Die Berliner Ausländerbehörde droht »lernunwilligen« migrantischen Schülern mit der Abschiebung

Schule ist für Muschis

Die Berliner Ausländerbehörde hat lern­un­willigen migrantischen Jugendlichen die Abschiebung angedroht. In der aufgeregten Diskussion über die bildungspolitische Zwangsmaßnahme werden die wirklichen Probleme außer Acht gelassen.

Tarkan* stammt aus einer kaukasischen Republik. Seine Familie lebte illegal in Russland und besorgte den Kindern in dieser Zeit einen Privatlehrer. In Berlin fiel es dem Jungen schwer, sich an den regulären Unterricht zu gewöhnen. Er flog von der Schule. Mittlerweile ist er über 20 und wird von einem Bildungsträger vorbereitet, sich doch noch einmal an den Hauptschulabschluss heranzuwagen.

Tarkan ist intelligent, zu Frauen herablassend-charmant und steht ungern früh auf. Anweisungen sind ihm zuwider. Lehrer treibt er mit Nichtbeachtung in den Wahnsinn, Lehrerinnen mit Kom­plimenten. Wenn Tarkan zur Ausländerbehörde gehen muss, wird ihm dort gratuliert. Man freut sich, denn: Der Junge bemüht sich immerhin. Schließlich reißen die schlechten Nachrichten nicht ab: »Jeder zweite Türke in Berlin ist arbeitslos!« meldete der Tagesspiegel Ende August.
Darüber hinaus wird seit kurzem eine Diskussion über einen Erlass der Berliner Ausländer­behörde geführt: In der Anordnung wird ausländischen Jugendlichen angedroht, dass ihr Aufent­halt nicht verlängert wird, sollten sie die Hauptschule vor Erreichen des Abschlusses verlassen, überhaupt nicht in die Schule gehen oder keinerlei Ambitionen verspüren, sich um die Sicherung ihres Lebensunterhalts zu bemühen.
Die Linkspartei und die Grünen protestierten. »Wir akzeptieren das nicht«, sagte Giyasettin Sayan von der »Linken«. Unmittelbar nachdem der Erlass der Ausländerbehörde bekannt geworden war, wurde bereits empört davon geredet, dass abgeschoben werden solle, wer die Schule nicht schaffe.
Das ist sachlich falsch und rechtlich gar nicht möglich, denn wer in der BRD geduldet wird bzw. einen Anspruch auf einen humanitären Aufenthalt nach dem Ausländergesetz hat, weil die Rück­kehr in das Herkunftsland nicht zumutbar ist, bleibt so lange vor Zwangsrückkehr geschützt, wie die Zustände dort den deutschen Behörden nicht zumutbar scheinen. Das Verhalten in der Schule ist da vollkommen unerheblich. Auch der Tagesspiegel musste zugeben: »Praktisch wird es wahrscheinlich auch aufgrund der neuen Vorschriften zu keiner Abschiebung eines Jugendlichen kommen.«

Der Senat und die Ausländerbehörde erinnern mit ihrer angedrohten Abschiebung an die bestehende Rechtslage: Ein Aufenthalt in der BRD wird nur bei eigenständiger Sicherung des Lebens­unterhalts gewährt. Zartbesaitete Grüne mögen das Gebaren der Ausländerbehörde drastisch finden. Drastisch ist tatsächlich die Lage: Etwa 20 Pro­zent aller migrantischen Schulabgänger in Berlin verlassen die Schule ohne Abschluss. Das entspricht ziemlich genau dem Prozentsatz an Kindern, die Jahr für Jahr eingeschult werden, ohne über irgendwelche Deutschkenntnisse zu verfügen. Und trotz aller Appelle und sorgenvoller Erörterungen ist das Bildungsniveau des migrantischen Teils der Berliner Bevölkerung genauso gesunken wie sein Einkommen.
Doch das Räsonieren darüber, ob und dass Migranten am deutschen Bildungssystem scheitern, oder der empörte Aufschrei über den »blauen Brief« von der Ausländerbehörde dient nur einer plakativen Diskussion. Andere Probleme geraten gar nicht erst ins Blickfeld: Tarkan beispiels­weise hat schon als Kind gelernt, dass ein Schulabschluss etwas ist, dass man sich unter Umständen auch kaufen kann. Die Beziehung zum da­maligen Privatlehrer war klar. Tarkan war der Boss, ein Wort an den Vater genügte. Das Wort »Kor­ruption« ist eigentlich auch dem deutschen Bildungsbürger nicht fremd, man könnte es durchaus mal mit den Lebenswelten vieler Zugezogener zusammenbringen.

Und wann wird über Kinder und Jugendliche gesprochen, die zwölf Stunden am Tag vom Fernseher vollgeplärrt werden? Die Verbreitung der Satellitenschüssel war für die Pädagogik in der Tat ein herber Rückschlag. Denn warum sollten sich arabische Jugendliche die deutsche Sprache aneig­nen, wenn sie sich daheim durch 50 arabischsprachige Kanäle zappen können?
Zudem prägt ein selbst für eingeborene Deutsche mittlerweile atavistisches Frauenbild einen Großteil dieser Szene: Mädchen werden nicht nach wie vor, sondern wieder verstärkt darauf vor­bereitet, die Tugenden einer Hausfrau zu entwickeln, statt mit der Klasse schwimmen zu gehen. Das Erstarken der Religion macht dem Hauptschullehrer die Arbeit, z.B. im Sexualkundeunter­richt, keinesfalls leichter. Hauptschullehrerinnen dürfen sich indes meist an Jungs abarbeiten, deren Held es zu einer Villa in Dahlem gebracht hat, indem er in schlechten Raps gegen Schwule hetzt und sich in regelmäßigen Abständen in den Schritt fasst.
Das Vokabular aus den Rapsongs ist auf den Schulhöfen beliebt. »Ich fick deine Mutter!« »Du Jude!« »Du Muschi!« – Lehrer in Neukölln, Kreuzberg und im Wedding wissen, wovon die Rede ist. Wenn sie eingreifen, machen sie sich aber nur lächerlich. Manche Jugendliche kommen nicht mehr zur Schule, weil sie von den Anführern einer tonangebenden Gruppe als Opfer ausgemacht werden. Sie halten die Schule nicht aus, aber sie teilen sich nicht mit. Eine »Schwäche« oder Hilfsbedürftigkeit einzugestehen, das wäre nicht männ­lich. 16jährige Jungs – man schlendere einen Nachmittag durch Neukölln – geben sich als ganz harte Männer. 16jährige Mädchen bringen es fertig, Kopftuch und Hüftschwung zu kombinieren, die polnischen hingegen gelten als »Schlampen«.

Doch die Kinder imitieren ihre Eltern. »Da ruft mich der Lehrer meiner Töchter an«, schäumt Remo* aus dem ehemaligen Jugoslawien auf einem Kindergeburtstag, »und sagt: ›Ihre Mädchen sind heute nicht in der Schule. Was ist los?‹ Ich also hin. Und was seh’ ich? Da sitzen sie. ›Nochmal so’n Scheiß‹, sag ich zum Lehrer, ›und ich hau’ dir so richtig eins in die Fresse.‹ Schließlich muss ich arbeiten gehen.« Sechs Kinder zwischen sieben und 16 Jahren hören ihm zu, lachen und haben die Lektion gelernt: »Eins in die Fresse« geht immer.
Den älteren schickt die Ausländerbehörde vielleicht bald einen Brief. Grüne und Linkspartei aber müssen sich keine Sorgen machen. Richtige Jungs wie Tarkan halten das aus. Sie wissen: Man will ihnen mal zeigen, wo der Hammer hängt, aber da kommt meist nichts nach. Tarkan weiß darüber hinaus, dass man in Dänemark auch ohne Pa­piere heiraten kann. Er ist gewiefter, als Linkspartei und Grüne sich das vorzustellen vermögen. Auf seine schulischen Leistungen hat das keinen Einfluss. Tarkan hat einfach grundsätzlich keinen Bock.

*Name von der Redaktion geändert