Unaufgeklärte rassistische Morde in den USA

Kill the Bill

Unaufgeklärte rassistische Morde in den USA sollen neu untersucht werden. Doch ein konservativer Senator meint, die Amerikaner hätten wichtigere Probleme.

Die Gefängnistore öffnen sich noch nicht für ­James Ford Seale. Im vergangenen Jahr wurde der 71jährige von einem Geschworenengericht in Mississippi zu dreimal lebenslänglicher Haft verurteilt. Als Mitglied des Ku-Klux-Klan war er 1964 an der Ermordung von zwei 19jährigen Schwarzen beteiligt, die verschleppt, gefoltert und im Mississippi ertränkt wurden. Da Seale jedoch nicht wegen Mordes, sondern nur wegen Entführung und Verschwörung schuldig gesprochen wurde, befand ein Berufungsgericht Anfang September, die Tat sei verjährt und hob das Urteil wieder auf. Bis zur Bestätigung dieser Entscheidung in der nächsten Instanz muss Seale allerdings noch warten.

Seale stand unmittelbar nach der Tat schon einmal vor Gericht und wurde freigesprochen. Der zweite Prozess war Teil der Bemühungen der Behörden, ungeklärte rassistisch motivierte Morde aus den sechziger und siebziger Jahren neu zu untersuchen. Dutzende solcher cold cases liegen noch in den Archiven des FBI. Vor knapp zwei Jahren kündigten Ermittlungsbehörden und Justizministerium in Anwesenheit von Vertretern der schwarzen Bürgerrechtsbewegung an, sich dieser alten Fälle anzunehmen.
Hierfür sollte sogar ein eigenes Gesetz erlassen werden. Das Repräsentantenhaus verabschiedete es im Juni 2007 mit überwältigender Mehrheit. Zehn Millionen Dollar sollten jährlich zur Verfügung gestellt werden, um eine eigene Abteilung im Justizministerium zu schaffen und Ermittlungen zu unterstützen. Benannt ist diese »Till Bill« nach Emmett Till, einem schwarzen Jugendlichen aus Chicago, der 1955 in Mississippi ermordet wurde, nachdem er einer weißen Frau hinterhergepfiffen haben soll. In einem eilig anberaumten Prozess wurden damals die mutmaßlichen Täter von einer weißen Jury freigesprochen.
Nach der Annahme im Repräsentantenhaus schien die Verabschiedung sicher. Nun liegt der Entwurf jedoch bereits über ein Jahr beim Senat. Verantwortlich hierfür ist der Republikaner Tom Coburn, der die Verabschiedung konsequent und erfolgreich blockiert. Der rechtskonservative Senator aus Oklahoma, der häufig sogar gegen die republikanische Mehrheit stimmt, wird wegen seiner Verweigerungshaltung von vielen Kollegen im Senat »Dr. No« genannt.

Er sei zwar nicht gegen die Aufklärung der alten Fälle, sagt Coburn. Doch er hält die Kosten für zu hoch, die Regierung solle sich lieber um die dringenden Probleme der Amerikaner wie etwa die Entwicklung der Treibstoffpreise kümmern. Der Senator fordert immer wieder zeitraubende Debatten über den Gesetzesvorschlag. Verhindern kann er die Initiative nicht, doch er kann die Verabschiedung weiter verzögern.
Das FBI muss seine angekündigte »cold case«-Offensive also vorerst ohne ein eigens dafür bereitgestelltes Budget bestreiten. Die Ermittlungen gestalten sich in vielen Fällen äußerst schwierig. An manchen Verbrechen waren Polizisten beteiligt, weit häufiger noch deckten sie die Täter, und selbst wenn es zu Prozessen kam, war den Angeklagten das Wohlwollen einer weißen Jury sicher. Inzwischen sind viele Zeugen verstorben, Erinnerungen verblasst und Beweismittel verloren gegangen. Will man die Täter tatsächlich noch zur Rechenschaft ziehen, muss dies bald geschehen.
Kreuze werden auch in den Südstaaten der USA nur noch selten angezündet. Doch obwohl die white supremacists an Einfluss verloren haben, war es jahrzehntelang unmöglich, ihre Verbrechen aufzuklären. Zunächst beschäftigten sich nur Bürgerrechtsorganisationen intensiv mit diesen Fällen. So hat etwa das Southern Poverty Law Center schon lange eine Auflistung ungeklärter Morde mit rassistischen Hintergründen erstellt. Allein aus den vierziger Jahren finden sich auf dieser »Liste der Vergessenen« 70 solcher Fälle. Heute bedient sich das FBI dankbar der Archive dieser Gruppen.