Die Science-Fiction-Filme »Babylon A.D.« und »Weiße Lilien«

Zukunft war schon

»Babylon A.D.« und »Weiße Lilien« – gleich zwei Science-Fiction-Filme, die jetzt starten, verhandeln das Kommende im Stil der Vergangenheit.

Die gefilmte Zukunft bringt meist nichts Gutes. Im Kino ist die nega­tive Utopie die Regel. Wenn es darum geht, wie wir leben wollen, malen die meisten Regisseure Krieg, Massenhysterie und Klima­wandel an die Leinwand. Zwei neue Filme extra­polieren nun unsere Gegenwart in die »nicht all­zu entfernte Zukunft«, wie die Verleiher mitteilen, und sie tun es, wie es unter­schied­­licher nicht sein könnte: »Babylon A.D.«, der neue Film des französischen Regisseurs Matthieu Kassowitz, besetzt mit Vin Diesel und Charlotte Ramp­ling und Gérard Depardieu. Ganz klar: Hier soll das ganz große Kino inszeniert werden. Kassowitz setzt vor allem auf ­Bewegung. Die Helden haben eine Strecke von gut 10 000 Kilometer in gut eineinhalb Stunden zu bewältigen: Aus einem diffus zerstörten Endzeit-Wladiwostok müssen sie per verrottetem Auto, verrostetem Hubschrauber und löchrigem Atom-U-Boot in ein diffus gebautes Endzeit-New-York gelangen.
Der andere Film heißt »Weiße Lilien«, stammt von »Totale-Therapie«-Regisseur Christian Frosch, Wohnsitz Berlin, und ist, den hiesigen – deutschen – Verhältnissen angepasst, mit Thea­terprominenz angereichert: Martin Wuttke, Birgit Hobmeier und Johanna Wokalek spielen die Besatzung einer »Neustadt« genannten Sied­lung irgendwo im deutschsprachigen Raum, in der die meisten Prozesse automatisiert sind und die Menschen danach streben, ein paar Stock­­werke höher zu wohnen – ab der elften Etage beginnt die bessere Gesellschaft. Ganz oben wohnen die Top-Dogs mit Dachgarten und Schwimmbad.
Das erzählerische Mittel von »Weiße Lilien« ist der Stillstand. In der Wohnmaschine benehmen sich die Insassen wie festgefroren. Jede Lebensregung wird erfasst, man landet schnell im Knast oder zumindest in der hausinternen Schleierfahndung. Ein Außen, in dem sich die Figuren tummeln könnten, scheint es nicht zu geben. In der Zukunft Christian Froschs stehen wir im Flur, unter der Dusche ohne Wasser, oder wir gucken aus dem Fenster. Charakteristisch ist, dass der Architekt (Peter Fitz) von ditt Janze im Rollstuhl sitzt.
Auf der Suche nach dem ultimativen Bild mise­rabler Verhältnisse sind Kassowitz wie Frosch gleichermaßen, mit völlig unterschiedlichen Mitteln zwar, aber mit sehr ähnlichen Ergebnissen.
Kassowitz orientiert sich in seiner Verfilmung des Romans »Babylon Babies« von Maurice Dantec an Vorbildern wie »Riddick« oder »Total Recall«. Toorop (Diesel), ein strammer Söldner, erhält von einem mafiösen Bund den Auftrag, die zerbrechliche junge Frau Aurora (Mé­la­nie Thierry) aus Sibirien nach New York zu brin­gen und sie dort reichen, religiösen Spinnern zu überstellen.
Die Welt Toorops ist der Weltbürgerkrieg. Ohne automatische Waffe vor die Haustür zu gehen, ist nicht ratsam. Gefressen wird, was auf die Stra­ße kommt. Warlords kontrollieren ihre Abschnitte in luxuriös eingerichteten Schüt­zen­panzern. Es herrscht das Recht des Stärkeren, zu denen Toorop dank seines Darstellers eindeu­tig gehört. Man schlägt sich sprich­wörtlich durch, die öffentliche Ordnung existiert vielleicht in Form eines Spezialkommandos, die gängige Landschaftsgestaltung ist der Bombentrichter. Überwachungskameras und digitale Ortung zählen zur Ausrüstung jedes Einzelnen, will er überleben. Toorops Welt ist eine Nacht, in der es ununterbrochen regnet. Dreck ist der alles beherrschende Farbton der Saison.
Wie so viele Endzeitstreifen macht »Babylon A.D.« das persönliche Glück an der Aussicht auf gelungene Fortpflanzung fest. Die künftige Gegenwart ist grausam, aber das Kind ist Hoffnung. Der Glaube ans Sakrale spielt in diesem Film dann auch eine wichtige Rolle: Aurora kommt aus dem Kloster und hat mit »Schwester Rebecca« (Michelle Yeoh) eine handfeste Beschützerin. Und im Bauch hat sie einen handfesten, geklonten Messias.
Düster-monumental, eine große Menge Spe­zial­effekte und rasante Action-Sequenzen, so möchte Kassowitz sein Sujet in den Griff kriegen. Verkrampft ist er auf der Jagd nach der ­einen Einstellung, die seinen Film bedeutend macht. Was kann es sein, was eine klaustro­pho­bische Zukunft auszeichnet, die vollgestopft ist mit Manipulationen, dem ewigen Thema der künstlichen Nachkommenschaft: Ist der Held nicht schon selbst ein Klon, der sich mittels seiner vielen Tätowierungen in der Welt voller Verwirrung wenigstens vor dem Spiegel noch selbst erkennt? Oder nur ein Kraft-Clown?
Vin Diesel ist gesetzt als Endzeitkiller, dessen Körper schon ohne jede Regung eindrucksvolle Bilder produziert. Man ist verwundert, dass Kassowitz mit diesem Paradeobjekt für die Kamera überhaupt nichts gelingt. Extrem bemüht, man würd’ gern zeigen und kann nicht. Wie schön, dass der Regisseur, der immerhin mit seinem Erstling »Hass« eine eigene Bildsprache für das Frankreich der Vorstädte erfand, sogar zugibt, dass er mit seinem Hauptdarsteller wenig anzufangen weiß. In einem Interview unterstellt er ihm divenhafte Hollywood-Allüren und gibt freimütig Einblick in die Produktionslaune: »Wir haben uns zusammen­gerauft.«
Dass ein Regisseur schlecht über seine Darsteller redet, kommt wirklich selten vor. Das muss ja ein toller Dreh gewesen sein.
Das ultimative Bild – in seiner Not ist Kassowitz nicht wählerisch: Auf ihrer Reise landen Toorop und Aurora auf einem Markt, in einem engen Eisenkäfig sehen sie geklonte sibirische Tiger im Matsch sitzen. Wenige Einstellungen später befinden sie sich in einem illegalen Box-Stadion. Der Boxer erwartet seinen Gegner in – na – einem engen Käfig. In einer durchtechnisier­ten Welt sieht der Gegenentwurf so aus: scheinbar natürliche Kraft, eingesperrt hinter fordistischen Gitterstäben. Dem diffusen 21. Jahrhundert wird das stramme 19. der Körperkraft entgegengehalten. Kassowitz verfilmt hier nicht Dantecs Roman, sondern Rilkes Panther.
Gleich auf Gropius, Beuys und Lynch beruft sich Christian Frosch, der mit seiner theater­affinen Entourage ebenfalls die ultimative Chiffre für die drohende Zukunft, das heißt: für die miserable Gegenwart sucht. Soll es der weiße Wohnblock sein, die homogene Siedlung? Der grüne Flur?
Gleich zu Beginn von »Weiße Lilien« der große Versuch: Eine Frau springt vom Balkon und landet in der titelgebenden Fauna. Lange verharrt die Kamera auf den Blutstropfen, die auf den weißen Blütenblättern kleben: Der Mensch bringt sich um und macht dabei die Ordnung dreckig.
Was sich anschließt, ist ein Gemisch aus ­Seventies-Fiction-Optik und Verschwörungsgeschichte. Wer ist wer? Das wäre schön zu wissen. Aber die Menschen, die in Neustadt leben, sind schon hoffnungslos fragmentiert. Die Hauptfigur Hanna/Anna fällt mal zusammen und mal auseinander. Die Darstellerinnen Birgit Hobmeier und Johanna Wokalek schauen bedeutungsvoll in die Kamera. »Weiße Lilien« ist Gesellschaftskritik im Stil der Tradition – Johannas Welt ist eine weiße, cleane Hölle, in der immer gutes Wetter ist. Bilder von Hoch­haus­siedlungen als bewusstseinsbildende Maßnahme entnehme man bitte Schulbüchern mit Erscheinungsdatum vor 1980.
Die zur Darstellung der Seelenlage gern eingenommene Blickhaltung: der 20-Geschosser an sich und aus der Totalen im Gruppenbild. Die unbeweglichen Gesichter der Security-Mitarbeiter und der Call-Center-Agenten. Das neurotische Gebaren der Nachbarn. Die Sexsucht der Ehemänner. Die leidlich bekannte Inneneinrichtung einer sich auf dem Abstellgleis wähnen­den Mittelschicht. Als Reaktionsmuster präferiert man nihilistische Aktionen: Schon hat Han­nah die Knarre in den Händen und ballert ihren Quälgeistern die Eier weg – so konsequent, wie das seit Valerie Solanas selig niemand mehr tat.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Dieser Film ist gedreht worden, damit man die nackten Brüste von Brigitte Hobmeier sieht. Hobmeiers Brüste unter der Dusche, die Brüste betastet von den entseelten Stasi-Händen der Privatpolizisten, die Brüste geknetet von der Hauptfigur selbst auf dem Weg in die Entseelung.
Hannahs Brust, das ist die Unschuld der Natur, die sich hier verzweifelt dem zivilisatorischen Angriff qua betatschender Rückversicherung entziehen möchte. Nimm sie in die Hand, möchte man Hannah zurufen, und verpiss dich doch endlich aus diesem untauglichen Bild der grausamen Zukunft.
Da örtliche Veränderung in »Weiße Lilien« aber nicht anders gedacht werden kann als per Sprung in die Tiefe, wird man sich das schenken müssen. Hier gibt’s nur einen Ausgang, und da steht »Abwärts« drauf. Das beschreibt Problembewusstsein, nicht Lösungen.
Bedeutungsschwer schauen die Schauspieler sich und den Zuschauer an. Das war doch jetzt der finale Bildschuss, oder?
Das Schlimmste an den Zukunftsvisionen im Film scheint zu sein, dass das Kino nur schlech­te Symbole schafft für die Überwindung der Verhältnisse, die es zu kritisieren vorgibt. Von Über­windung der Symbole ganz zu schweigen.
Egal ob Hollywood oder German Independent: Zivilisationskritik per gefilmter Zukunft, das bedeutet leider viel zu oft: retro-mäßige biologistisch-messianische Wunschvorstellungen von der Natur. Und damit eine romantisierte Vergangenheit.

»Babylon A.D.« (USA/F 2008), Regie: Matthieu Kassowitz. Darsteller: Vin Diesel, Michelle Yeoh, Mélanie Thierry, Gérard Depardieu, Charlotte Rampling
Start: 11. September

»Weiße Lilien« (A, D, Lux, H 2007), Regie: Christian Frosch. Darsteller: Brigitte Hobmeier, Johanna Wokalek, Martin Wuttke
Start: 11. September