Berlusconi rettet Alitalia

Die Seilschaften heben ab

Ein von Berlusconi zusammengestell­tes Kon­sortium hat die Fluggesellschaft ­Alitalia vorerst vor dem Bankrott bewahrt. Trotz sozialer Verschlechterung­en stimmten die Gewerkschaften dem Plan zu.

Die Flugzeuge mit der italienischen Trikolore auf den Flügeln werden weiterhin vom Boden abheben. Die Gewerkschaften haben Samstagnacht nach tagelangen Verhandlungen um kleine Verbesserungen den von der privaten Investorengemeinschaft Compagnia Aerea italiana (CAI) vorgelegten Plan zum Erhalt der Fluggesellschaft Alitalia (»Phönix«) unterzeichnet.
Bereits in den neunziger Jahren konnte die italienische Fluggesellschaft nur dank wiederholter staatlicher Subventionszahlungen vor dem Bankrott gerettet werden. Wegen der Vorgaben der Europäischen Kommission mussten diese Finanzhilfen in Millionenhöhe jedoch eingestellt werden. Immerhin genehmigte die Brüsseler Behörde im Hinblick auf die seit Jahren angestrebte Privatisierung zwei weitere Übergangskredite. Als Romano Prodis linksliberale Regierung im Früh­jahr die staatliche Aktienmehrheit von 49,9 Prozent schließlich an die französisch-niederländische Fluggesellschaft Air France-KLM verkaufen wollte, warf ihr die rechte Opposition den »Ausverkauf« eines nationalen Prestigeunternehmens vor. Silvio Berlusconi verhinderte den Verkaufsabschluss und versprach, im Falle eines Wahlsiegs eine italienische »cordata« zur Rettung der nationalen Fluglinie aufzustellen. Die CAI ist buchstäblich diese von Berlusconi angekündigte »Seilschaft«.
Ende August war zunächst per Kabinettsbeschluss der neuen Regierung das Insolvenzrecht geändert worden, sodass das marode Staatsunternehmen Alitalia in zwei voneinander getrennte Gesellschaften aufgeteilt werden konnte. Die unrentablen Bodendienste und Servicebereiche sollen als bad company einer staatlichen Konkursverwaltung zugeführt werden. Die alten Schul­den der Alitalia und die durch den Stellenabbau anfallenden Sozialkosten gehen damit zu Lasten der Staatskasse, d.h. die Verluste werden sozialisiert.

Der lukrative Anteil, der die Flugrechte und die Flugzeuge umfasst, soll dagegen für eine Milliarde Euro an das eigens zur Übernahme der Alitalia zusammengekommene Konsortium CAI verkauft werden. Diese good company setzt sich unter der Führung von Roberto Colaninno, dem Vorsitzenden des Motorrollerherstellers Piaggio, aus 16 italienischen Industriellen zusammen, die sich angeblich allesamt dem Aufruf des Ministerpräsidenten, die »nationale Identität« der Fluglinie zu retten, nicht entziehen wollten.
Im Kontext der protektionistischen Thesen des Wirtschaftsministers und der rassistischen Repressionspolitik des Innenministers funktionierte Berlusconis patriotischer Propagandatrick. Während sich das Auslandsressort der FAZ über den »dreisten Rettungsplan« beklagte, gab es in Italien kaum Kritik, auch nicht, als sich abzeichnete, dass Berlusconi den Unternehmern offensichtlich versprechen musste, ihnen ihre nationale Opferbereitschaft u.a. mit der Vergabe von Staatsaufträgen zu danken. Da die neuen Eigner vornehmlich aus dem Bau- und Immobiliengewerbe sowie der Stahlindustrie kommen, wird die Regierung im Zuge der Vorbereitungen für die Ex­po 2015 in Mailand schon bald Gelegenheit haben, die Gefälligkeit der Unternehmer zu belohnen.
Nur einer der von Berlusconi engagierten »mutigen Kapitäne« ist im Fluggeschäft tätig. Carlo Toto ist der Gründer der größten privaten italienischen Fluggesellschaft Air One, die im Rahmen des Phönix-Projekts mit der good company fusioniert werden soll. Allerdings könnten sowohl die italienische Anti-Trust-Behörde als auch das europäische Kartellamt dagegen ihr Veto einlegen, da durch den Zusammenschluss die neue Alitalia auf der Strecke Rom-Mailand eine Monopolstellung einnehmen würde.
Die Fusion mit der kleinen privaten Fluglinie unterstreicht den nationalen Charakter des Rettungsprojekts. Air One hat sich von Anfang an auf das italienische Streckennetz konzentriert. Auch die CAI will vor allem Kurz- und Mittelstreckenflüge anbieten, sie streicht deshalb internationale Routen und reduziert die Anzahl der Flugzeuge. Kurzfristig kursierte das Gerücht, die CAI wolle eine italienische low-cost-Gesellschaft einrichten, da insbesondere die vorgesehenen Ta­rif­verträge an die Arbeitsbedingungen bei den Billigfluganbietern erinnerten.

Der vorgelegte Sozialplan rief schließlich auch die Gewerkschaften auf den Plan. Die knapp 20 000 Beschäftigten der Alitalia werden von neun verschiedenen Gewerkschaftsorganisationen vertreten. Neben den vier Gewerkschaften (CGIL, CISL, UIL und UGL), die alle Berufsgruppen vertreten, gibt es noch mehrere kleinere Organisationen, drei für die Flugbegleiter und das Bodenpersonal (ANPAV, AVIA und SDL) und zwei für die Piloten (UP, ANPAC). Die Repräsentanten dieser Berufsgewerkschaften sprachen sich mit großer Vehemenz gegen die Reduzierung der Flugrouten und den damit verbundenen Stellenabbau aus und wiesen die von der CAI angekündigten drastischen Gehaltskürzungen, die Streichung von Urlaubs- und Ausgleichstagen sowie die Einschränkungen in der Lohn- und Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall als »unannehmbar« zurück. Die Piloten protestierten gegen das Vorhaben der CAI, die unterschiedliche Qualifizierung der Berufsgruppen künftig unberücksichtigt zu lassen und deshalb nur noch einen einheitlichen Tarifvertrag für alle Kategorien aushandeln zu wollen.
Obwohl die Standesorganisationen zu keinem Zeitpunkt mit Streik drohten und den Flugplan ohne Ausfälle garantierten, wurden sie der »Unverantwortlichkeit« bezichtigt und in den nationalen Medien als »Extremisten« diffamiert. Vertreter der CAI und der Regierung warfen den Flugkapitänen vor, »Privilegien« verteidigen zu wollen. Dieses populistische Vorurteil vermochten die Betroffenen auch durch den Vergleich mit anderen europäischen Fluglinien boten, nicht zu entkräften.
Vor allem nachdem die dem rechten Regierungs­lager nahestehenden Gewerkschaften CISL, UIL und UGL dem Phönix-Projekt frühzeitig zugestimmt hatten, erregte die Unnachgiebigkeit der Spartengewerkschaften Aufsehen. Für den Vorsitzenden der links orientierten CGIL, Guglielmo Epifani, wurden die Verhandlungswochen nicht einfach. Er wollte einerseits die Forderungen der Berufsgewerkschaften aufnehmen, musste aber andererseits das berufsgruppenunabhängige Profil seiner Gewerkschaft wahren.

Die Kampfbereitschaft der Standesorganisationen setzte Italiens größte Gewerkschaft unter Druck, die CGIL musste Standhaftigkeit beweisen. Das konfrontative Verhalten des eigentlich zur Vermittlung bestimmten Sozialministers Maurizio Sacconi belegte zudem eindrücklich, dass es für die Rechte, nachdem die Linke aus der parlamentarischen Politik verdrängt worden ist, nun darum geht, auch den Einfluss der Gewerkschaften immer weiter zurückzudrängen.
Nach unzähligen Ultimaten und Rückzugsdrohungen seitens der CAI gelang es der CGIL, der Unternehmergruppe doch noch Zugeständnisse abzuringen. Löhne und Gehälter dürfen demnach nur um maximal sieben Prozent gekürzt und mindestens 1 000 der befristet Beschäftigten müssen von der neuen Alitalia übernommen werden. Die Piloten erkämpften 100 zusätzliche Stellen und einen eigenen Tarifvertrag.
Trotz dieser Verbesserungen sind von den Ge­werk­schaften keine triumphalen Töne zu hören. Die CGIL musste im Verlauf der Verhandlungen an­erkennen, dass das von der Vorgängerregierung ausgehandelte, damals aber von ihr abgelehnte Ge­schäft mit Air France-KLM weniger soziale Nachteile mit sich gebracht hätte. Zudem ist ungewiss, ob die neue Alitalia sich in der Konkurrenz auf dem internationalen Flugmarkt tatsächlich halten kann. Die italienischen Eigner genießen unter den Beschäftigten wenig Vertrauen, vor allem die Berufsgewerkschaften halten die CAI-Gruppe für »in­kompetent«. Deshalb begrüßen alle die in Aussicht gestellte Rückkehr ausländischer Investoren. Mit dem Abschluss des Phönix-Projekts kann sich Berlusconi als Retter der nationalen Fluglinie feiern lassen, die Verantwortung für den letztlich un­vermeidlichen Zusammenschluss mit ausländischen Fluglinien übernimmt nun die CAI-Gruppe.
Air France-KLM ist nach wie vor interessiert, aber auch Lufthansa hat ein Angebot vorgelegt. Und plötzlich sind sich die Konfliktparteien wieder einig: Zur Verteidigung des italienischen Stand­orts bevorzugen sie eine Fusion mit »den Deutschen«. Da die Lufthansa ein sternförmiges europäisches Flughafennetz aufzubauen sucht, könnte neben Frankfurt-München-Zürich auch Mailand-Malpensa zu einer wichtigen Drehscheibe im Flug­verkehr werden. Dagegen fürchtet man, dass »die Franzosen« in Paris einen europäischen Zentralflughafen aufbauen wollen und in Italien bestenfalls noch Rom-Fiumicino für die Verbindungen nach Afrika und den Nahen Osten von Interesse wäre.