Wie wird man in der Türkei auf den Deutschtest vorbereitet?

Keine Ehe ohne Deutschkenntnisse

Seit August 2007 ist das neue Zuwanderungsgesetz in Kraft. Für den Nachzug von Heiratswilligen gilt, dass der Betreffende volljährig sein und »einfache Deutsch­kenntnisse« nachweisen muss. In der Türkei hat sich seitdem die Klientel der Sprachschulen in Großtädten geändert. Jetzt werden sie nicht mehr nur von Akademikern oder Geschäftsleuten besucht, sondern immer mehr von ungebildeten Menschen vom Land, die die Türkei verlassen möchten. Ausreichend vorbereitet werden Ausreisewillige dort kaum.

Für Nicht-EU-Bürger, die eine Familienzusammen­führung in Deutschland beantragen, gelten seit einem Jahr verschärfte Bedingungen. Bereits im Herkunftsland müssen sie einen Deutschtest bestehen, um einen Visumsantrag stellen zu können. In der Türkei ist durch diese neue Regelung die Zahl der erteilten Visa von 2 500 im ersten Quar­tal 2007 auf 1 500 im gleichen Zeitraum dieses Jahres zurückgegangen.

Eine erste Auswirkung dieser neuen Regelung ist, dass mehrere tausend Menschen derzeit in die innertürkische Migration getrieben werden. Für den Deutschkurs müssen nämlich zukünf­ti­ge Mitbürger zu ihren Verwandten nach Istanbul oder Ankara ziehen. Das bedeutet für viele Männer oft, dass sie neben dem Lernen zwölf Stunden arbeiten müssen, um den Kurs bezahlen zu können. Ein Sprachkurs beim Goethe-Institut kostet rund 1 000 Lira, was ca. 700 Euro entspricht. Ungefähr so viel verdient man in der Türkei als Unqualifizierter im Dienstleistungssektor, beispielsweise als Kellner. Viele Frauen werden häufig von ihren Verwandten in der Stadt als eine Art kostenlose Haushaltshilfe behandelt, sie werden stark belastet und ihnen fehlt aus diesem Grund die Zeit zum Lernen.
»In den ostanatolischen Provinzen gibt es nicht einmal genügend allgemeinbildende Schulen«, sagt Klara Blume von der privaten Sprachschule »Dialog«, die seit über zwanzig Jahren als Lehrerin in der Türkei arbeitet. Aus dieser Gegend stammen die meisten Leute, die nach Deutschland wollen. »In manchen Fällen kommt der Lehrer zweimal in der Woche vorbei und nicht selten unterrichtet er 50 und mehr Kinder der verschiedensten Altersstufen gleichzeitig«, erklärt sie. Sprachschulen gibt es dort nur selten, und wenn, bieten sie in der Regel Englisch an. Das Goethe-Institut hat zwar angekündigt, in Zukunft »mit lokalen Partnern« ein Netz von Sprach­schulen aufbauen zu wollen, aber das kann dauern, und es fragt sich sowieso, wie qualifizierte Lehrer in diese Gegenden gelockt werden sollen.
Die Sprachschüler, die eine Sprachprüfung auf dem Niveau »Start Deutsch 1« anstreben, sind in der Regel größtenteils ungebildet. Viele sind nur fünf Jahre zur Schule gegangen, andere gar nicht und einige Kurden können noch nicht einmal richtig Türkisch. Zwar hat die türkische Regierung 1997 die Schulpflicht von fünf auf acht Jahre erhöht, aber es werden landesweit nur 93 Prozent aller Kinder überhaupt eingeschult, in Ost­anatolien noch weniger. Deshalb gibt es immer noch viele Analphabeten, vor allem Frauen, denn die Männer werden spätestens bei der Armee alphabetisiert. Bildung ist in der Türkei ein kostbares Gut.

Der Ansturm der anatolischen Ausreisewilligen hat in den Istanbuler Sprachschulen eine Art Kulturschock ausgelöst. Die vorherige Kundschaft bestand hauptsächlich aus Akademikern, die für europäische Firmen arbeiten, oder aus Kindern, die von ihren Eltern zu Höchstleistungen getrieben werden. Als Sonderpädagogen seien die Sprachlehrer in der Regel nicht ausgebildet, sagt Blume: »einige missgönnen ihren Schülern die Auswanderung nach Deutschland geradezu und sind entsprechend zurückhaltend in ihren Bemühungen, sie auf die Prüfung vorzubereiten.« Leicht wird es den Auswanderungswilligen an ihrer ersten Station nicht gemacht. Immerhin werden sie schon einmal auf das vorbereitet, was sie später in Deutschland erwartet.
Das Istanbuler Goethe-Institut führt monatlich 325 Prüfungen durch, landesweit sind es durchschnittlich 1 515. Die Angst der Kandidaten ist groß, schließlich haben viele noch nie an einer Prüfung teilgenommen, schon gar nicht an einer, die über ihr zukünftiges Leben entscheidet. In dem ganzen Gedränge wird dann immer wieder deutlich, wie unterschiedlich die verschiedenen Sprachschulen auf die Prüfung vorbereiten. Es ist zu vermuten, dass manche darauf gar nicht speziell vorbereiten, und dass die Leute, die eine Familienzusammenführung beantragt haben, in die normalen Anfängerkurse gesetzt werden, und die Schulen einfach nur das zusätzliche Geld kassieren. Die Absolventen solcher Schulen können sich in den Prüfungen oft noch nicht einmal richtig vorstellen. Dementsprechend liegen die Durchfallquoten in den privaten Sprachschulen mit 46 Prozent deutlich höher als bei den Kursen des Goethe-Instituts, wo nach eigenen Angaben 74 Prozent der Leute die Prüfung bestehen. Allerdings lässt das Goethe-Institut seine schlechten Schüler gar nicht erst zu den Prüfungen zu und solche, die nach zwei Kursen keine Erfolgsaussichten haben, schickt man als hoffnungslose Fälle wieder nach Hause.
In einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion »Die Linke« vom November letzten Jahres heißt es wörtlich: »Gesetzgeberisches Ziel der Einführung des Sprachnachweises wie auch eines Mindestalters sind die Förderung der Integration und die Bekämpfung von Zwangsverheiratung, nicht die Bekämpfung des Familiennachzuges.« Und weiter: »Die mögliche positive Wirkung kann auch im bloßen Spracherwerb liegen, da er die Betroffenen bereits vor der Teilnahme am Integrationskurs in die Lage versetzen kann, sich aus ihren Zwangsehen zu befreien, z.B. indem sie auf Beratungsangebote aufmerksam werden.«
Die Bundesregierung bemüht die »Förderung der Integration« sowie die »Bekämpfung von Zwangsverheiratung« als Begründung für die Ein­führung des Sprachnachweises. Die »Förderung der Integration« mag ja noch angehen, obwohl unklar bleibt, warum diese Deutschkenntnisse im Heimatland erworben werden müssen. Fragwürdig ist dagegen die Begründung, mit den erworbenen Deutschkenntnissen könnten zwangsverheiratete Frauen Beratungsstellen aufsuchen. Erstens gibt es Beratungsstellen, in denen auch türkisch gesprochen wird, und zweitens reichen die erworbenen Deutschkenntnisse dazu längst nicht aus.

Die beste Methode, einen Umzug nach Deutsch­land gegen den eigenen Willen zu verhindern, besteht darin, einfach der deutschen Botschaft oder dem Konsulat mitzuteilen, dass man nicht will. Visumsablehnungen werden nämlich nicht begründet. Das ist allerdings nur im Falle von Zwangsehen ein Vorteil. Natürlich kann es auch passieren, dass jemand sich ein halbes Jahr bemüht hat, um endlich das Sprachzertifikat in Hän­den zu halten, um dann nach weiteren zwei Monaten Bearbeitungszeit einen negativen Bescheid zu erhalten – wegen Verdachts auf Zwangs­ehe oder, weil beide Partner arbeitslos sind. Die Bundesregierung hält diese unschönen Auswirkungen ihres Handelns, wenn sie sie denn kennt, für zumutbar. In dieser Haltung wird sie auch vom Bundesverfassungsgericht unterstützt, das kein Grundrecht auf Familienzusammenführung sieht. Der Europäische Gerichtshof sieht das zwar anders und sieht die Freiheiten von EU-Bürgern ein­geschränkt, wenn sie in einem anderen Mitglieds­staat kein normales Familienleben führen können, aber dieses Urteil gilt nur für EU-Bürger außerhalb ihres Herkunftslandes.