Kameradschaftstreffen in Kärnten

Mörder richten nicht

Auf dem Ulrichsberg in Kärnten kommen Veteranen und Neonazis zu einem Kameradschaftstreffen zusammen. Bürger­liche Politiker halten dort Festreden. Die österreichische Armee schickt eine Blaskapelle.

»Hier wird nicht gerichtet.« Für die Verbände ehe­maliger Wehrmachts- und SS-Angehöriger und Neonazi-Gruppen aus Europa und den USA hat dieses Motto einen besonderen Reiz. Sie versammelten sich am vergangenen Sonntag bereits zum 50. Mal unter dem Slogan gemeinsam mit Heimat- und Kameradschaftsverbänden und Kärnt­ner Bürgerinnen und Bürgern auf der Spitze des Ulrichsbergs in Koroška/Kärnten in Österreich. Dort, am Fuß eines etwa zwanzig Meter hohen Eisenkreuzes wird an der »Heimkehrer­gedenkstätte« jedes Jahr zum Ulrichsbergtreffen die Geschichte Kärntens, Sloweniens und Ös­terreichs gehörig verdreht. Jedes Jahr aufs Neue wird der Glaube an die Treue, Ehre und Tapferkeit beschworen – und die kollektive Unschuld der Österreicherinnen und Österreicher an den Verbrechen des Nationalsozialismus.

»Die Generation, die Österreich aus Schutt und Asche wieder aufbauen musste, bestand nicht aus Kriegsverbrechern. Sie hat den Krieg nie ­gewollt, nie angestrebt, nie angeordnet und somit auch nicht zu verantworten«, sagte Peter Steinkellner, der Obmann der Ulrichsberggemein­schaft im Jahr 2006 in seiner Festrede. Er traf den üb­lichen Ton der Festreden und gab einer geschichts­revisionistischen Besonderheit des südlichsten Bundeslandes Österreichs Ausdruck – dem so genannten Kärntner Konsens.
»Der Kärntner Konsens ist eine Form der Erinnerungskultur, auf der das Selbstverständnis Kärntens beruht«, sagt Josephine Broz, die Sprecherin des Arbeitskreises gegen den Kärntner Konsens der Jungle World. »Zentral sind der Kärnt­ner Abwehrkampf, der zwischen 1918 und 1920 gegen Slowenien geführt wurde und die ­Abwehr der slawischen und bolschewistischen Bedrohung«, führt Broz aus. Anders als die üb­rigen Bun­desländer Österreichs setze Kärnten daher seine Gründung im Jahr 1920, und nicht 1955 an. Der Nationalsozialismus werde also als Kontinui­tät in der Kärntner Geschichte verstanden, mit der nicht gebrochen werden müsse.
Sonntag früh um 7.30 Uhr: Herausgeputzte Men­schen in den typischen Kärntner Trachten warten an der Bushaltestelle in Klagenfurt, der Haupt­stadt Kärntens, um zu den Gedenkfeiern auf den Berg zu gelangen. »Ich bin jetzt schon zum 35. Mal da«, sagt die Frau, die die Orden und Urkunden für die Teilnehmer verteilt. Mit der Polizei plaudert sie freundlich und schimpft über die »linken Chaoten, die ja überhaupt nichts von Geschichte wissen«. »Am schlimmsten sind die, die die Partisanen verherrlichen«, pflichtet ihr einer der Männer in Lederhosen bei.
Durch Klagenfurt geht es hinaus aufs Land. In Karnburg kommt der Bus am Fuß des Ulrichsbergs vorbei. Hier demonstrieren Antifaschis­tinnen und Antifaschisten – etwa 150 schwarz gekleidete Menschen sind von einem großen Polizeiaufgebot am Rand der Straße umzingelt. »Umbracht g’hören die«, sagt eine ältere Frau im Bus. Ihre Sitznachbarin fügt laut hinzu: »Ins KZ sollten’s bracht werden.« Andere im Bus nicken zustimmend.

Wie aus einer anderen Welt steht der antifaschistische Informationsstand am Samstagnachmittag in der Klagenfurter Einkaufsstraße. Seit vier Jahren gibt es ihn aus Anlass des Ulrichsbergtreffens. Wer an den Aktionstagen gegen das Tref­fen teilnehmen möchte, für den ist der Stand ein guter Anlaufpunkt. In den vergangenen Jahren erhielten die Proteste immer größeren Zulauf, auch heute sind viele zum ­antifaschistischen Stadt­spaziergang gekommen. An deutschnationalen, rechtsextremen Gedenkstätten, Orten des Nationalsozialismus und des jüdischen Lebens zieht die Demonstration vorbei. »Heimat im Herzen, Scheiße im Hirn« und »Kein Vergeben, kein Vergessen – Nazis haben Namen und Adressen«, rufen die Teilnehmer.
Sonntag, 9.00 Uhr früh: Der Bus ist mittlerweile am Berg angelangt. Ein alter Mann mit violetter Burschenschafter-Mütze wünscht einem Aussteigenden »heilen Sieg«. Polizisten und Solda­ten des Bundesheers stehen unmittelbar daneben. Niemand sagt etwas. Die Leute gehen angestrengt den Berg hinauf. An der Gedenkstätte angekommen, besuchen die meisten zuerst den Ehrenhain der Kapelle. Neben der großen Tafel mit der Aufschrift »Des Soldaten Ehre ist seine Treue« finden sich dort Ehrentafeln für Freiwil­lige der Wehrmacht aus ganz Europa.

Nach der Blasmusik des Bundesheeres und ­umringt von korporierten Burschenschaften, Heimat­verbänden und Bundesheersoldaten ­beginnen die Festredner. »Wir sind nicht die Rich­ter«, ist ihre Kernbotschaft. »Ob Kriegsverbrecher oder normaler Soldat, das Leid zu sterben, war dasselbe«, fügt ein Kärntner Landespolitiker von der konservativen Partei ÖVP hinzu.
Das Publikum ist gemischt: von alten Trach­ten­trägern, Neonazis in schwarzen Hemden oder Thor-Steinar-Markenkleidung, Veteranen, Burschenschaftern in vollständigem Wichs, Mitgliedern der US-amerikanischen Nazi-Organisa­tion »Sharkhunters«, flämischen Rechtsextremen bis zu durchschnittlichen Kärntnern. Bis ins Jahr 2000 war die Tochter Heinrich Himmlers, Gud­run Burwitz, immer auf einem vorabendlichen Treffen in Krumpendorf anwesend. Weitere Ehrengäste auf dem Berg waren der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider, der ehemalige Ustaša-Kommandant Milvoj Ašner, Andreas Thiery, der in der NPD das »Amt für Weltanschauliche Schulungen« leitete, und andere. Auch die örtliche Politprominenz nahezu aller Parteien findet sich immer ein.
»Das frappierende ist der Spagat, der hier ­geschafft wird«, sagt der Historiker Valentin Sima, der auch einer der Autoren des Buches »Das ­europäische Kameradentreffen auf dem Kärntner Ulrichsberg von den Anfängen bis heute« ist. »Man schrammt haarscharf am Verbotsgesetz vorbei, wird aber von der politischen Elite akzeptiert.«
Als die Kärntner Landeshymne erklingt, scheinen sich jedenfalls die meisten einig zu sein und singen mit. Die letzte Strophe ist ein­deutig: »Wo Mannesmut und Frauentreu’ die Heimat sich erstritt auf’s neu’, wo man mit Blut die Grenze schrieb und frei in Not und Tod verblieb. Hell jubelnd klingt’s zur Bergeswand: Das ist mein herrlich Heimatland.«