Die kuriosen Aufmärsche deutscher »Lebensschützer«

Jeder nur ein Kreuz!

Mit kuriosen Aufmärschen setzen sich selbsternannte Lebensschützer für ihre Ziele ein: Frauen sollen zurück an den Herd und die Mutterschaft zum Beruf machen.

Ein seltsamer Aufzug wird sich, geht alles nach dem Willen der Veranstalter, am 20. September durch Berlin bewegen. Einige hundert schwarz ge­kleidete, schweigende Menschen werden weiße Kreuze vom Platz vor dem Roten Rathaus zur St. Hed­wigs-Kathedrale schleppen. Nach eigener Aussage tun sie das, um »für das Leben« zu demonstrieren. Dieses vom Bundesverband für Lebensrecht e.V. veranstaltete Spektakel findet alle zwei Jahre statt. Der Aufmarsch der selbsternann­ten Lebensschützer könnte als eine weitere Berliner Kuriosität und Attraktion für Touristen betrachtet werden, wären die »Lebensschützer« nicht so gut organisiert und wäre ihr Ansinnen nicht so ekelhaft: Sie wollen den Paragrafen 218 verschär­fen und die Frau in ihre angeblich traditionelle Mutterrolle zurückdrängen.

Dieses Jahr haben sich besondere Gäste für den Trauermarsch angemeldet: Die im Januar ge­grün­dete Partei für Arbeit, Umwelt und Familie (AUF), der das bisherige Vorgehen der christlichen Rech­ten und besonders der Pro-Life-Bewegung in Deutsch­land zu lasch ist, wird teilnehmen. Bisher sind hierzulande beispielsweise »Gehsteigberatungen« noch wenig verbreitet. Sie finden vor allem in München statt, wo nur 100 Meter von ei­ner Klinik entfernt, in der Abtreibungen vorgenommen werden, ein »Lebenszentrum« eingerich­tet wurde, in das abtreibungswillige Frauen gelotst werden sollen.
Die neue Partei will sich die Kampagnen und die Öffentlichkeitsarbeit evangelikaler Gruppen in Südamerika, Afrika und den USA zum Vorbild neh­men. Dort beschränken sich die »Lebensschützer« bekanntermaßen nicht darauf, zu demonstrieren und zu beraten. Sie neigen vielmehr zu auch gewaltsamen Blockaden von Kliniken, in de­nen Schwangerschaften unterbrochen werden. Einzelne Anhänger schrecken auch nicht davor zu­rück, in den Kliniken arbeitende Ärzte anzugreifen oder sogar zu ermorden.
Jedoch hat die neue Partei nicht nur evangelikale Rechte als Zielgruppe auserkoren. Vielmehr sollen sich in ihr Gläubige aller Strömungen, die sich einer konservativen, an christlichen Werten orientierten Politik verpflichtet fühlen, engagieren können. In diesem Sinne versteht sich die AUF-Partei als »Sammlungsbewegung bekennender Christen«. Teile der Partei Bibeltreuer Christen (PBC), der Deutschen Zentrumspartei und der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP), darunter auch frühere Bundesvorstandsmitglieder, sind zur AUF-Partei übergetreten. Nicht nur von einzelnen CDU-Politikern und Eva Herman, sondern auch von der Jungen Freiheit wurde die Partei im Februar dieses Jahres als »neue Kraft« begrüßt. Die extrem rechte Wochenzeitung ging in einem Artikel wohlwollend auf die Neugründung ein, worauf die Partei auf ihrer Webseite hinweist.

Die Familienpolitik der AUF-Partei wird in großem Maß von Christa Meves bestimmt, einer Psychotherapeutin und Autorin aus Uelzen in Nieder­sachsen, die die bisherige Emanzipation der Frau am liebsten rückgängig machen würde. So fordert die Partei ein »Erziehungsgehalt«, um dem politischen Ziel »Mutter als Beruf« näher zu kommen. Betätigten sich Frauen wieder vermehrt im Haus­halt, würde der konstatierten »seelischen Schwächung der jungen Generation« und der »wachsenden Instabilität der Familien« entgegengewirkt.
Die Ansprüche »moderner Frauen« auf Berufsausübung und Gleichberechtigung werden zwar als bestehende Tatsachen anerkannt, jedoch als »bedenklich« bezeichnet: »Glück für den Einzelnen und Wohlergehen der Gesellschaft« könne es nur geben, wenn man sich wieder auf die »Vorgaben« besinne, die nach Ansicht der Partei »in der Spezies Mensch nun einmal existieren«. Die Berufsausbildung zur »Zukunftsanwältin«, sprich zur Mutter, löse damit mehrere Probleme auf ein­mal: Die »Bevölkerungsimplosion« würde aufgehalten, die Zahl der Abtreibungen zurückgehen, die Arbeitslosigkeit reduziert, und junge Mädchen, die als Hilfe für die jungen Mütter ein freiwilliges, soziales Jahr ableisten, würden wiederum schnell selbst junge Mütter, da der Umgang mit Babys der »Hormonforschung« zufolge den Wunsch nach einem eigenen Kind verstärke. Es soll also »zurück an den Herd« gehen, in modernisierter Form: mit Gehalt und gesellschaftlicher Anerkennung.
Die öffentlichen Auftritte der christlichen Rech­ten verlaufen jedoch nicht immer nach Plan. Vor allem queere, antifaschistische und feministische Gruppen protestieren gegen sie. Ein Seminar, das für das im Mai in Bremen stattgefundene »Christival« angekündigt war und »Therapieangebote für Homosexuelle« anbieten wollte, musste wegen des großen öffentlichen Unmuts aus dem Pro­gramm gestrichen werden. Protest richtete sich damals auch gegen die Teilnahme von Gruppen, die unter dem Vorwand, eine Schwangerschaftskonfliktberatung anzubieten, Frauen unter allen Umständen von einer Abtreibung abbringen wollen.
Auch eine am 25. Juli in Salzburg in Österreich abgehaltene Demonstration, die wie demnächst in Berlin unter dem Motto »1 000 Kreuze für das Leben« stand, verlief nicht ungestört. Auf die Kreuzträger regnete es Kondome, sie mussten sich Sprechchöre anhören und unter einem an einer Brücke befestigten Transparent mit der Aufschrift »Hölle der Vernunft« durchlaufen. Das dürfte so manchem selbsternannten Lebensschüt­zer die besinnliche Trauerstimmung verdorben haben.

In Berlin soll nicht nur ein Schweigemarsch stattfinden, im Vorprogramm sollen christliche Lieder geträllert, Frauen, denen nach eigenen Angaben Gott aus einer schweren Krise nach der Abtreibung geholfen hat, öffentliche Bekenntnisse ablegen. Nach dem Umzug soll ein Gedenkgottesdienst abgehalten werden. Ein Bündnis Berliner und auswärtiger Gruppen will mit einer Gegenkundgebung für ein von den christlichen Fundamentalisten sicher unerwünschtes Rahmen­programm sorgen. Da hilft auch kein Beten.
In München sollen am 4. Oktober die Kreuze verteilt werden. Die »Freien Nationalisten München« haben ihre Teilnahme angekündigt. Die Ver­anstalter weisen zwar darauf hin, dass der Marsch als »Gebetsprozession« zu betrachten sei, fühlen sich aber ansonsten zu keiner Distanzierung von den Nazis veranlasst. Schließlich sei, wie man in der Lebensschützer-Zeitung Lebensforum nachlesen kann, der größte Skandal an Abtreibungen, dass »das Volk im Mutterleib stirbt«.

Mehr Informationen zur Gegenkundgebung in Berlin: http://no218nofundis.wordpress.com/