Die Debatte um deutsche Opfer von Neonazis

Deutschland, du Opfer!

Rechte Gewalt richtet sich nicht nur gegen Ausländer. Zu behaupten, dass Deutsche vermehrt Opfer von Neonazis werden, ist dennoch eine verkürzte Sicht der Dinge.
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Wenn irgendwo ein Flugzeug abstürzt oder ein Tsunami 230 000 Menschen in den Tod spült, ist der Deutsche tief betroffen. So richtig Thrill bekommt die Geschichte aber erst, wenn am Abend die Tagesschau die Schlagzeile »Deutsche unter den Opfern« einblendet. Deren Zahl wird nicht gerundet, beim Tsunami in Südostasien 2004 starben ganz genau 552 Deutsche. Opfer ist der Deutsche besonders gern, denn Täter sein, das nervt, dafür wird er heute noch im Urlaub von den jeweiligen Einheimischen belästigt. Vorvergangene Woche erklärte der Deutsche Anwaltsverein, immer mehr Deutsche würden Opfer von rechtsextremer Gewalt. In der Presse wurde das so gedeutet, als schlügen Neonazis immer wahlloser zu. »Wahllos«, das mag der Deutsche nämlich auch nicht. Das ist so etwas wie »hinterhältig«. Wer den Schuss aus einem Meter Entfernung vorne in die Stirn bekommt, ist weniger zu bedauern, als wer aus einem Busch heraus in den Rücken getroffen wird. Letztlich steckt hinter diesen Reaktionen die psychologisch leicht zu erklärende Angst, selbst Opfer werden zu können.
Aber die Deutschen müssen sich nicht vor den Neonazis fürchten. Die Nazis meinen es gut mit ihnen. Das war nie anders. Hätte es den Krieg nicht gegeben oder wäre der anders verlaufen, die Deutschen hätten Hitler noch Jahrzehnte die Treue gehalten, schließlich sorgte er für Arbeitsplätze, mehr Urlaubstage, eine bessere soziale Absicherung, Autos, Autobahnen und Radiogeräte – für Deutsche. Was will man mehr?!
Je wahlloser ein Jugendlicher in sagen wir Brandenburg zuschlägt, desto geringer ausgeprägt ist seine nationalsozialistische Gesinnung. Der ideo­logisch geschulte Neonazi weiß genau, wen er treffen will: Ausländer, Juden, Zigeuner, Schwule, Linke und »Asoziale«. Wer nicht zu diesen gesellschaftlichen Gruppen gehört, muss sich vor Nazis kaum ängstigen. Schlägt ein jugendlicher Glatzkopf willkürlich einen deutschen Bürger zusammen, können wir konstatieren: Es war keine rechtsextreme Tat. Was nicht ausschließt, dass der Täter ein Rechtsextremist gewesen ist. Die Gewaltstatistik sagt über die Verbreitung rechtsextremer Gesinnung wenig aus. Die meisten Rassisten schlagen keine Ausländer zusammen. Rassisten sind sie trotzdem.
Dass es Jugendgewalt gibt, die sich willkürlich gegen alles und jeden entladen kann, darf nicht verharmlost werden. Es ist aber nicht dasselbe wie Nazi-Gewalt. Und um willkürliche Gewalt gegen Deutsche geht es ja in Wirklichkeit auch gar nicht. Der Deutsche Anwaltsverein stellte fest: »Waren im Jahre 2006 noch lediglich 21,62 Prozent der Opfer Deutsche, die ihrem Äußeren nach dem alternativen bzw. linken Spektrum zuzuordnen sind, sind es im laufenden Kalenderjahr bereits fast 57 Prozent.« Es gibt also mehr rechte Gewalttaten gegen politische Gegner und gegen Jugendliche, die sich der rechten Hegemonie in der Provinz entziehen. Das ist in der Tat besorgnis­erregend. Wahllos ist die Gewalt aber offensichtlich nicht. Nur insofern, als dass dort, wo es quasi keine Ausländer gibt, gewalttätige Nazis keine so große Auswahl an potenziellen Opfern haben und wohl deshalb vermehrt Linke, Alternative und HipHopper attackieren. Jedoch nicht deshalb, weil sie Deutsche sind, sondern weil sie ihnen als undeutsch gelten.