Interview mit Seyran Ates über Kopftuch und Diskriminierung

»Wir brauchen Zahlen statt Behauptungen«

Die Frauenrechtlerin Seyran Ates ist eine der prominentesten Kritikerinnen von Kopftuch, islamischem Fundamentalismus und dem von ihr so genannten Multikulti-Irrtum. Vergangene Woche sorgte sie erneut für Diskussionen. Als »einseitiges Pamphlet für das Kopftuch« kritisierte sie die von der Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales in Berlin herausgegebene Broschüre »Mit dem Kopftuch außen vor«, in der Kopftuch tragende Frauen von Diskri­minierung berichten.

In der Broschüre der Senatsverwaltung ist zu lesen, dass sich alle befragten Musliminnen vom Berliner Neutralitätsgesetz, das seit 2005 das Tragen aller religiösen Symbole in Bereichen des öffentlichen Dienstes verbietet, diskriminiert fühlen. Geht es Ihnen auch so?

Nein, natürlich nicht. Das ist ja genau einer der vielen Mängel dieser Broschüre. Nicht nur mir, sondern auch Necla Kelec und anderen Frauenrechtlerinnen wird allzu oft vorgeworfen, dass wir zu sehr verallgemeinern würden, undifferenziert seien und sehr einseitig. Dieser Vorwurf sollte allerdings besser gegen diese Broschüre ge­richtet werden. Bereits am Anfang heißt es dort, dass 100 000 muslimische Frauen in Berlin leben und die wenigsten davon ein Kopftuch tragen würden. Das ist eine Feststellung, die so nicht be­legt ist. Eine derartige Behauptung kann sich doch eine Senatsverwaltung für Integration nicht leisten. Wenn die Verantwortlichen schon so eine Broschüre herausgeben, dann sollten darin auch fundierte Aussagen stehen. Ich fordere schon seit langem, dass es wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema geben muss. Wir brauchen Zahlen statt Behauptungen.

Warum bezeichnen Sie die Broschüre als »einseitiges Pamphlet für das Kopftuch«?

Wenn schon über das Kopftuch debattiert wird, muss das Thema von allen Seiten betrachtet und eben auch kritisch beleuchtet werden. Wir sehen doch alle, dass immer mehr Erwachsene Kopftücher tragen, die wiederum Kinder dazu bringen, ebenfalls Kopftücher zu tragen. Diese Reli­gio­sität, die den Kindern aufgezwungen wird, bringt gesellschaftliche Probleme mit sich. In die­sen Wochen ist Fastenzeit, und die Kinder fasten in der Schule, daher können sie sich nicht auf die Schule konzentrieren. Die Kinder tragen das Kopf­tuch, obwohl dies nicht mal von der strengsten Auslegung des Koran gefordert wird. Gerade habe ich im Ruhrgebiet drei Mädchen im Alter zwischen sieben und neun Jahren fotografiert, die mit ihren Kopftüchern auf der Straße spielten. Das ist unerträglich.

Die Senatsverwaltung für Integration betrachtet das Kopftuch offensichtlich nur als ein religiöses Kleidungsstück.

Das Kopftuch ist definitiv nicht nur ein religiöses Symbol. Und die Senatsverwaltung kann sich nicht einseitig auf die Seite derer stellen, die es nur als ein solches betrachten. Dann ist die Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, Heidi Knake-Werner, nicht meine Senatorin. Denn ich bin eine säkulare Muslimin und sage, dass das Kopftuch ein politisches Symbol ist. Das Tragen des Kopftuchs weist auf eine sehr konservative, strenge und orthodoxe Auslegung des Koran hin. Wenn man sagt, das Kopftuch ist heutzutage not­wendig, dann missachtet man die Gleichberechti­gung der Geschlechter. Das Kopftuch steht nun mal für Geschlechtertrennung und dafür, dass eine Frau ihre Reize vor den Männern zu verhüllen hat. Das ist die politische Aussage.

Gibt es eine spezifische Diskriminierung von Kopftuch tragenden Frauen, oder ist das eigent­liche Problem der gesellschaftliche Rassismus?

Es geht natürlich immer um Rassismus, aber das Kopftuch ist nicht alleine dafür verantwortlich.

Es gibt also keine spezifische Diskriminierung von Frauen mit Kopftuch?

Das würde ich so nicht sagen. Ganz sicher gibt es Frauen, die aufgrund ihres Kopftuchs Diskriminierung erfahren. Nur muss man eben auch sehen, was das Kopftuch ansonsten noch bewirkt. Ich höre immer wieder, dass Frauen ohne Kopftuch von Frauen mit Kochtuch diskriminiert wer­den. Gerade erst hat mir eine Frau erzählt, dass in ihrem Deutschkurs vier Frauen mit Kopftuch sitzen und sie, die kein Kopftuch trägt, permanent geschnitten wird. Sie wird nicht mal gegrüßt. Dieses Verhalten speist sich aus dem Gefühl der Kopftuchträgerinnen, dass sie die besseren Musliminnen seien. Auch ich muss mich immer wieder darüber streiten, dass ich keine echte und gute Muslimin sei, weil ich kein Kopftuch trage.

Warum wurde der Schwerpunkt der Broschüre auf die Kopftuch tragenden Frauen gelegt?

Das erscheint mir künstlich aufgesetzt. Aber ich kann darüber nur spekulieren. Ich glaube, dass sich die Integrationspolitik auch hier in Berlin sehr stark an den konservativen, religiösen Türken orientiert. Sie sind immens in ihrer Opferrolle verhaftet. Und diese war bislang auch die Grundlage der Integrationsarbeit. Kopftuchträgerinnen passen da sehr gut rein, sie sind türkisch, sie sind Muslime, und sie sind Frauen.

Insofern ist es wohl auch nur folgerichtig, dass in der Broschüre ausgerechnet die Moscheevereine als Ansprechpartner für Diskriminierung aufgeführt werden?

Das ist absurd. Denn die Integration soll doch in die Gesamtgesellschaft erfolgen und nicht in die Gesellschaft der Moscheegemeinden. Auch die Integrationskurse, die in den Moscheen abgehalten werden, finde ich absolut kontraproduktiv. Denn die Menschen werden dort nicht in unsere Gesellschaft integriert, sondern in die Gemeinschaft der Moscheegemeinden. Und damit in die Parallelgesellschaft.

Was schlagen Sie vor, um die Situation von Kopf­tuch tragenden Frauen, unter denen es auch viele gut ausgebildete gibt, auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern?

Auch die gut ausgebildeten Kopftuchträgerinnen betreiben für mich einen politischen Kampf, denn sie tragen ihre Religiosität nach außen. Damit tragen sie Verantwortung für ihr persönliches Handeln. Viele türkische Unternehmer sagen, dass das Kopftuch in ihrem Betrieb nichts zu suchen hat. Das ist eine politische Aussage, und darin sehe ich keine Diskriminierung. Denn wenn der Besitzer eine Frau mit Kopftuch in seinem Laden beschäftigt, positioniert er sich in der Öffentlichkeit ganz eindeutig. Wenn er das nicht will, ist es sein gutes Recht, er will ja auch keine Glatzen einstellen müssen.

Hieße das im Umkehrschluss, dass man den Frauen sagen sollte, dass sie ohne Kopftuch bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz hätten?

An öffentliche Arbeitsplätze gehört das Kopftuch sowieso nicht. Der Besitzer eines Friseursalons kann doch wohl sagen, dass seine Mit­arbeiter durch ihre Haare Werbung für ihn machen. Das heißt doch noch lange nicht, dass er deswegen Frauen mit Kopftuch diskriminiert. Die­se Sachen müssen kritischer beleuchtet werden. Deswegen sage ich auch, dass die Broschüre ein einseitiges Pamphlet für das Kopftuch ist. Denn darin wird immer nur die eine Seite betrachtet und alles als Diskriminierung gedeutet, was, wenn man genauer hinsieht, nicht diskriminierend ist, sondern einfach das Recht der anderen Seite, der Arbeitgeber. Multikulturelle Gesellschaft bedeutet gegenseitigen Respekt und Verantwortung. Die demokratische Grundordnung darf nicht durch die Hintertür der Religionsfreiheit aus den Angeln gehoben werden.