Europäische Abgeordnete kritisieren die Diskriminierung der Roma in Italien

Für Roma, gegen Rom

Mit Sorge blickt die EU auf Italiens harschen Umgang mit den Roma. Doch nicht nur dort ist Europas größte Minderheit Opfer von täglicher Diskriminierung. Mit der Lage der Roma in verschiedenen Ländern beschäftigte sich zum ersten Mal ein Gipfeltreffen in Brüssel.

Eigentlich sollte es ein klärender Dialog werden, den die Delegation des Europäischen Parlaments vor wenigen Tagen bei ihrer Visite in Rom führen wollte. Doch als die Europa-Abgeordnete Els de Groen Berichte von Misshandlungen durch Carabinieri und alltäglichen Diskriminierungen von staatlicher Seite gegen Sinti und Roma verlas, fand die Offenheit der italienischen Gastgeber im Senat schnell ein Ende. Auf der gemeinsamen Sitzung wurden ihr das Namensschild sowie ihre Notizen von aufgebrachten italienischen Abgeordneten weggerissen, mit der Begründung, die Vorwürfe der Niederländerin seien eine »Beleidigung« für Italien. Nach den Handgreiflichkeiten gab es Redeverbot für de Groen.

Dass sich überhaupt eine Delegation des Rechts- und Innenausschusses des europäischen Par­la­ments nach Italien aufmachte, war für viele ­Angehörige der italienischen Regierung schon Provokation genug. Denn statt des üblichen Shakehands und der Höflichkeitsfloskeln, die mit solchen Besuchen in der Regel einhergehen, kamen die EU-Parlamentarier mit einer durchaus heiklen Frage: Wie steht es um den Schutz von Minderheiten in Italien? Denn seit die Mitte-Rechts-Regierung von Silvio Berlus­coni Roma und Sinti zu Opfern ihrer Ausgrenzungspolitik gemacht hat, wachsen vor allem im Europäischen Parlament die Zweifel an der rechtsstaatlichen Verlässlichkeit des EU-Gründungsmitglieds.
Für Beunruhigung hat dabei vor allem das Gesetz gesorgt, das die rund 140 000 in Italien lebenden Roma und Sinti zur Registrierung und Abgabe ihrer Fingerabdrücke verpflichtet (Jungle World, 10/08). Bereits im Juli hatte das Europäische Parlament diese Politik verurteilt und Berlusconi zu einer Rücknahme der Maßnahme aufgefordert. Doch nach geltendem EU-Recht haben Europas Volksvertreter in der Innen- und Justizpolitik nichts zu sagen. Die Macht, Italiens Gesetz aufgrund seines diskriminierenden Charakters für nichtig zu erklären, hat nur die EU-Kommission. Die aber will davon offenbar keinen Gebrauch machen. Das Sammeln der Fingerabdrücke sei rechtens, solange es als letztes mögliches Mittel geschehe, verkündete EU-Justizkommissar Jacques Barrot Anfang September.

Zwölf bis 15 Millionen Roma und Sinti gibt es in Europa. Allein in der EU leben rund 10 Millionen. Sie sind damit Europas größte Minderheit – und offenbar der Mehrheit größter Schrecken. 50 Pro­zent der EU-Bürger geben an, dass sie sich unwohl fühlten, wenn Roma und Sinti in der Nachbarschaft leben. Das hat die europäische Sta­tistikbehörde Eurostat in Umfragen herausgefunden. Nicht nur in Italien, sondern überall in Europa führt das zu alltäglicher Diskriminierung. »Der Wunsch, in der Schule nicht neben einem Roma-Kind zu sitzen, ist in Ungarn Normalität«, berichtet etwa Victoria Mohacsi, Europaabgeordnete und Roma. Vom Staat wird die Diskriminierung institutionalisiert: Sinti und Roma würden in der Regel in eigene Klassen gesteckt und so von den anderen Schülern getrennt. »Zigeunerklassen« gebe es in 40 Prozent aller Schulen in Ungarn, kritisiert das European Roma Rights Centre (ERRC).
In der Slowakei werden Kinder von Sinti und Roma in der Regel in Schulen für Behinderte untergebracht. Und auch für die Erwachsenen stellt sich das Leben dort schwierig dar. In einigen Gemeinden wurden bereits Mauern um Roma-Siedlungen gebaut. Wie auch in Italien ermuntern solche staatlichen Diskriminierungen vor allem Rechtsradikale zu Straftaten. Brandanschläge auf Siedlungen von Sinti und Roma gehören in Italien wie auch in vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas fast schon zum Alltag. Gerade die beiden jüngsten EU-Mitgliedsstaaten Bulgarien und Rumänien fallen nach Angaben von NGO durch regelmäßige Verletzungen von Menschenrechten auf. In sechs Fällen hat das ERRC nun den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof angerufen. Dabei geht es vor allem um Misshandlungen durch Polizisten. Kritisiert werden auch Fälle, in denen Gewalttaten gegen Roma von Polizei und Gerichten schlicht nicht verfolgt wurden.
Die Eskalation der Ereignisse in Italien hat zumindest zu mehr Aufmerksamkeit für die schlechte Lage der Roma und Sinti in Europa geführt. Mit einem Gipfeltreffen hat die Europäische Kom­mission Mitte September in Brüssel ihre Kampagne für »mehr Toleranz und eine bessere Integra­tion der Sinti und Roma« begonnen. Kommissionspräsident José Manuel Barroso räumte dort ein, dass ein Großteil von ihnen unter Bedingungen lebe, die im Europa des 21. Jahrhunderts einfach nicht akzeptabel seien. Der Chef der Brüsseler Behörde stieß angesichts der Untätigkeit der EU gegenüber den italienischen Gesetzesverschärfungen bei den rund 400 Experten und Vertretern von Roma und Sinti auf ein geteiltes Echo. »Es ist sehr beschämend, dass solche Dinge in der EU passieren können«, sagte Isabella Michalache von der Nichtregierungsorganisation Open Society Institute. Und auch Romani Rose, der Vorsitzende des deutschen Zentralrats der Sinti und Roma, mahnte mehr Taten als Worte an: »Warum kann die EU Mitgliedsstaaten wie Bul­garien sanktionieren, wenn sie nicht ordentlich mit EU-Geldern umgehen, nicht aber, wenn es zu permanenten Diskriminierungen von Roma kommt«, fragte er.

Im Mittelpunkt der Kritik steht aber weiterhin vor allem Italien. Vor einem »ethnischen Profiling« warnte George Soros, der aus Ungarn stammende ehemalige Börsenspekulant und Gründer des Open Society Institute, der beim Gipfel in Brüssel als Gastredner auftrat. Seine Forderung nach einem deutlichen »Nein« des europäischen Parla­ments zu den italienischen Gesetzesplänen fand allgemeine Zustimmung unter den Teilnehmern. Barrosos Verweis auf 275 Millionen Euro, die zwischen 2000 und 2006 zur Verbesserung der Lebenssituation von Sinti und Roma bereitgestellt worden seien, konnte da ebenso wenig Abhilfe leisten wie der Hinweis, der von EU-Offiziellen vor allem auf den Fluren gestreut wurde. Dass Italien vor dem Sommer das Justiz- und Innenressort innerhalb der EU-Kommission an den Franzosen Jacques Barrot abgeben musste, sei eine stille Sanktion gegen die italienische Min­derheitenpolitik gewesen, hieß es da.
Anders als bei der Frage der Fingerabdrücke könnte die EU nun angesichts eines anderen Planes der italienischen Regierung aktiv werden. Wegen der geplanten Massenausweisung vor allem von rumänischen Roma und Sinti droht EU-Kommissar Barrot der italienischen Regierung nun mit rechtlichen Schritten.