ökologie und Ökonomie gleichermaßen zu denken weiß, konnte er durch seinen in den ganzen USA wahrgenommenen Auftritt in Las Vegas jedenfalls festigen. Und die nächste menschenfreundliche und medienadäquate Idee des Noch-Bürgermeisters von New York, der seinen eigenen Angaben zufolge aus seinem umfangreichen Vermögen schon 1,4 Milliarden Dollar für wohltätige Zwecke verwenden konnte, wird wohl nicht allzu lange auf sich warten lassen: Change, inhaltlich schwer fassbar, aber irgendwie gegen die kalte Interessenpolitik und Stagnation des Polit-Establishments gerichtet, steht auch bei ihm an erster Stelle.