Nicht heterosexuelle Lehrerinnen und Lehrer

Schwule machen Schule

Schwul – das ist auf vielen Schulhöfen ein beliebtes Schimpfwort. Wie gestaltet sich da der Schulalltag für Lehrerinnen und Lehrer, die bisexuell, homosexuell oder Transgender sind?

Dass Bundesbürger nicht viel für Homosexuelle übrig haben, zeigt sich nicht nur an dem beliebten Schimpfwort »schwule Sau«. Lesben, Schwule, Transgender und Bisexuelle werden belächelt, ignoriert und im schlimmsten Fall Opfer von Gewalt. Ein Ort, an dem sich Diskriminierte und Diskriminierende zwangsläufig begegnen, ist die Schule: Ein schwuler Lehrer oder eine lesbische Lehrerin trifft z.B. auf eine Klasse, deren Schüler homophob sind. Statistisch gesehen ist ein solches Zusammentreffen wahrscheinlich: 61 Prozent der deutschen Jugendlichen zwischen zwölf und 17 Jahren lehnen Homosexuelle ab, wie das Marktforschungsinstitut »Iconkids & Youth« 2002 herausfand. Auch eine Studie der Lesben- und Schwulenverbände in Deutschland (LSVD) aus dem Jahr 2007 wies auf das große Maß an Homo­phobie unter Jugendlichen hin.

Es ist also kein Wunder, dass Lehrerinnen und Lehrer, die bisexuell, homosexuell oder Transgender sind, es sich gut überlegen, ob sie sich outen sollen. Das Argument, dass die eigene ­sexuelle Orientierung niemanden und erst recht nicht die Schüler etwas angehe, lässt Guido ­Mayus von der Arbeitsgemeinschaft Schwule Leh­rer der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) nicht gelten. »Bei den hetero­sexu­el­len Kollegen ist es ja auch nicht Privat­sache, die erzählen doch auch, wann immer sie können, dass sie verheiratet sind, Kinder haben, vom letzten Familienurlaub«, sagt er. Die Heterosexualität als Norm stelle eben niemand so schnell in Frage.
Erfüllen Lehrer diese Norm nicht, kann das mit einem Rausschmiss enden. So erging es dieses Jahr einem Transgender-Lehrer an einer Privatschule. »Er hat die Angleichung von Frau zu Mann vornehmen lassen, optisch und mit Medikamenten«, berichtet Mayus, »er wollte damit offen umgehen, zumal er langsam einen Bart bekam und klar war, dass irgendwann Fragen von den Schülern kommen würden.« Die Geschäftsführung verbot das Outing und drohte mit Konsequenzen. Am Ende kündigte sie dem Lehrer. »Natürlich nicht mit dieser Begründung«, sagt Mayus, »das liegt offiziell in solchen Fällen immer an etwas anderem.« Sonst würde die Kün­digung gegen das Allgemeine Gleichbehandlungs­gesetz verstoßen und wäre ungültig.
Gründe für ein Outing gibt es. Für Ulf Höpfner von der AG Schwule Lehrer geht es darum, »dass man den Schülern nicht ständig etwas vorspielen muss«. Diese hätten ein Gespür dafür, ob ein Mensch Probleme mit sich herumschleppt. Geoutete Lehrer können sich außerdem besser gegenseitig unterstützen. »Bei mir an der Schule bin ich der einzige offen schwule Lehrer. Es gibt zwar noch andere, die outen sich aber nicht. Für mich wäre es einfacher, wenn ich nur einer von vielen wäre«, findet Höpfner. Dafür muss man aber nach dem Outing mit homophoben Sprüchen rechnen. Im besten Fall sind geoutete Lehrer eine große Hilfe für schwule Schüler, die es auch nicht gerade leicht haben in der Schule.
Dabei kommt es auch darauf an, wer sich wo outen möchte. Auf dem Land ist das Klima meist noch intoleranter als in der Stadt, Norddeutschland gilt als liberaler als der Süden, und auch die Schulform macht einen Unterschied aus. »Haupt­schüler sind sehr viel offener, was das Interesse am Privatleben der Lehrer angeht«, sagt Guido Mayus, »am Gymnasium ist man da etwas diskre­ter.« Auch sind die Schüler unterschiedlich into­le­rant. So lässt sich der Zusammenhang zwischen der Herkunft und dem Maß der Homophobie, der in der Studie im Auftrag des LSVD im Jahr 2006 belegt wurde, auch auf den Schulhöfen und im Klassenzimmer beobachten: Während 79 Prozent der türkisch-stämmigen Jungen bejahten, dass sie es abstoßend fänden, wenn sich zwei schwule Männer auf der Straße küssen, stimmten 76 Prozent der russisch-stämmigen Jungen zu und 48 Prozent der Jungen ohne Migrationshintergrund. Guido Mayus ergänzt: »Der Migra­tionshintergrund alleine ist aber nicht entscheidend, vor allem spielt die Religiösität eine große Rolle. Die Verbindung von Religion und Migrationshintergrund führt dann besonders bei Jugendlichen aus islamischen Ländern zu sehr stark verbreiteter Homophobie.« Jungen sind zudem schwulenfeindlicher als Mädchen – auf die gleiche Frage antworteten 60 Prozent der türkisch-stämmigen, 64 Prozent der russisch-stämmigen und zehn Prozent der Mädchen ohne Migrationshintergrund mit »ja«.
Aber auch das Kollegium freut sich nicht immer über einen schwulen Mitarbeiter. »Zunächst stiftet man durch sein Outing erst mal ganz viel Verwirrung«, sagt Guido Mayus, »viele Kollegen kennen einfach niemanden, der schwul oder lesbisch ist, und wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen.« Vorbildlich in Sachen institutionalisierter Diskriminierung sind christliche Einrichtungen. Nach Angaben der GEW droht die katholische Kirche homosexuellen Mitarbeitern, die ihre Lebenspartner heiraten wollen, mit der Kün­digung. So wurde eine Kindergärtnerin entlassen, nachdem sie ihre Freundin geheiratet hatte. Vorher hatte sie zehn Jahre mit ihr zusammengelebt, ohne dass es jemanden gestört hätte. Auch an islamischen Privatschulen hat es schon Entlassungen wegen Homosexualität gegeben.
Dann gibt es noch die Eltern, die Angst um ihre Sprösslinge haben. Solche Erfahrungen hat Ulf Höpfner nach seinem Outing aber nicht gemacht. »Viele Kinder, die wissen, dass ihre Eltern darauf negativ reagieren würden, erzählen es ihnen erst gar nicht. Ich glaube schon, dass es bei der Mehrheit angekommen ist, dass es zumindest nicht po­litisch korrekt ist, sich öffentlich schwulenfeindlich zu äußern«, sagt der Lehrer.
Doch manchmal verhindern auch Politiker Aufklärung über Homosexualität. So wollte Barbara Sommer (CDU), die Ministerin für Schule und Weiterbildung in Nordrhein-Westfalen, 2005 die Herausgabe einer »Homo-Fibel« (Bild-Zeitung) für die Schulen unterbinden, die Tipps »zum The­ma Lesbisch- bzw. Schwul­sein und Bisexualität in multiethnischen Kontexten« enthielt. Sommers Sprecher sagte damals: »Wir dürfen unseren Kindern nicht das Gefühl geben, dass schwul oder lesbisch zu sein, bald Pflicht wird.« Als anstößig empfand das Ministerium unter anderem den Satz: »Mein Schatz, schwul zu sein, ist ganz normal.«

Dabei könnte gerade eine fächerübergreifende, vernünftige Sexualaufklärung in der Schule dabei helfen, Vorurteile abzubauen. Wirkliches Interesse scheint aber zumindest die Kultusministerkonferenz (KMK) nicht zu haben: Die »Empfehlungen für Sexualerziehung in der Schule« stammen von 1968 – aus einer Zeit, als männliche Homosexualität noch eine Straftat war und schwu­le Lehrer ihre Entlassung zu fürchten hatten. Die Bundesländer verändern jedoch allmählich ihre Politik. So rät der Berliner Senat zum Beispiel mittlerweile zum Outing: »Offen homosexuell lebende Lehrkräfte und deren Akzeptanz im Kollegium tragen zu einer schulischen Atmo­sphäre bei, die die sexuelle Identitätsfindung von Schülerinnen und Schülern erleichtert.«
In den Schulbüchern wird das Thema Homosexualität kaum berücksichtigt. Man findet zudem tatsächlich noch Stichworte wie »abweichen­des Sexualverhalten«, »sexuelles Fehlverhalten«, »Perversion«, wenn es um Homosexualität geht. Die Schulbuchverlage sind der GEW zufolge zwar offen für Änderungen. Um in möglichst vielen Bun­desländern zugelassen zu werden, nehmen sie das Thema aber nicht auf, da es nicht überall »rahmenplankonform« ist. Und so kann es wohl noch lange dauern, bis »im Englischbuch Mary ihren schwulen Opa besucht, Peter sich die Gay Games im Fernsehen anschaut und Sarah sich in die beste Freundin verliebt«, wie die Gewerkschaft vorschlägt.