Der Fall Arnd Krüger

Sportlich abgewatscht

Während die Universität Göttingen bei Professor Arnd Krüger kein Fehlverhalten ­entdecken konnte, wurde er vom Sportwissenschaftler-Verband scharf gerügt. Im Gegensatz zu Henning Eichberg.

Eine öffentliche Rüge kassiert kein deutscher Professor gerne, handelt es sich doch um eine laute, von keinem Kollegen und keinem Studenten zu überhörende Ohrfeige. Eine solche fing sich vorige Woche Arnd Krüger ein, der Direktor des sportwissenschaft­lichen Instituts der Universität Göttingen. Die Rüge erging von der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (DVS), die über einen Aus­schluss Krügers beraten hatte. Krüger war im Sommer dieses Jahres aufgefallen, als er in einem Vortrag behauptete, die 1972 von der palästinensischen Terrorgruppe »Schwarzer September« ermordeten elf israelischen Sportler seien freiwillig in den Tod gegangen.
Die DVS, die in der Erwartung, »dass dieser Vor­gang keine Wiederholung findet«, darauf ver­zichtete, den 64jährigen Professor auszuschließen, begründete ihre Rüge ausführlich: Krüger habe gegen »die allgemeinen Regeln guter wissenschaftlicher Praxis« verstoßen; er hatte nämlich keinerlei Belege vorgelegt.
Noch wenige Wochen zuvor hatte ihm eine von der Universität Göttingen eingesetzte Ombudskommission bescheinigt, dass »sich der Verdacht auf wissenschaftliches Fehlverhalten als haltlos erwiesen hat«.
Nachdem seine Thesen in die Öffentlichkeit gelangt waren, versuchte sich Krüger zu erklären: »Ich finde es völlig legitim, eine These aufzustellen, die dann überprüft wird. So funktioniert Wissenschaft. Ich habe das in diesem Fall getan, weil ich in der Schnittstelle des Zeitzeugen und des Wissenschaftlers war.«
»Nur sich selbst als Zeitzeugen heranzuziehen«, heißt es nun bei der DVS, »entspricht nicht wissenschaftlichen Standards.« Mittlerweile steht auch fest, dass die wenigen von Krüger vorgetragenen Belege für seine Thesen erfunden oder halluziniert waren.
Doch nicht nur, dass sich Krüger als schlechter Wissenschaftler offenbarte, auch die andere Seite von Krügers Vortrag wird bei der DVS kri­tisiert. »Die Behauptungen und Aussagen von Professor Dr. Arnd Krüger können als antisemitische Positionen verstanden werden«, heißt es. Schließlich gehörten zu Krügers Vortrag auch Thesen über ein anderes Menschenbild in Israel, in der Power-Point-Präsentation seines Vortrags formulierte er sogar: »Jüdische Kultur versucht Leben mit Behinderungen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern.«
Gleichwohl kommen die umsichtig urteilenden Fachkollegen zu dem Urteil, dass Krüger »keine antisemitisch denkende und handelnde Person ist«, das zeigten seine Biografie, seine bisherigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen und auch seine ausführliche, wenngleich sehr spät erst formulierte Bitte um Entschuldigung.
Die Universität Göttingen sieht das anders: »Eine antisemitische Einstellung ist weder expliziter Bestandteil der Thesenbildung noch sind die gefundenen Thesen ohne eine antisemitische Tendenz unvertretbar.« Der Ombudskommission, die so schön formulierte, gehörten ein Jurist, ein Mediziner und ein Landwirtschafts­experte an. Jemand, der sich wissenschaft­lich mit Fragen des Antisemitismus beschäftigt, war nicht dabei. Marietta Fuhrmann-Koch, Sprecherin der Universität Göttingen, sagte der Tageszeitung Jerusalem Post, das sei auch nicht nötig: »Wir Deutschen sind alle Antisemitismusexperten.« Durch ihren Präsidenten, den Biochemiker Kurt von Figura, ließ die Universität mitteilen, »dass gerade in Göttingen die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung für wissenschaftliches Tun ein zentrales Thema ist«.
Die DVS hingegen, in der die fast 1 000 an deutschen Hochschulen und Universitäten arbeitenden Sportwissenschaftler organisiert sind, hat es sich mit ihrem Urteil nicht leicht gemacht: Zur öffentlichen Rüge gesellte sich von Beginn an eine sehr transparente Haltung den Medien gegenüber, die beste Dokumenta­tion des »Falls Krüger« findet sich auf der Web­site der DVS, sportwissenschaft.de.
Es scheint, dass gerade die Sportwissenschaft­ler aus Fehlern der Vergangenheit gelernt haben. Anfang der neunziger Jahre war diese Disziplin noch vom »Fall Ballreich« erschüttert wor­den. Der renommierte Frankfurter Biomechaniker Rainer Ballreich hatte 1987 am Rande einer Tagung des Deutschen Sportbundes die ­»Auschwitzlüge« verbreitet. Heraus kamen diese Äußerungen erst sechs Jahre später, als ein Kollege Ballreichs, der Paderborner Sportwissen­schaftler Günter Hagedorn, sie in einem Offenen Brief in der Frankfurter Rundschau dokumen­tierte. Er habe zu lange »aus falscher Solidarität« geschwiegen, begründete Hagedorn seine späte Veröffentlichung. Juristische Ermittlungen wurden jedoch bald eingestellt, weil der Tat­bestand der Volksverhetzung nach fünf Jahren verjährt; und auch die Goethe-Universität Frankfurt unternahm nichts, weil Disziplinarmaßnahmen nur binnen drei Jahren möglich sind.
Mit über halbjähriger Verspätung, im Oktober 1993, ließ Rainer Ballreich eine schriftliche Erklärung verbreiten, er habe »keinen Zweifel« am Massenmord der Nazis und empfinde »Abscheu gegenüber menschenverachtender und ‑vernichtender Gewaltherrschaft«. Damit konnte die Wissenschaftskarriere geordnet auf ihre Eme­ritierung zugehen.
Noch nie Gegenstand größerer öffentlicher Betrachtung in der Sportwissenschaft wurde der »Fall Eichberg«. Der deutsche Sportsoziologe und Kulturanthropologe arbeitet mittlerweile in Dänemark. Bücher von ihm wie »Der Weg des Sports in die industrielle Zivilisation« oder »Die Veränderung des Sports ist gesellschaftlich« gelten als wichtige Werke einer kritischen Sportwissenschaft. Es gibt auch Autoren, die sie in die Reihe der Arbeiten Norbert Elias’ stellen oder mit den Werken der Kritischen Theorie vergleichen.
Dabei gilt Eichberg als einer der wichtigsten Vordenker des Rechtsextremismus in Deutschland. Ist Eichberg bei Antifas und Rechtsextremismusforschern bekannt, hat man bei kritischen Sportsoziologen diese Seite des geschätzten Kollegen nie so recht wahrgenommen. Erst 1991 erschien eine Studie, die sich mit der Kompatibilität von Eichbergs sportwissenschaft­lichen Arbeiten, etwa zum Verhältnis von »NS-Thingspiel, Arbeiterweihespiel und olympischem Zeremoniell«, mit seinen nationalrevolutionären Schriften beschäftigte. »Henning Eichberg – nationalrevolutionäre Perspektiven in der Sportwissenschaft. Wie politisch ist die Sportwissenschaft?« ist der Titel der Disserta­tion von Frank Teichmann, die aber weder in der Öffentlichkeit noch in der Sportwissenschaft auf nennenswerte Resonanz stieß.
Eichberg ist weiterhin ein auf Konferenzen und Kolloquien geschätzter Kollege, mit dem man auch gerne publiziert.
Mittlerweile engagiert sich Eichberg in der dänischen Linkspartei, die eng mit der deutschen Linkspartei zusammenarbeitet. Dass sich Eichberg, wie es mitunter kolportiert wird, damit vom Rechten zum Linken gewandelt habe, wird von Menschen, die sich mit seiner Vita beschäftigt haben, bestritten. Eine seiner jüngs­ten Veröffentlichungen, der Aufsatz »Volk – wer wo was oder warum nicht?« (2004) endet mit dem Satz: »Wer von den Völkern nicht reden will, sollte von den Menschen schweigen.«
Von so etwas Beherztem wie einer öffent­lichen Rüge für Henning Eichberg war nie die Rede.