Überall Datenschützer im Bundestag

Schnüffler gegen Händler

Politiker der Großen Koalition geben sich plötzlich als Datenschützer. Aber nur, solange es nur die Wirtschaft betrifft.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar (Grüne) kann auf fünf frustrierende Amtsjahre zurückblicken und auf zwei sehr verwunderliche Wochen. Jahrelang reihte sich aus der Sicht des Datenschützers eine politische Katastrophe an die nächste – biometrische »E-Pässe«, Vorrats­datenspeicherung, verschärfte Offenbarungspflichten für Hartz-IV-Empfänger –, ohne dass seine Behörde mehr tun konnte als zu mahnen. Dann aber wurde Schaar gleich zu drei »Datenschutz-Gipfeln« in zwei Wochen eingeladen, und wo man auch hinsah im Bundestag: überall Datenschützer!

Dass die recht bescheidenen Pläne der Großen Koalition, den florierenden Handel mit persönlichen Daten etwas zu erschweren, nach einem groß angelegten »Datenschutz-Gipfel« verlangten, hatte zuerst Sebastian Edathy (SPD), der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, verkündet. Ihm war bis dahin vor allem das Verdienst zugekommen, seine Partei von der Notwendigkeit der Online-Durchsuchung zu überzeugen.
Letzlich war Wolfgang Schäuble (CDU) aber schneller und veranstaltete einen eigenen »Datenschutz-Gipfel« im Innenministerium. Doch wessen Herz für die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger schlägt, der lässt sich das Thema nicht so einfach wegschnappen. Die SPD hielt an ihrem »Gipfel« im Bundestag fest, den aber die Abgeordneten der Union boykottierten und stattdessen flugs ein weiteres Treffen mit Schaar organisierten. So wurden aus einem einzigen »Datenschutz-Gipfel« am Ende drei. Vergangene Woche musste Edathy sein Treffen noch eilig von Freitag auf Dienstag vorverlegen, um nicht gar der Letzte zu sein, der sich vor der Presse mit einem zufriedenen Peter Schaar präsentieren konnte.
Schäuble, den die Jury der »Big Brother Awards« im vergangenen Jahr nur deshalb nicht mit einem Preis bedachte, weil man ihn bald für sein Lebenswerk ehren will, empfing neben dem Bundes­datenschutzbeauftragten drei seiner Kabinettskollegen zum Gespräch über eine »Modernisierung des Datenschutzrechts«. Anschließend präsentierte er, in ungewohnter Einigkeit mit ­Schaar, Pläne für eine entsprechende Gesetzesänderung.
Während draußen einige Demonstranten des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung an die umfangreichen neuen staatlichen Befugnisse erinnerten, gab es drinnen ein »Weihnachten für Datenschützer« (Süddeutsche Zeitung). Vereinbart wurde, dass Firmen persönliche Daten künftig nur dann weitergeben dürfen, wenn der Kunde oder die Kundin vorher ausdrücklich zugestimmt hat. Bislang genügte es, dass kein ausdrücklicher Widerspruch vorlag. Die Bußgelder, welche die Datenschutzbeauftragten verhängen können, sollen angehoben werden. Schließlich sollen Unternehmen sich in Deutschland künftig ein »Datenschutz-Gütesiegel« verdienen können.
»Dass jetzt endlich im politischen und gesellschaftlichen Raum die Problematik erkannt und diskutiert wird, ist zu begrüßen«, lobte Schaar. Das Interesse in der Großen Koalition, hinsichtlich des Themas Datenschutz einmal positive Schlagzeilen zu machen, schien tatsächlich groß zu sein – solange die Entscheidungen nur die Wirtschaft betreffen. Hier der schmutzige private Datenhandel, dort die ordentliche behördliche Datenerhebung, die bei den »Gipfeln« nicht zur Debatte stand. Es ging ausschließlich um neue Verpflichtungen für die Privatwirtschaft nach dem Bundesdatenschutzgesetz. Die einzige Forderung an den Staat, mehr Personal für die Datenschutzbehörden bereitzustellen, wurde abgelehnt.

Das Vorhaben Schäubles, künftig in einem zentralen Melderegister Adressen, Religionszugehörigkeit und Steuerdaten aller Bürgerinnen und Bürger zu sammeln, bleibt bestehen. Und wenn ein Gericht, wie vorige Woche das Bundessozialgericht, ein Grundsatzurteil fällt, wonach Empfängerinnen und Empfänger von Hartz IV alle ihre Konten offen legen müssen, dann wird dies wohl auch weiterhin nicht als »Datenschutzskandal« diskutiert werden.
Alle drei Oppositionsparteien im Bundestag bezeichnen sich übrigens inzwischen als »Bürgerrechtsparteien«. Die Grünen nutzten die Gelegenheit, um ihre Forderung nach einer Aufnahme des Datenschutzes ins Grundgesetz zu wiederholen, deren praktischer Nutzwert sich allerdings noch niemandem so recht erschlossen hat. Der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Jan Korte, der seiner Partei in seinem aktuellen Buch empfiehlt, in Fragen der Bürgerrechte um enttäuschte Wähler der Grünen zu werben, sagte, Schäuble dürfe »mit seinem Versuch, sich als oberster Datenschützer aufzuspielen, nicht durchkommen«.
Früher, vor 20 Jahren, da hätte man sich gefreut, ankreuzen zu können, ob die persönlichen Daten weitergegeben werden dürften oder nicht, erzählte der Künstler Padeluun, ein Mitbegründer des Datenschutzvereins Foebud, Netzpolitik TV. »Mittlerweile ist das aber völlig egal, denn sie haben schon alle Daten«, sagte er. »Deshalb ist dieser Gipfel eine Farce. Da wollte der Bock mal zeigen, dass er Gärtner ist.« Constanze Kurz vom Chaos Computer Club resümierte: »Alle Erwartungen, die wir nicht hatten, sind erfüllt worden.«