Die Dresdner Antifa sieht die rassistische Bedrohung in der Stadt nicht so gelassen wie die Stadtverwaltung

Weltoffen, bis es brennt

Die Stadtverwaltung gibt sich gelassen. Doch Dresden ist für Migranten und alternative Jugendliche keineswegs ein sicherer Ort, wie einige Vorfälle in jüngster Zeit zeigen. Zudem haben Neonazis in der Stadt einen regionalen Treffpunkt eingerichtet.

Es habe sich vieles zum Guten verändert in Dresden, sagte Albain Menkouo der Zeitung Dresdner Neueste Nachrichten im August. Bis vor wenigen Jahren sei der Platz neben ihm, einem Afrodeutschen, in der Straßenbahn immer frei geblieben. Anfangs habe er gedacht, das sei Zufall, aber irgendwann konnte er es nicht mehr als solchen abtun. Inzwischen setzten sich die Menschen aber trotz seiner Hautfarbe neben ihn.

Was andernorts als Selbstverständlichkeit gilt, ist in der sächsischen Landeshauptstadt ein Fort­schritt. Die Zeiten, in denen die Neonazis in der »Stadt der Bewegung« (Michael Kühnen) das Straßenbild bestimmten und am 6. April 1991 den Mosambikaner Jorge Gomondai ermordeten, waren schnell vergessen. »In Sachsen haben noch keine Häuser gebrannt, es ist auch noch niemand umgekommen. Und die sächsische Bevölkerung hat sich als völlig immun erwiesen gegenüber rechtsradikalen Versuchungen«, hatte der damalige Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) zur Jahrtausendwende verkündet.
Acht Jahre später protestierte zumindest nicht nur die örtliche Antifa, sondern auch der Stadtverband der Jusos, nachdem eine Mitarbeiterin des Dresdner Studentenwerkes in der Sächsischen Zeitung in einem Artikel über Kaker­laken in Wohn­heimen mit den Worten zitiert worden war: »Der Befall ist eine Frage der Sauberkeit. Schaben gibt es vor allem dann, wenn Menschen aus Kulturen in den Häusern wohnen, die mit den Tieren weniger Probleme haben als Deutsche.«
Man könnte meinen, es habe sich einiges gebessert in den vergangenen Jahren. Andere Dinge bleiben hingegen gleich, so wie es sich für eine konservative Stadt gehört, und einiges wird auch schlimmer. Die Zahl rechtsextremer Gewalttaten zum Beispiel: Sie ist seit Jahren hoch und nahm in den vergangenen Monaten in Dresden wieder in starkem Maß zu. Im Jahr 2008 wurden in der Stadt bisher 22 Personen aus rassistischen Gründen angegriffen, in 19 Fällen nichtrechte Jugendliche attackiert.
Albain Menkouo macht sich deshalb keine Illusionen. Er gehe davon aus, dass ihm niemand helfen würde, wenn er auf der Straße angegriffen würde, sagte er der Zeitung. An Tagen wie dem 13. Fe­bruar oder dem »Männertag« verlasse er seine Wohnung aus Sicherheitsgründen nicht.
Auch Kati Lang von der Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt der »Regionalen Arbeitsstelle für Jugendhilfe, Schule und interkulturelle Arbeit« (RAA) in Sachsen sagte der Jungle World: »Problematisch bleibt bei allen Angriffen das Nichteingreifen von Passanten. Gerade in öffentlichen Verkehrsmitteln gab es immer wieder Zeugen, die nicht geholfen haben.« Auch die Qua­lität der rechtsextremen Übergriffe habe sich verändert. Wurden im Jahr 2007 in Sachsen drei Brandanschläge mit rechtsextremem Hintergrund bekannt, waren es im Jahr 2008 bisher mindestens 13. »Dieser Anstieg lässt ein Revival der – allen noch im Gedächtnis haftenden – Brand­anschläge befürchten«, sagt Lang.
Brandanschläge wie der auf einen Asia-Markt in Dresden Mitte August. Die 16jährige Tochter des Ladenbetreibers wurde nachmittags auf offener Straße von zwei jungen Männern in rassistischer Weise angepöbelt. Daraufhin kam es zu einer kurzen Auseinandersetzung, in die sich auch der Vater des Mädchens einmischte. Als sich die Angreifer zurückzogen, drohten sie, das Geschäft der Familie »abzufackeln«. Wenige Stunden später brannte es vollständig aus. In derselben Nacht überfielen vier Neonazis zwei Migranten in einem anderen Stadtteil auf offener Straße und tra­ten auf sie ein.
Anders als die Überfälle rechtsextremer Hooligans auf türkische und kurdische Lokale in der Dresdner Neustadt nach dem diesjährigen EM-Halbfinalspiel der Türkei gegen Deutschland ist die größte Zahl der Angriffe nicht von langer Hand geplant. Gerade diese oftmals überraschen­den und ortsungebundenen Gewaltausbrüche machen die Gefahr unberechenbar und sorgen für Angst und Einschüchterung.
Ein Sprecher der Stadt Dresden verwies im Gespräch mit der Jungle World hingegen auf das »Handlungsprogramm für die Stärkung von Demokratie und Toleranz«, für das in den kommenden zwei Jahren insgesamt 300 000 Euro im Haushalt eingeplant seien. Dresden sei eine weltoffene, tolerante Stadt, niemand müsse Angst haben, sie zu besuchen. Und keineswegs sei »es so, dass hinter jeder Hausecke ein potenzieller Ge­walttäter lauern würde«.
Anders als die derart gelassenen Behörden schien die regionale Antifa in den vergangenen Monaten jedoch von den Vorfällen völlig überfordert zu sein. Mittlerweile ruft ein antifaschistisches Bündnis für den 18. Oktober zu einer Demonstration unter dem Motto »Gegen Naziläden und Rassismus« in Dresden auf. »Das Problem ist einerseits die rassistische Gewalt und die Diskriminierung im Alltag, der die Migrantinnen und Migranten hier ausgesetzt sind. Außerdem etabliert sich ein rechter Lifestyle, der durch eine Reihe von Naziläden mitgetragen wird«, sagt Andrej Stephan von der Kampagne »Ladenschluss jetzt!«.

Anfang August eröffnete in bester Lage in der Innenstadt der »Thor-Steinar«-Laden »Larvik«. Seit August 2006 betrieb die Firma »Blond Textil- und Schuhvertriebs GmbH« das Geschäft »Tonsberg«, dessen Mietvertrag kurz vor der Eröffnung des »Larvik« auslief. Dieser ist nur einer der bekannten, von Neonazis besuchten Läden in Dresden. Denn es herrscht ein reger Kampf um das Geld der Rechtsextremen. Der Neonazi Toni Beger musste sein Geschäft mutmaßlich wegen der großen Kon­kurrenz bereits schließen.*
Beger zählt zum Umfeld jener Neonazis, die sich regelmäßig in der Oskar-Röder-Straße nahe dem S-Bahnhof Dresden-Reick treffen. Der über 90jährige Kunstschmied Alfred Schmidt vermietet dort seit mindestens drei Jahren Räume an die Kameradschafter. Mieter ist Tilo Kriegel, der seit Jahren in der ersten Reihe zu finden ist, wenn Neonazis versuchen, linke Veranstaltungen zu attackieren. An der Hochschule für Technik und Wissenschaft engagiert sich der Architekturstudent Kriegel im Fachschaftsrat.
Nach Einschätzungen des Antifa-Recherche-Teams Dresden ist die Oskar-Röder-Straße der mit Abstand wichtigste Treffpunkt für die Neonazis der Region. In den gut ausgestatteten Räum­lich­keiten gibt es genügend Platz für Konzerte und Vorträge, Bandproberäume und einen Fitnessraum. In dem Gebäude haben sich die Neonazis so ein »nationales Jugendzentrum« geschaffen. Auch Mitarbeiter der NPD-Landtagsfraktion sind dort gern gesehene Gäste. Weniger als ein Jahr vor den nächsten sächsischen Landtagswahlen ist zumindest die Neonazi-Szene in Dresden also weitaus umtriebiger als vor den letzten.

*geändert am 23.07.2012

Wir berichtigen hiermit unsere vorhergehende Behauptung, der Neonazi Tony Beger sei im SSS-Verfahren verurteilt worden. Diese Behauptung wird nicht mehr aufrechterhalten.
Der Verlag