In Litauen ermittelt die Justiz gegen ehemalige jüdische Partisanen

Alte Feinde

In Vilnius ermittelt die Generalstaatsanwalt­schaft gegen vier ehemalige jüdische Partisanen. Sie sollen 1944 am Massaker an der Bevölkerung des litauischen Dorfes Koniuchy beteiligt gewesen sein. Ein Hintergrundbericht zur antisemitischen Stimmung in Litauen.

Mancherorts wird behauptet, die Ermittlungen gegen die ehemaligen antifaschistischen Partisanen in Litauen liefen bereits seit 2006, andere Quellen behaupten, erst seit Beginn dieses Jahres sei die Generalstaatsanwaltschaft tätig. Unterschiedliche Auffassungen gibt es auch darüber, wer in den Ermittlungen als Verdächtigter und wer als Zeuge betrachtet wird. Was auch immer stimmt, diese Unklarheiten zeigen, wie sehr derzeit die erinnerungspolitische Deutungshoheit in Litauen umkämpft ist.
Unbestreitbar stehen dabei die jüdischen Partisaninnen und Partisanen Yitzhak Arad, Fania Brantsovsky, Rachel Margolis und Sara Ginaite-Rubinson im Mittelpunkt des medialen Interesses. Auf der einen Seite wurden in den beiden überregionalen litauischen Zeitungen Respublica und Lietuvos Aidas die Ermittlungen begrüßt. Auf der anderen Seite gab es aus Litauen und vielen anderen Ländern Protest. In offenen Briefen wurden den litauischen Behörden und Medien geschichtsrevisionistische und antisemitische Absichten unterstellt. Als der litauische Präsident Valdas Adamkus Anfang August dem Simon-Wiesenthal-Zentrum zusicherte, die Ermittlungen gegen die jüdischen Partisanen einzustellen, wurde dies als ein Ergebnis der öffentlichen Empörung betrachtet. Die Unterstützer der Betroffenen bezweifelten jedoch, dass diese Äußerung Einfluss auf die Arbeit der Justiz haben würde.
Auf Nachfrage der Jungle World macht Generalstaatsanwalt Rimvydas Valentukevicius deutlich, dass er sich nicht in seine Arbeit hineinreden lässt, auch nicht vom Präsidenten, und sagt: »Die Untersuchungen werden fortgesetzt.« Er betont, dass in der Berichterstattung sehr viel verdreht worden sei. Yitzhak Arad sei nur einer von mehreren Verdächtigen und die anderen drei jüdischen Partisaninnen würden lediglich als Zeuginnen gelten. Deshalb verstehe er nicht, warum sich das Interesse auf diese Personen konzentriere.

Vielleicht unterscheidet Valentukevicius wirklich zwischen Verdächtigen und Zeuginnen, vielleicht folgt er damit aber auch nur einer diplomatisch erzwungenen Notwendigkeit. Tatsache ist, dass in großen Teilen der litauischen Öffentlichkeit alle vier jüdischen Widerstandskämpfer als Täter betrachtet werden, was vor dem Hintergrund der litauischen Geschichtspolitik und einem sich immer offener manifestierenden Antisemitismus wenig überraschend ist.
Das Narrativ, Opfer zweier totalitärer Regimes gewesen zu sein, gehört seit der Unabhängigkeit Litauens zum grundlegenden historischen Selbstverständnis dieser Gesellschaft. Besonders die Deportationen und Ermordungen hunderttausender Litauer unter sowjetischer Führung werden als Genozid begriffen. Der Name und die inhaltliche Konzeption des Museum of Genocide Victims in Vilnius spiegelt diese Geschichtsauffassung deutlich wieder. Die 200 000 litauischen Jüdinnen und Juden, die unter deutscher Besatzung von den Nazis und ihren Kollaborateuren ermordet wurden, werden dort lediglich unter die litauischen Verluste subsummiert. Weder wird die Bedeutung des Antisemitismus für die national­sozialistische Ideologie erklärt, noch seine eliminatorische Manifestation in der Shoa.
In mehreren Räumen des Museums werden die anti-sowjetischen Partisanen als »Freiheitskämpfer« geehrt und der Opfer der Juni-Revolte 1941 gedacht, während der litauische Partisanengruppen den Rückzug der Roten Armee und den Angriff der deutschen Wehrmacht nutzten, um für wenige Tage die Unabhängigkeit zu proklamieren. Allerdings bleiben die antisemitischen Massaker, die von Teilen jener gefeierten »Rebellen« unter dem Kommando von Algirdas Klimaitis begangen wurden, unerwähnt. Noch vor dem Einmarsch der deutschen Truppen wurden hunderte jüdische Gemeinden in Pogromen ausgelöscht und tausende Jüdinnen und Juden ermordet. Das Vilna Gaon Jewish State Museum in Vilnius ist einer der wenigen Orte, an dem an jenen Teil litauischer Geschichte erinnert wird, der sich nicht in eine positive, nationale Identitätsbildung eingliedern lässt. Rachile Kostanian, die Leiterin des historischen Forschungsbereichs beklagt das fehlende öffentliche Interesse. Den Unwillen sich mit der Shoa zu beschäftigen, führt sie unter anderem darauf zurück, dass das Feindbild vom »jüdischen Bolschewisten« immer noch wirkmächtig sei: »In der Vorstellung vieler Litauer wurden die Deportationen zu Sowjetzeiten nur von Juden durchgeführt.«

Tatsache ist, dass sowjetische Verbrechen mit anderem Maß gemessen werden als jene, die von Nazis und willigen Unterstützern begangen wurden. So unternimmt Litauen aus Sicht des Simon-Wiesenthal-Zentrums nichts, um letztere entschlossen zu verfolgen. Lediglich zwei ehemalige NS-Verbrecher wurden posthum für schuldig befunden. Zuletzt wurde der damalige NS-Sicherheitspolizist Algimantas Dailide begnadigt, obwohl er keine seiner Taten bereute. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum hatte ihn zuvor auf die Liste der zehn meistgesuchten NS-Kriegsverbrecher gesetzt.
Aus Sicht von Dr. Simonas Alperavicius, dem Vorsitzenden der litauischen jüdischen Gemeinde, hat sich aber nach der Unabhängigkeit Litauens für Jüdinnen und Juden zunächst vieles zum Guten gewendet. Er erinnert daran, dass es im neuen Litauen Juden erstmals wieder erlaubt war, ihre Religion frei auszuüben und eigene Einrichtungen zu gründen. Die Schaffung eines nationalen Holocaust-Gedenktages am 23. September ließ ihn darauf hoffen, dass sich das Land diesem Teil seiner Vergangenheit stellt. Doch diese Hoffnung wurde enttäuscht: »Der Antisemitismus erstarkt und manifestiert sich immer direkter.« Nicht erst die Debatte über die vier jüdischen Widerstandskämpfer ist für ihn alarmierend. Im März marschierten am Unabhängigkeitstag hunderte Naziskinheads durch Vilnius und im August sprühten Unbekannte Hakenkreuze an das dortige jüdische Gemeindehaus. Alperavicius aber vertraut Präsident Adamkus, der diese Ereignisse verurteilte und glaubt, dass dessen Worten auch Taten folgen. Ein Optimismus, der angesichts der Umstände wie Trotz erscheint.