Die Lage nach dem Putsch in Mauretanien

Retter mit Schnauzbart

Nur 16 Monate konnte sich die erste gewählte Regierung Mauretaniens halten. Der Westen scheint sich mit den neuen Machthabern zu arrangieren.

In Uniform und unter einer Offiziersmütze, mit starrem Blick und nur selten lächelnd: So stellt sich der neue Herrscher Mauretaniens dar. Den obligatorischen Schnauzbart nicht zu vergessen, der die Oberlippe des Generals ziert. 52 Jahre ist Mohammed Ould Abdelaziz alt, der seit dem 6. August Staatsoberhaupt Mauretaniens ist.
An jenem Tag setzte er dem »mauretanischen Demokratiewunder«, das viele Kommentatoren in der jüngsten Vergangenheit beobachtet hatten, ein jähes Ende. »Verfassungswidrige« Handlungen der Regierung hätten ihn »gezwungen, die Macht zu übernehmen«, rechtfertigte sich Ould Abdelaziz. Sein Ziel sei die »Rettung der Republik«. Einen Termin für Neuwahlen nannte er bislang nicht.
Seine Vorgänger, die Putschisten, die fast genau drei Jahre vor Ould Abdelaziz die Macht über­nommen hatten, gehörten zu den wenigen Militärherrschern, die ihr Versprechen hielten. Sie lei­teten einen demokratischen »Übergangsprozess« ein, in dessen Verlauf sie die Abhaltung freier Wah­len sowie ihren Rückzug in die Kasernen ankündigten. Im März 2007 bestimmten die Einwohner zum ersten Mal auf demokratischem Wege einen Präsidenten; internationale Beobachter bestätigten, dass es keine Wahlmanipuationen gab. Tatsächlich übergaben die Offiziere die Macht an den gewählten zivilen Präsidenten, den nunmehr 70-jährigen Sidi Ould Cheikh Abdallahi.

Doch die demokratische Phase dauerte nur 16 Monate lang, Cheikh Abdallahi sitzt seit dem 6. Au­gust als Gefangener der Militärs, die ihn stürzten, im Gästepavillon des Kongresspalastes in der Hauptstadt Nouakchott ein. Zwar wird er dem Vernehmen nach gut behandelt und hat ein Recht auf ärztliche Behandlung, darf aber ansonsten keinerlei Kontakte nach draußen knüpfen und das Gebäude nicht verlassen.
Nur vermeintlich lief der Demokratisierungsprozess problemlos ab, hinter den Kulissen spitzten sich die Konflikte zu. Viele Offiziere forderten Mitsprache- und Kontrollrechte gegenüber der gewählten, aus Zivilisten bestehenden Regierung. General Ould Abdelaziz, der 2005 zu den führenden Putschisten gehörte, drängte nun auf einen Rücktritt des Präsidenten. Denn dieser versuchte seiner Ansicht nach, die Macht der Generäle zu sehr einzuschränken.
Obwohl arabisch-nationalistische und islamistische Ideologien in Politik und Armee eine Rolle spielen, scheint es vor allem um die Verteilung von Macht und Pfründen zu gehen. Die Generäle repräsentieren die Führung von Bevölkerungsgruppen und Stammesverbänden, die das politische Leben in Mauretanien noch in hohem Maße bestimmen. General Ould Abdelaziz etwa gehört dem mächtigen Stammesverband der Ouled Besbah an, die als »Händlervolk« gelten.
Der Kon­flikt zwischen einigen Generälen und Präsident Cheikh Abdallahi andererseits spitzte sich im Laufe des Sommers zu. Für den 10. August hatten die oppositionellen Offiziere eine »Massendemonstration« gegen den Präsidenten geplant. Doch vier Tage vorher unterzeichnete Cheikh Abdallahi ein Dekret, das die Amtsenthebung von vier führenden Generälen verfügte, unter ihnen Ould Abdelaziz. Dies löste noch am gleichen Tag den Umsturz aus. Es kam zwar zu Gegendemonstrationen, die verboten und von der Polizei oder dem Militär aufgelöst wurden. Es überwiegen jedoch politische Passivität und Apa­thie, und die Putschisten sind nicht isoliert. 41 von 59 politischen Parteien, die im Lande existieren, unterstützen die neue Militärregierung an. Auch Mitglieder der früheren Regierung, vor allem der bisherigen Präsidentenpartei PNDD (Nationaler Pakt für Demokratie und Entwicklung), liefen zu den Generälen über.

Einhellig hingegen war die Kritik der »internatio­nalen Gemeinschaft«. Sowohl Frankreich, die Europäische Union und die USA als auch die Arabische Liga und die Afrikanische Union forderten von den Putschisten eine schnelle »Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung«. Dies würde nicht nur bedeuten, den gestürzten Präsidenten freizulassen, sondern auch, ihm das Amt zurückzugeben. Oder zumindest bald erneut freie Wahlen abzuhalten. Putschpräsident Ould Abdelaziz möchte sich auf keinen Zeitplan festlegen. In seiner Mitte August gehaltenen Ansprache an die Nation bezeichnete er langfristige Aufgaben wie Armutsbekämpfung, Zurückdrängung des Terrorismus und eine Reform des Justizwesens als politische Ziele – möglicherweise ein Hinweis da­rauf, dass Ould Abdelaziz länger zu regieren gedenkt.
Die EU, Frankreich und die USA lassen die mau­retanische Regierung spüren, in welchen materiellen Abhängigkeitsverhältnissen sich ihr Land befindet und welch geringen Spielraum sie daher hat. Die EU droht derzeit etwa damit, ein Fischereiabkommen auszusetzen, das Mauretanien jährlich rund 80 Millionen Euro aus Brüssel einbringt. Bei einem Staatshaushalt von jährlich circa 650 Millionen Euro wäre das ein erheb­licher Verlust. Über die Hälfte der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Sollte sich dieses Problem noch verschärfen, würde jede Regierung schnell äußerst unpopulär werden und dies auch zu spüren bekommen.
Doch die westlichen Großmächte scheinen von ihren Vorhaben, wirtschaftlichen Druck zur »Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung« auszuüben, teilweise schon wieder abzurücken. Das gewöhnlich gut unterrichtete, in Paris erscheinende Wochenmagazin Jeune Afrique suggeriert, die EU-Staaten könnten sich mit einer Freilassung des gestürzten Präsidenten zufrieden geben. Ferner berichtet das Magazin über diskrete Gespräche, die Mittelsmänner und Funktionsträger des neuen mauretanischen ­Regimes bereits mit französischen Politikern führ­ten.
Schließlich, so die Analyse von Jeune Afrique, sei das Interesse an einer Wiedereinsetzung des gestürzten Präsidenten Cheikh Abdallahi gering. Jihadistische Gruppen nutzen die Wüste Mauretaniens als Gefechtsfeld für ihre Terrorkampagne im Maghreb und in der Sahelzone, die USA haben dort ihrerseits eine neue Front im »Krieg gegen den Terror« eröffnet (Jungle World 03/08).

Dem gestürzten Präsidenten wird vorgeworfen, zu milde mit den Anhängern des politischen Islam zu verfahren. Als Indiz dafür gilt, dass die ten­denziell islamistische Partei RNRD (Nationale Sammlung für die Erneuerung der Demokratie) unter Jemil Ould Mansour seit Mai dieses Jahres mit zwei Ministern an der Regierungskoalition beteiligt war.
Cheikh Abdallahis autoritärer Amtsvorgänger Ould Taya hatte die Islamisten brutal unterdrückt. Doch im Zuge des Demokratisierungsprozesses wurden auch Islamisten geduldet, sofern sie nicht bewaffnet kämpften. General Ould Abdelaziz verspricht nun, mit einer Politik der harten Hand gegen Islamisten und Jihadisten vorzugehen. Das könnte ihm das Wohlwollen oder zumindest das Schweigen des Westens einbringen, selbst wenn die nächsten Wahlen noch etwas auf sich warten lassen sollten.