Der Prozess gegen die »Militante Gruppe«

Frieden auf Erden

In der vergangenen Woche begann der Prozess gegen drei mutmaßliche Mitglieder der »Militanten Gruppe«.

Noch vor der Verlesung der Anklage stellte Sven Lindemann eine heikle Frage. Ob nicht der Verfassungsschutz (VS) der eigentliche Herr des Verfahrens sei, wollte der Verteidiger eines der drei Angeklagten wissen, denen die Bundes­anwalt­schaft (BAW) seit vergangener Woche vor dem Berliner Kammergericht versuchte Brandstiftung sowie die Mitgliedschaft in der »Militanten Gruppe« (MG) vorwirft. Diese Frage dürfte in den kommenden Monaten bestimmend sein.

Nach Lindemanns Aussage gibt es »drei nichtssagende Zeilen« in den Akten, denen zufolge ein V-Mann des VS die Zugehörigkeit der Angeklagten zur Militanten Gruppe bestätigen könne. Seit 2001 fahndeten die Behörden nach der MG, die sie für mindestens 25 Brandanschläge zwischen Juni 2001 und Mai 2007 verantwortlich machen. Doch was Ende 2001 und 2003 auf den rechtsstaat­lich wegen des Trennungsgebots zwischen Polizei und Geheimdiensten äußerst fragwürdigen Treffen der Koordinationsgruppe Terrorismus zwischen VS, BAW und Bundeskriminalamt (BKA) zum Thema MG besprochen wurde, fehle in den Akten, sagt der Anwalt.
Obwohl selbst das BKA drei weitere Verdächtige nach jahrelangen Observationen als »unschuldig« einstufte, drängte der VS Lindemann zufolge die Fahnder, ihre Maßnahmen zu verschärfen. Erst der Bundesgerichtshof (BGH) hielt die Zuständigen im Ermittlungsverfahren wegen der Mitglied­schaft in der MG gegen vier Männer, darunter den Stadtsoziologen Andrej Holm, zu einem vorsichtigeren Vorgehen an.
Ähnlich wie in anderen Prozessen, denen Ermittlungen des Staatsschutzes vorausgegangen sind, stellen die Sicherheitsbehörden auch in diesem Fall Erkenntnisse des VS als Ermittlungsergebnisse der Polizei dar. In der dazugehörenden Bereinigung der Akten zeigen sich die Fahnder immer wieder überfordert.
Wegen der fehlenden Akten forderte Lindemann vom vorsitzenden Richter die sofortige Einstellung des Verfahrens, »weil so nach der Europäischen Menschenrechtskonvention kein faires Verfahren gegeben ist«. Die Verteidigung habe zwar 227 Seiten mit Observationsergebnissen ­erhalten, wie z.B. Einsichten in den täglichen Bröt­chenkauf des ursprünglichen Mitbeschuldigten B. aus Leipzig. Aber die Auswertungen der Aufnah­men einer auf die Wohnung des angeklagten Florian L. gerichteten Kamera fehlten.

Weniger strittig dürfte der Kern des Verfahrens sein. In der Nacht des 31. Juli 2007 observierte eine Spezialeinheit der Berliner Polizei die drei Angeklagten Florian L., Oliver R. und Axel H., als sie »in der Nähe von Brandenburg an der Havel mehrere Brandsätze unter drei abgestellte LKW der Bundeswehr legten«. Der BAW zufolge wurden sie »auf frischer Tat« ertappt, dem dürfte sich das Gericht anschließen. Die drei Angeklagten bestanden darauf, dass auch dies erst bewiesen werden muss, und verweigerten die Aussage.
Schwieriger wird es für die BAW sein, den Ange­klagten die Mitgliedschaft in der MG nachzuweisen. Nur dieser Vorwurf würde ihre und die Zuständigkeit des Berliner Kammergerichts recht­fertigen, sonst wäre »wegen gemeinschaftlicher versuchter Brandstiftung« ein Brandenburger Amtsgericht zuständig. Schon im vergangenen Herbst hatte der Bundesgerichtshof die MG von der »terroristischen« zur »kriminellen Vereinigung« zurückgestuft, nur mit Mühe konnte die BAW ihre Zuständigkeit bewahren. In seinem weg­weisenden Urteil machte der BGH den Fahndern den Unterschied zwischen »Vermutungen« und »Beweisen« deutlich.
Ob einer der Angeklagten mit dem an seine Freunde im Publikum gerichteten Ausruf (»Ein herzliches Rotfront!«) diesen »Vermutungen« entgegenwirkte, ist zweifelhaft. Auch die Erklärung der drei Angeklagten war von einem simplen, antiimperialistischen Weltbild und dem Wunsch nach einer »kommunistischen Weltordnung« geprägt. Doch die Frage, in welchem Verhältnis der Aufwand, den die Behörden betreiben, um die MG zu stellen, zu den Nachforschungen steht, die wegen der deutschen Waffen angestellt werden, die im jüngsten Krieg im Kaukasus auf georgischer Seite auftauchten, war berechtigt. »Hier sitzen die falschen Leute auf der Anklagebank«, betonte daher Axel H., dessen Vortrag mit einem Zitat von Kurt Tucholsky endete: »Krieg dem Krieg und Frieden auf Erden.«